Samstag, 20.09.2008

Göttliche Komödie

September. Und schon die ersten Paletten Weihnachtsgebäck im Supermarkt. Zeit zu überlegen, was man sich vom Christkind wünscht. Schnell eine Liste machen, mit nie gesehenen Filmen: Gaslight (Thorold Dickinson 1939), Die Mücke (Walter Reisch 1954), Assassins et voleurs (Sacha Guitry 1956), Reisender Krieger (Christian Schocher 1981). Was noch? Anregungen für Wunschfilmlisten bietet die Webseite von Joe Dante, wo Leute wie John Landis, Allan Arkush und Larry Cohen die Trailer von einigen obskuren Filmen kommentieren. Stuart Gordon redet über Nightmare Alley (Edmund Goulding 1947), Katt Shea über The Egg and I (Chester Erskine 1947) und Joe Dante über Confessions of an Opium Eater (Albert Zugsmith 1962). Wenn Mary Lambert über Village of the Damned und Mark Pellington über Rosemary’s Baby sprechen, weckt sogar Bekanntes wieder Neugierde. Und Bewunderung: Eli Roth über Alfred Hitchcocks Trailer zu Alfred Hitchcocks The Birds.

Wenn wir das Problem der Karnevalisierung richtig verstehen wollen, müssen wir die simplifizierende Auffassung des Karnevals im Geiste der neuzeitlichen Maskerade oder gar der Bohème aufgeben. Karneval ist ein Weltempfinden des Volkes früherer Jahrtausende, wohlgemerkt des ganzen Volkes. Dieses Weltempfinden befreite von Furcht, näherte Mensch und Welt, Mensch und Mensch einander an, zog alle Menschen in die Zone des freien, intim-familiären Kontakts hinein. Die sich in diesem Weltempfinden ausdrückende Fröhlichkeit des Wechsels, die fröhliche Relativität stand der einseitigen und finsteren offiziellen Ernsthaftigkeit entgegen, die von Furcht geboren, von Dogmen beherrscht, die dem Werden und Wechsel feindlich gesinnt war, die den gewordenen Zustand des Seins und der Gesellschaft verabsolutieren wollte. Von solchem Ernst befreite das karnevalistische Weltempfinden den Menschen. Mit Nihilismus, Leichtsinn und trivialem Individualismus hatte das nichts gemein.
Will man den Karneval richtig verstehen, muss man seine Anfänge und seinen Höhepunkt betrachten: die Antike, das Mittelalter, die Renaissance.

Die Gestalt des Todes in der Groteske des Mittelalters und der Renaissance schließt stets ein Element des Komischen ein (das gilt auch für die darstellenden Künste, zum Beispiel für Holbeins Totentanz oder für Dürer). Der Tod ist immer mehr oder weniger ein komischer Popanz. Spätere Zeiten und besonders das neunzehnte Jahrhundert verlernten es, das Moment des Lachens aus solchen Gestalten herauszuhören. Sie fassten diese Gestalten ausschließlich und einseitig auf der Ebene des Ernstes auf, wodurch sie verflacht und entstellt wurden. Das bürgerliche neunzehnte Jahrhundert hatte nur für das rein satirische Lachen Respekt, das im Grunde ein lachfeindliches, rhetorisches Lachen war: ernsthaft und belehrend (nicht umsonst wurde es mit der Geißel oder der Rute verglichen). (Michail Michailowitsch Bachtin)

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