Abendstern
(anläßlich der Demy-Retrospektive der Viennale und des Österreichischen Filmmuseum)
von Olaf Möller
„L’Événement le plus important depuis que l’homme a marché sur la lune“ (1973) ist die bête noir im Oeuvre Jacques Demys: der Film, den selbst eifrige Jünger des Meisters wild aus dem Gesamtwerk ‚raus und weg zu ignorieren versuchen, man beschäftigt sich einfach nicht wirklich mit ihm, obwohl/gerade weil er Demys Totalfiasko war: fünf Jahre lang bekam er kein Projekt mehr ins Gleis gestellt, erst ein Angebot aus Japan, die Adaption eines shojo manga, gab ihm erneut die Gelegenheit, Regie bei einem Film zu führen, doch wenig nur, was weiters kam, reicht an die Gewaltigkeit, den Reichtum früherer Zeiten, Filme heran. So sagt man, mal explizit und mal zwischen den Zeilen. Daß „L’Événement le plus important depuis que l’homme a marché sur la lune“ nun etwa in der Mitte des Demy-Oeuvres steht – sieben Langfilme entstanden davor; es folgten sechs weitere, incl. des Fernsehspiels „La Naissance du jour“ sowie der Kollaboration mit seinem Lehrmeister Paul Grimault, „La Table tournante“ (auch so eine Rezeptionsleerstelle) -, verleiht dem Ganzen eine zusatzliche Dramatik: der Nadir als Riß, der den Traum beendet, die Realität beginnt, und damit der Niedergang, so zumindest geht das ja in der gewöhnlichen Vorstellung von Realismus.
Wobei man sich dann doch irgendwann fragt, warum dieser Film denn nun so derartig extreme Reaktionen hervorruft – selbst der wenig geliebte „Parking“ wird selten nur ähnlich fies angefeindet wie „L’Événement le plus important depuis que l’homme a marché sur la lune“ -, vor allem, wo sich, was ja auch oft vermerkt wird, der Film in seltener Konkretheit mit einem Kernthema Demys beschaftigt: der Vaterschaft — als Mutterschaft. Bei Demy sind die Grenzen fließend, alle. Was wohl das Problem war wie ist: wenn sich Traum und Wirklichkeit so unbedingt, inniglich tief durchdringen wie hier, und die Sehnsucht, Lust Zwänge sprengen, droht der Ordnung höchste Gefahr.
In der wunderschönen, großformatigen wie pop-bunten (von Joao Botelho mitgestalteten) Publikation der Cinemateca Portuguesa, entstanden anläßlich einer Demy-Retrospektive im Dezember ’83, wird „L’Événement le plus important depuis que l’homme a marché sur la lune“ exakt einmal erwähnt: als Ausnahme, mit Untertönen des Monströsen; das ist die übliche Beschaftigungsweise mit diesem Werk.
Jean-Pierre Berthome, der erste Sänger des Demy’schen Genies, in „Jacques Demy. Les Racines du rêve“, beschäftigt sich grad pflichtbewußt mit „L’Événement le plus important depuis que l’homme a marché sur la lune“, dabei mehr mit dem, was der Film – per Drehbuch, Erzählungen Demys – hatte werden sollen, als mit dem, was er ist, um ihn am Ende achselzuckend als verzeihlichen Fehlschlag mit wahrscheinlich weitreichenden Folgen abzuhaken. Camille Taboulay, in ihrem weniger rigoros werkeabarbeitenden, mehr Themen-, Bilder-, wie Esprit-getriebenen „Le Cinema enchanté de Jacques Demy“, erwähnt den Film kursorisch, ohne ihn genauer, interessierter zu bedenken; alldieweil ihre Demy-Chronologie klar darlegt, daß die lange Pause zwischen „L’Événement le plus important depuis que l’homme a marché sur la lune“ und „Lady Oscar“ bloß bedingt mit ersterens Fehlschlag zusammenhangt: 1975 etwa blies Demy die geplanten Dreharbeiten zu „Une chambre en ville“ ab wegen unüberbrückbarer Differenzen mit seinen Darstellern, 1977, scheint’s, bot sich eine Möglichkeit, das unrealisiert gebliebene Projekt „Kobi“ produziert zu bekommen, doch da waren wohl schon die Arbeiten zu „Lady Oscar“ im Gange.
Die, scheint’s, einzige monographische Veröffentlichung, die „L’Événement le plus important depuis que l’homme a marché sur la lune“ gleichberechtigt-solidarisch innerhalb des Demy-Oeuvres präsentiert, ist die liebevolle Hommage-Broschüre „Demy 2000“, die anläßlich einer Deutschland-weit präsentierten Retrospektive im Herbst/Winter 2000 erschien: Jedem Werk des Programms, ob lang ob kurz, haupt- oder nebensächlich, ward eine Doppelseite zugeteilt, links Text, rechts ein signifikantes Photo — so gibt’s nichts Unwichtiges im Wesenhaften, allein Grade des Widersprüchlichen, Eigensinnigen; es ist auch die einzige Demy gewidmete Publikation, die sich liebevoll-freundlich dieses Films annimmt, seine Besonderheiten andeutet.
Die Abwatschung von „L’Événement le plus important depuis que l’homme a marché sur la lune“ basiert im allgemeinen auf der Annahme, daß der Film anders sein sollte: man behandelt ihn wie einen Aussätzigen, weil seine Gestalt nicht dem entspricht, was man sich erwartet: man beckmessert also, wie’s gewerbeüblich ist, wenn sich wer in’s Reich des Genres begibt und es nicht ganz offensichtlich auf den Kopf stellt.
Im Gegensatz zu Demys designierten Hauptwerken ist – per Berthome, der die Genese des Films skizziert – „L’Événement le plus important depuis que l’homme a marché sur la lune“ weder ein langgehegtes Projekt noch ist er in irgendeiner Weise direkt, etwa durch eine Figur, mit seinem Kosmos verbunden: er steht gänzlich allein da — es war halt eine Augenblicks-Geschichte, eine Eingebung, inspiriert durch Vardas Schwangerschaft 1972 (15.10.: * Mathieu Demy); zudem war es ein designiert kommerzielles Unterfangen: der Film sollte – auch – Demys Befähigung zum de Brocka’en demonstrieren, im langen Lauf, um Demys Schaffen zu deklischeisieren; und schließlich: es war, in all dem, eine Gefälligkeit für Marcello Mastroianni (und damit Catherine Deneuve), der zu jener Zeit versuchte, seine Karriere nach Frankreich auszuweiten und deshalb nach einem Projekt für ein weiteres Publikum suchte. Der Film konnte denn auch ungewohnt rasch realisiert werden: Ob der Kombination Deneuve-Mastroianni fand sich gleich ein Produzent, der schnell einen italienischen Co-Produzenten ‚ranschaffte, gedreht wurde im Frühjahr ’73, im September des Jahres startete der Film in Frankreich.
(Dabei sollte man vielleicht noch folgendes Bedenken: „The Pied Piper“ war damals in Frankreich noch nicht gestartet, dort war also „L’Événement le plus important depuis que l’homme a marché sur la lune“ Demys erster Film post „Peau d’ane“. Das verschob wahrscheinlich die Rezeption: ohne die Erfahrung von „The Pied Piper“ – der Alb nach dem Traum; Dämonen, wo Feen flatterten – Dunkelheit und Gottesferne, Menschen Angst, Hybris und Bestrafung – wirkt „L’Événement le plus important depuis que l’homme a marché sur la lune“ anders, weniger demütig, bedächtig, beseelt, sehnend).
Berthome spekuliert schließlich darüber, fast entschuldigend, daß der Film Demy wohl auch nicht allzu nahe, wirklich wichtig, wesentlich gewesen sei, da er sehr viele Kompromisse einging, auf die er sich ansonsten sicher nie eingelassen hätte: Das ursprüngliche Drehbuch wurde wohl in vielen Teilen entschärft, zeit-, sozialkritische Spitzen wurden stumpf-, oft gänzlich abgeschliffenen, so daß aus einer rasanten Satire, einer Screwball Comedy a la francaise etwas…: anderes wurde, mittenmang Mireille Mathieu an der Quetschkommode. Daß ihre Gegenwart aus dem Film herausfällt, sie, gefühlt, nicht in das Konzept, den Kosmos paßt, der angeblich für sie passender gemacht worden war – incl. gewisser Umdichtungen des Lieds ‚Mon Paris‘ -, ist bezeichnend. Will sagen, fragen: Waren die Änderungen im Drehbuch wirklich Kompromisse?
Vielleicht sollte man „L’Événement le plus important depuis que l’homme a marché sur la lune“ gar nicht als Farce, Satire, was auch immer für eine Unterkategorie von forcierter Komödie betrachten, sondern als ein klassisches Kleinbürgermelodram – ein shomingeki -, dessen Personage mit ungewöhnlicheren Umständen zu Rande kommen muß. Oder auch: Wie immer bei Demy geht es um die Wirklichkeit der Sehnsucht im innersten Selbst der Realität.
„L’Événement le plus important depuis que l’homme a marché sur la lune“ ist – bei aller Spinnertheit, allen Volkstheatersurrealispelchen – vor allem: gemütlich, gemütsvoll, gemächlich, entspricht damit, wenn auch idealisiert – in einem Film der Ideale und Wünsche – der kleinen Welt, in der er spielt, die der Kleinbürger des Montparnasse, der Sträßchen und Ecken zwischen der avenue du Maine und der rue de la Gaite, wo Demy den Film drehte, wo sich das Hürchen und die Gemüsehändlerin im Frisiersalon treffen und tratschen: der Welt zwischen dem Modischen, nach dem man sich sehnt, und all den kleinen Kompromissen und Klimmzügen, die man in Kauf nimmt und macht, um dieses ferne fremde Jetzt mit dem eigenen Grad(-So) irgendwie zusammenzukriegen, da sind dann die Stoffe etwas gröber und die Muster etwas steiler und die Farbpaletten etwas greller und die eigene aufgetüllerte Gegenwart wirkt ab und an etwas befremdlich neben dem schraddeligen Küchentisch. Und alle Ecken sind überhaupt auch, ja, ein bißchen voller, man hängt an den Dingen, daran, wie sie sind, wie’s ist: und am Ende ist’s eigentlich auch gut, daß man sich immer ein wenig strecken muß, so bleibt man bedächtig. Demy liebt diese Welt – wie so viele andere: denn er liebt die Welt, das Leben -, und er gibt ihr all den Raum zum Werden, den’s braucht: so wird wenig verdichtet und viel gedehnt.
Und so bekommt der double take bei Demy eine ganz wirr brechtianische cum krypto-cicero’ide Drehung: Es geht, ganz materiell, um den Zeitraum zwischen dem Erkennen des Witzes durch den Zuschauer und der Erkenntnis ihrer Lage durch die Filmfigur.
Es bricht keine (nun gut, nur ganz kurz…) laute Hysterie aus, als Marco, der Fahrlehrer, erfährt, daß er im vierten Monat schwanger ist, ob von Irene, der Besitzerin des Frisiersalons, seiner Gattin, weiß man nicht: man staunt viel mehr und bestaunt ihn, und wundert sich, und macht sich bei all dem eher mal nützlich als daß man dumm rumsteht. Sein Gynäkologe meint, daß waren eben die Umwelteinflüsse, da sind die Hormone gekippt, da passiert so was dann halt, was irgendwie auch nach Unbefleckter Empfangis durch Umweltverschmutzung klingt. Marco wird zur Sensation gemacht, da draußen in der modernen Welt, da sorgt der Onkel Gynäkologe für, während man sich daheim mehr damit beschäftigt, wie’s weiter gehen soll, worauf es eigentlich immer nur eine Antwort gibt, nämlich, So halt.
Marco ist auch nicht allein mit seinem Kinderwunsch, alle möglichen Manner, darunter kräftig-derbe Burschen, finden sich plötzlich schwanger wieder: ein Bauarbeiter greift sich ahnungserfüllt an den Bauch und laßt sich selig lächelnd langsam nieder.
Am Ende erweist sich Marcos Schwangerschaft, wirklichkeitsgemäß wie melancholisch, als Illusion: Hat er von Kindern aus seinem Leib geträumt, sich nach der konkreten Erfahrung des Gebarens gesehnt, warum glaubt ein Mann, er sei schwanger, und das nicht nur einer, sondern viele? Demy hatte angeblich ein anderes Ende gedreht, in dem Marco das Kind kriegt, Babygeschrei war zu hören, doch das fand man bei der Produktion angeblich zu radikal. Aber: Ist das Ende jetzt nicht ungleich radikaler, da der Film nicht von einer verschrobenen Begebenheit erzahlt, sondern von einem möglichen konkreten Sehnsucht wie deren Scheitern?
In Demys Kino geht es immer wieder um Fragen von Geschlechterrollen und sexuellen Identitäten: darum, wie sie die Menschen einzwangen, in Entweder-Oder-Konstellationen zwingen, in Ketten des Verzichts, der Ablehnung, wo doch alles anders sein könnte, summt’s immer wieder im Subtext. (Es war denn im übrigen auch kein Zufall, daß man von japanischer Seite Demy die Regie von „Lady Oscar“ anbot: da hatte man dieses Moment in seinem Schaffen namlich sehr genau erkannt.) Sexuelle Transgressionen, Perversionen, bis hin zum Inzest – allein, was da in „Peau d’ane“ passiert! -, spielen immer wieder entscheidende Rollen in seinen Fabeln: thematisiert wird darin das Perverse der Ordnung, die sich auf eine Natur beruft, die doch bloß menschendefiniert ist, zelebriert wird die Vielgestaltigkeit, daß eine/r Verschiedenes sein kann zu verschiedenen Zeiten für verschiedene Menschen, daß sich Rollen tauschen lassen für eine gewisse Zeit und dann wieder zurück- oder mit wem anderes getauscht werden können, oder daß man zwei drei vier Rollen gleichzeitig spielt: daß die Grenzen fließen, und daß noch nicht einmal mehr manichäisch-drückend standig das eine und das andere gegenwärtig sein müssen, daß es manchmal auch gut ist, wenn es nur von einem viele/s gibt.
In „L’Événement le plus important depuis que l’homme a marché sur la lune“ wird es also Demy-Ernst, ernster als je zuvor, denn nie war Demy dem Realismus näher als hier: für einige Zeit siegt das Sehnen und das Wünschen und die Vernunft, der Möglichkeitssinn, gerade weil die Situation wie ihre Welt nicht der Lächerlichkeit preisgegeben, sondern dem Lacheln überantwortet werden. Die Subversion feiert Ausstände im Zusammenbrechen der Konventionen, des Genres: denn „L’Événement le plus important depuis que l’homme a marché sur la lune“ ist nicht das Kind eines Genres, sondern vieler, ein Zwitter, wie sein Macher, so seine Gattin, die ihn in „Demy 2000“ zum Geleit als Zypresse und Mimose beschrieb.