Dienstag, 03.05.2005

Es geht

Something made just to confuse people.
GERRY – Farce von Gus van Sant

Die Behauptung ist die von ungetrübter Natur, gleichgültig gegenüber der Kreatur und bar jedes menschlichen Einflusses. Trotzdem ist der Schauplatz bis ins letzte kulturell geformt; er sagt in etwa: ICH BIN DREI WÜSTEN, eine geologische Wunderwelt sondergleichen. Ebenso ein wunderliches Wetter, launischer als um Kap Horn, ständige Verschiebungen und atmosphärische Turbulenzen jenseits jeglicher Kontinuität. Wenn es denn so etwas geben kann wie den Archetyp Wüste und den Archetyp Wetter – hier liegen sie vor. Eine unaufhörliche Kette von Verdichtung und Entspannung. Hier wird Natur nicht angeschaut, sie wird beschworen. Kreiert aus Versatzstücken aus dem Setzbaukasten. Sie ist instrumentalisiert zum Durchlauferhitzer und zur Geisterbahn, als Vexierspiel. Doch letztlich ist sie eingesetzt als Vergrößerungsglas zur Untersuchung von Mikrostrukturen, die in der dumpfen Aufdringlichkeit des Banalen gar nicht erkennbar wären, sind sie doch selbst ein Bestandteil desselben. Diese Manipulationsmaschine galaktischen Ausmaßes basiert auf ähnlichen Prinzipien wie die Ablenkung des Lichts durch Gravitationsfelder super-massiven Ursprungs: Plötzlich wird sichtbar, was dahinter ist, obwohl man nicht hindurchschauen kann. Aber ist etwas dahinter?

Zunächst einmal macht GERRY deutlich, dass ein Film dann entsteht, wenn eine Sammlung gewählter Prinzipien durchgehalten wird, unabhängig vom Inhalt. Einmal etablierte Prinzipien können dann wiederum auch außer Kraft gesetzt werden, aber das muss kontrolliert geschehen, als Akt der Komposition. Zentrales Interesse gilt dem Gehen. Das ist dramaturgisch flüchtig begründet, der kausale Zusammenhang wird im Verlauf aber immer unwichtiger. Es geht. Zwei Männer werden gegangen. Und wir werden auf die Schiene gesetzt als Mitläufer, als Untersuchungsteam vor Ort. Forschung am lebenden Objekt. Bei James Benning sitzt man behütet im Kasten und imitiert den Blick aus dem Herrenhaus in den Park. GERRY hingegen gibt durch die Kameraarbeit vor, teilnehmende Beobachtung, Feldforschung zu sein, was der Film natürlich nicht ist. Zuweilen entsteht Irritation dadurch, dass man ein Spiel bei den Darstellern zu erkennen meint, wo nur Gehen sein sollte. So in der dreieinhalb Minuten Einstellung, Parallelfahrt als Naheinstellung auf die Gesichtsprofile der beiden Gerrys, in der Affleck zum Ende hin zu schmunzeln beginnt. Diese Aktion gefährdet den fast reinen Materialcharakter dieser Szene. Die Fahrt hebt an in der Unschärfe des Landschaftshintergrundes. Die Gerrys stoßen erst dazu und verlassen das Bild noch bevor es sich wieder in Unschärfe verliert. Zunächst ist die Bewegung; die Darsteller verleihen ihr nur Ausdruck. Um was es geht, ist Bewegung. Der Mangel an psychologischem Spiel hat natürlich das Heraufziehen bombastischer Assoziationsgewitter zur Folge, ähnlich dem unablässigen suggestiven Grollen auf der Tonebene. So wie das Gehirn die fehlenden Frequenzen jenseits der 20 MHZ auf einer CD angeblich permanent dazu erfinden muss und deswegen ermüdet, will es offensichtlich die für uns ungeklärten Verhältnisse in der Personenkonstellation entschlüsseln. Aber ist da was? – Was es gibt, ist ein Hierarchiegefälle: Der eine Gerry bittet zweimal um Hilfe und beim dritten Mal wird ihm erlösend geholfen. Am Anfang der Irrfahrt ruft er ein übermütiges FUCK THE THING! – FUCK THE THING! aus, so dass, als sein Freund Hand an ihn legt – und genau das tut er – , sowohl als reine Wortassoziation aber auch zum Inhalt sich die Oscar-Wilde-Zeile anbieten will: YET EACH MAN KILLS THE THING HE LOVES. Aber das bleibt ohne jeden immanenten Anhalt im Film wie alles andere pure Spekulation.

Wenn die Wolken ziehen und an uns vorbeisausen, wenn die Sonne aufbraust und flugs verschwindet, dann meint man gemeinhin in solcherart geraffter Animation die Vergegenwärtigung von fließender Zeit zu sehen. Das ist hier aber nicht der Fall, ganz im Gegenteil. Das Licht kommt und geht, ein Tag folgt auf den nächsten, darin ist kein Zweifel. Was hier präsent ist, heißt Ewigkeit, also die Abwesenheit von Zeit. Zeit ist eine Kategorie der menschlichen Natur und offenbart sich so auch nur in der zunehmenden Mattigkeit beider Gerrys. Für die Natur ist sie völlig obsolet. Aber eine Natur ohne Menschen ist für uns obsolet, eigentlich nicht denkbar und auch uninteressant. Van Sant hat sich ein Set hochgradiger Asozialität gewählt, gaukelt es uns vor, ein Forschungsdesign. Die Titel der bis zur Einfältigkeit homophonen Musikeinspielungen von Arvo Pärt, SPIEGEL IM SPIEGEL und FÜR ALINA , zusammen mit den zahlreich applizierten Eulenschreien, legen eine Eulenspiegelei nahe. GERRYS IN WONDERLAND – BEHIND THE LOOKING GLASS – was ist dahinter? Nahezu ohne Angst kippen sie irgendwann ins Delirium.

Reduktionen auf Kreatürlichkeit bewegen sich immer am Rande des Abgrunds zum Unmenschen oder zur Banalität. Kunst darf auch das.

Nur zum Spaß, nur zum Spiel …

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