Straub / Huillet / Pavese (I)
QUEI LORO INCONTRI (JENE IHRE BEGEGNUNGEN)
2005
DALLA NUBE ALLA RESISTENZA (VON DER WOLKE ZUM WIDERSTAND)
1978
Revolution bedeutet, sehr alten und vergessenen Dingen ihren Platz zurückzugeben – diesen Satz von Charles Péguy hält Jean-Marie Straub immer wieder bereit, wenn es um die Zukunft der Gesellschaft geht, genauso wie Walter Benjamins Ausspruch von der Revolution als dem „Tigersprung ins Vergangene“: „Das ist auch die Idee von Pavese mit seinen mythologischen Dialogen, er wollte seine Genossen spüren lassen, daß die Flucht in die Zukunft nicht ausreicht.“ In Zeiten des Staatskommunismus wurden derartige Äußerungen stets als häretisch und reaktionär bekämpft.
Man sollte beachten, daß nicht von der Wiedereinsetzung einer Vergangenheit die Rede ist, sondern von Vergangenem, von sehr alten oder vergessenen Dingen. Die Götter und göttlichen Wesen, Erzählungen einer vergangenen agrarischen Gesellschaftsform, die in den Dialogen auftreten, sind gewiß ambivalent. Sie sind Formulierungen – Personifizierungen – von Macht und sie werden bis heute, verweltlicht, technisiert, von den realen politischen und gesellschaftlichen Kräften besetzt und instrumentalisiert. Andererseits verkörpern sie Geist und Moral. Und damit auch die ethische Empfindung gegenüber der Welt des Sinnlichen und Menschlichen.
QUEI LORO INCONTRI ist vielleicht der traurigste Film der Straubs, weil er aus der Perspektive der Götter von den bedauernswerten Menschen im allgemeinen spricht und keine individuelle Geschichte erzählt. Er ist aber vielleicht auch derjenige, der die „ethische Gewalt“ (Franco Fortini) ihrer Filme am sanftesten zum Ausdruck bringt. Es ist erschütternd, wie diese Götter von Sehnsucht und Trauer zugleich ergriffen werden, wenn sie von den erbärmlichen und dennoch beneidenswerten Menschen sprechen. Sie sehnen sich nach deren Sterblichkeit, die, weil sie vom ewigen Schicksal befreit, „alles unvermutet und Entdeckung“ werden läßt. Sie bewundern sie für ihre Fähigkeit zu benennen, denn überall, „wo sie Mühsal und Worte aufwenden, wird ein Rhythmus, ein Sinn, eine Ruhe geboren.“ Wie schön muß es sein, „sich selbst zu gestalten, auf diese Art der Laune nach.“ Sie sehen aber auch, daß die Menschen elend, gemein und berechnend sind, daß sie ihre Geschichten immer mit Blut erzählen, den Wert ihrer Existenz nicht erkennen und sich an der Welt versündigen. Unverständnis und Zorn kommt dann auf, aber es sind ihr Wohlwollen, ihr Wille, den Menschen zu helfen, und zugleich ihre Ohnmacht, die bestürzend sind. Nein, nicht ein Gott wird die Menschheit retten. Eine göttliche Erzählung allenfalls, die die Menschen lehrt, „daß der Tod auch für sie neu ist. Ihnen diese Erzählung geben. Sie ein Schicksal lehren, das sich mit dem unsren verflicht“.
Pedro Costa: I was very, very stoned seeing SHE WORE A YELLOW RIBBON, and that was a very strange experience. Now there’s a quality in certain movies that are like diamonds in my head at that time. The Straub movie FROM THE CLOUD TO THE RESISTANCE is another one, they are in very sharp colours. I’ve never taken LSD, but I expect the effect is somewhat the same: they are very sharp, the yellows and the greens. [S. 10]
Jean-Marie Straub, Pedro Costa, Danièle Huillet
(c) Richard Dumas, 2001
Mark Peranson: Which is an odd thing for a materialist to say.
Pedro Costa: Well, he said a very nice thing to me about that. Once he was teaching a film course in Germany, and he was talking about MOSES AND ARON, and he said „God“ three or four times in the lecture, and he saw some students were smiling, almost laughing. And he told them, „Why are you laughing? If you laugh when you hear the word God, then you’ll never make a film.“ And that proves to me that to be a materialist, you have to be a mystic in the beginning … or in the end. [S. 15]
[ … ] und schon – o Luft,
Luft, die den Neugeborenen umfängt,
wenn droben er die neuen Pfade wandelt,
dich ahnd‘ ich, wie der Schiffer, wenn er nah
dem Blüthenwald der Mutterinsel kömmt,
schon athmet liebender die Brust ihm auf
und sein gealtert Angesicht verklärt
Erinnerung der ersten Wonne wieder!
[ … ]
Aus dem handschriftlichen Drehbuch von Jean-Marie Straub [1984] zu DER TOD DES EMPEDOKLES.
Commento del regista / Director’s note
La definizione «cineasti italiani» c’è stata data non solo per i film cha abbiamo girato in lingua italiana o per quelli per cui abbiamo rifatto un missaggio e un commento italiano, come ad esempio Troppo presto, troppo tardi, e che dunque sono diventati film italiani. Ci sono stati anche dei nostri film girati in Italia, in lingua francese, come Othon o in lingua tedesca come La morte di Empedocle o cantati in tedesco come Mosè e Aronne. Tutti film italiani perché dovevano le loro immagini all’Italia. Le immagini di più di metà dei nostri film mostrano l’Italia. Film italiani a tutti gli effetti anche se non sono riconosciuti ufficialmente perché parlati in una lingua diversa. C’è una legge fascista per la difesa della lingua che lo stabilisce.
(da Straub-Huillet Cineasti Italiani. Intervista a cura di Adriano Aprà e Piero Spila, in: Piero Spila, Il cinema di Jean-Marie Straub e Danièle Huillet. «Quando il verde della terra di nuovo brillerà», Bulzoni Editore, Roma 2001, p. 21-32, hier: 21)
L’incroyable relief des choses dans l’air
APRÈS LE DÉLUGE
– tu verras que le monde nouveau aura quelque chose de divin …
Es genügt ein Hügel, ein Gipfel, ein Abhang. Daß es ein einsamer Ort ist und daß deine Augen hinaufsteigend im Himmel anhalten werden.Das unglaubliche Hervorstechen der Dinge in der Luft rührt heute noch ans Herz. Ich für mich glaube, daß ein Baum, ein Fels, die sich gegen den Himmel abzeichnen, Götter waren von Anbeginn an.
NACH DER SINTFLUT
– Du wirst sehen, die neue Welt wird etwas Göttliches haben in ihren hinfälligsten Sterblichen.
Man kann vorsichtig sagen, daß Paveses Selbstmord so politisch war wie der Majakowskis. Es gibt für Dichter keine Möglichkeit des Paktes mit der institutionalisierten Politik. Paveses Geschichtsbegriff, wie er aus seinen Drehbüchern abzulesen ist, ist unvereinbar mit der triumphierenden Rechthaberei, die zur Sprache der politischen Parteien gehört.
DALLA NUBE ALLA RESISTENZA ist ein Film von Zweiteilung organisiert. Er macht einen Kontext aus Stücken von zwei Büchern von Pavese, aber so, daß nach dem zweiten Drittel mit einem Vorspann nochmal ein Anfang ist. Ein früherer Paveseroman, „Der Mond und die Feuer“: Ein Antifaschist kommt nach dem Krieg zurück aus Amerika in den Ort im Piemont, in dem er als Findelkind aufwuchs. Die Veränderungen, zu denen alles bereit schien, haben nicht stattgefunden. Über den Kadavern des Faschismus, die die Erde unerwartet freigibt, brechen, beängstigend, die alten Antagonisten sich Bahn.
Der Film, das sind Orte im Piemont und Laien, die Dialogstellen aufsagen aus dem Roman oder sogar vorlesen. Sie funktionieren wie Masken im antiken Theater. Sie verkörpern nicht Figuren, sondern leihen der Sprache ihren Körper. Ihre Mühen mit den Texten, die zu richtigen Kämpfen ausarten, stellen, gesprochen, Literatur da. Was an ihr geschrieben ist. Das Paradox variiert Mallarmés Verräumlichung von Poesie. Es ist unpersönlich gemachte Erfindung, die dennoch auf unerhörte Weise mit diesen Leuten und den realen Orten, die sie durchwandern, verbunden ist. Wodurch der Film hinausgeht über die Erinnerung an die blutige Zeit der Resistenza.
Die „Dialoge mit Leuko“ fußen auf griechischen Fabelfiguren, und auch, wenn man als Kind nicht Schwabs „Sagen des klassischen Altertums“ verschlungen hat, die Situationen kommen einem vor wie fernes Vertrautes. Immer sind es Gespräche zu zweit, Rede und Gegenrede, unaufgehoben, in einem natürlichen Dekor, der wie getrennt bleibt von den Figuren. Im monologischen Erzählkino ist alles auf den handelnden Menschen ausgerichtet. Hier zerstreut sich mit den Blicken der Sprechenden die alte fiktive Einheit von Person, Ort und Zeit.
Die Dialoge haben einen Angelpunkt, eine Achse gemeinsam. Immer geht es um den Unterschied, um eine Trennungslinie, deren Willkürlichkeit einem nicht weniger gewalttätig vorkommt als die Willkür und Barbarei, der sie ein Ende setzen soll. Herakles tötet den grausamen Lytherses, damit es mit den Menschenopfern, die die Erde befruchten sollen, endlich ein Ende hat. Als ob ein letztes Opfer passieren müßte, um eine neue Ordnung zu gründen. Danach genügen dann stellvertretend Tieropfer. Im letzten Dialog, für zwei arme Hirten, die Hüter der Herden anderer, ist es nur noch ein Ritual mit Milch und Honig. Im zweiten Teil des Films wird erzählt, wie von den Partisanen eine Spionin liquidiert wurde. Man begnügte sich nicht damit, sie zu töten. Sie wurde verbrannt. Zum Zeichen.
Lévi-Strauss sagt, daß die Sprache nicht nach und nach entstand. Daß sie ein Einbruch war, eine Mutation. Der Sprung von der Natur in die Kultur geschah ganz plötzlich. Die Benennung distanzierte, sie verdrängte die Herrschaft der Dinge. Als symbolische Ordnung, die ihren Teil gesellschaftlicher Gewalt kanalisiert, ist auch die Kunst ein System, ein Gesetzeskodex. Auch im Unterschied zu anderen stellt sie, wo sie lebendig ist, den Untergrund von Chaos und Ungeformtheit mit dar, auf dem sie ruht.
Ein Ochsenkarren zieht im dritten Dialog den blinden Teiresias und Odysseus, der es noch nicht ist, durch eine offene Landschaft über einen Weg, der wie eine Metapher für Schicksal ist. Der kleinste Erdbuckel, der lächerlichste Kieselstein hat seine Resonanz in den Stimmen der beiden Sprecher. Nur eines möchte im Grunde Odysseus wissen von dem blinden Alten, der so viel vom Leben gesehen hat, er möchte den Unterschied der Unterschiede beschrieben haben, der, scheint es, alle Ungleichheit generiert: Wie waren die sechs Jahre, in denen Teiresias als Frau gelebt hat. Der Alte kann darüber nichts sagen.
Im Kino sind Bilder nicht alles. Der Schwarzfilm, der deren zwanghaften Ablauf unterbricht, bewirkt, daß man bemerkt, was man im allgemeinen nur unbewußt erfährt, daß Rhythmus, vor aller Abblidung, ein elementares Gestaltungsmittel des Kinos ist, das einen aus den Angeln hebt. Auf einer Stelle Schwarzfilm zwitschert ein Vogel. Er zwitschert weiter, sagt man sich, erinnernd, daß die Bilder vorher ihn überdeckten.
Der Film, zerlegt in seine Komponenten, fügt sich anders zusammen zu Zeichen, die, auch wenn sie nur Bild von Bildern sind, in ihren Lücken, da wo ihre Teile aufeinanderstoßen, wilde Töne erzeugen. Ein Vorschlag zur Transkribierung des Titels: Wolke mit Trugbild übersetzen und für Widerstand böte sich an Granit.
Die Mischungen, die Monstren erzeugen, sind im Kino nicht nur erlaubt, sie sind, wenn man es recht bedenkt, sein Gesetz. Solche Zwitter zu produzieren hat vor ihm kaum eine Kunst geschafft. Vor allem seitdem die Leinwand redet, wimmelt es von Chimären und Kentauren und Werwölfen. Sogar Götter wandeln zuweilen wieder unter den Menschen.
Frieda Grafe
(„Süddeutsche Zeitung“, 30. Mai 1979. Wieder abgedruckt im gerade erschienenen Band 9 von Frieda Grafes „Ausgewählten Schriften“, hg. von Enno Patalas: „Film für Film“. Verlag Brinkmann & Bose, Berlin 2006, S. 179-182)
Photos aus der Filmkopie: Gerhard Ullmann
Dank an: Erich Brinkmann, Bernard Eisenschitz, Helmut Färber, Markus Nechleba, Mark Peranson, Dietmar Schings –
– und an D.H. & J.-M.S.