If it’s the Madonna who says so
In Tag Gallaghers 900-seitiger Rossellini-Biographie erfährt man Einiges über den Entstehungs- und Rezeptionskontext seines vermeintlich reaktionären letzten Kinospielfilms Anno uno, der vergangene Woche im Arsenal lief und von Lukas Foerster nicht zu unrecht verteidigt wird. Rossellinis Film über Alcide de Gasperi war vom Parteichef der Christdemokraten Amintore Fanfani und dem mindestens nationalkonservativen Industriellen Edilio Rusconi initiiert worden. Rossellini entwickelte Anfang der 1970er erstaunlich disparate Projekte und Kooperationen: mit dem American Film Institute war ein Film über die Amerikanische Revolution in Vorbereitung, der Washington, Paine und Turgot in ein ideengeschichtliches Gespräch verwickelt hätte; es gab ein Diderot- und ein Marx-Projekt; 1973 hoffte Rossellini, dass der Shah von Persien, Mohammed Reza Pahlavi, einen Film finanzieren würde, der den Arbeitstitel „Die Geschichte des Islam“ trug; durch Vatikan-Kontakte war Rossellini Anfang der 1970er Jahre auch bereits mit dem TV-Produzenten Father Patrick Payton im Gespräch, der am Messias-Projekt interessiert war. Gallagher behauptet, Payton sei unvermittelt in Rossellinis Hotelzimmer aufgetaucht und hätte, während sich die Geliebte des Regisseurs, Silvia D’Amico, auf dem Bett räkelte, Rossellini mitgeteilt, dass ihm die Madonna erschienen sei, mit der Botschaft: „You must make a film on the Messiah and the director has to be Rossellini.“ Darauf Rosselllini: „Well, if it’s the Madonna who says so…“. Silvia D’Amico war es auch, die in Anno uno als executive producer fungierte. Die D’Amico-Familie wurde dem Visconti-Clan zugerechnet; um mit Silvia D’Amico zu leben, der er ausgerechnet am Sterbebett von Anna Magnani näher gekommen war, verließ Rossellini nicht nur seine Frau Sonali, sondern brach auch mit einer ganzen Reihe politischer Freunde, die ihn nun auf der falschen Seite wähnten und sich mit dem Gasperi-Projekt doppelt bestätigt sahen. Die Unterschrift bei Rusconi, den die Linke als Neo-Faschisten betrachtete, war die lukrativste in Rossellinis Karriere. Hinzukam, dass der überzeugte Antikommunist Gasperi, der unter Mussolini über ein Jahr inhaftiert war, bevor er sich dann in die Bibliothek des Vatikans zurückzog, von der italienischen Linken als historische Schlüsselfigur des bürgerlichen Transformismo betrachtet wurde, der die Ideale der Resistenza in eine zwar post-faschistische, aber kapitalistische Gegenwart überführt, also verraten hatte (in Anno uno spricht Gasperi – ob den Diskursen der Zeit oder Rossellinis Haltung geschuldet – von Jesus als dem „ersten Proletarier“). Anno uno steht der historischen Figur Alcide De Gasperi wohl eindeutig zu unkritisch gegenüber – beispielsweise was seine Rolle bei der Inhaftierung ehemaliger Resistenza-Mitglieder und der Freilassung von Größen des faschistischen Regimes anbetrifft. Davon unberührt bleiben jedoch Szenen wie jene im ruralen Süditalien, die Gasperi in einen Raum stellt, der seine demokratische Performanz ästhetisch und politisch einklammert, ihm den rationalen Kern, das Bemühen um gelingende Verständigung aber gerade nicht im Namen einer scheinrevolutionären Idee abspricht: der Rahmen des Bildes als Grenze einer Sprache, auf die auch die Linke nicht verzichten kann.