Donnerstag, 10.09.2009

Editorial

Damals, dachte ich, obwohl, jetzt, wo ich das hinschreibe, kommt es mir komisch vor, dass ich wirklich „damals“ gedacht haben soll. Leute, deren Gedanken mit „damals“ beginnen, sind mir nicht besonders symphatisch, und lieber als unsymphatisch wäre ich mir symphatisch, das geht wohl den meisten so. Jedenfalls brachte mich das letzte Editorial, das Frodon in den Cahiers schrieb, darauf, an diese andere Zeit zu denken, an dieses „damals“, das sicher nicht besser als heute war, wie es die Damalsdenker (stelle ich mir vor) sich vorstellen. Es war wohl einfach nur anders schlecht oder von mir aus auch anders gut oder anders genauso, aber eins muss man schon sagen, wenn man dieses Cahiers-Editorial liest und dann eine andere Zeitschrift aufschlägt, also zum Beispiel die Zeitschrift „film“, deren Chefredakteur in der zweiten Hälfte der 60er Jahre Werner Kließ war und der in einer anderen, aber vielleicht vergleichbar anderen Situation vom Verleger Erhard Friedrich rausgeschmisssen worden war: Es ging offener zu seinerzeit, was ja nicht per se besser sein muss, aber einen weniger schalen Beigeschmack erzeugt als dieses Cahiers-Editorial vom Frodon, dessen Namenspseudonym er sich vom Haupthobbit aus dem Herrn der Ringe ausgeborgt hat, aber das tut hier nichts zur Sache, dem jedenfalls sinngemäß oder mehr als nur sinngemäß, nämlich beinahe wörtlich nichts Scheinheiligeres zu schreiben einfällt, als dass ja Veränderungen eigentlich immer gut sind und dass der Verkauf der Cahiers nichts anderes als eine exzellente Neuigkeit sei und er nun hier also sein letztes Editorial schreibe und auch das natürlich toll ist, der also nach all dem Hickhack und den nach allem was man hört höchst unschönen Auseinandersetzungen nicht die leiseste Andeutung davon macht oder machen kann, dass wahrscheinlich Bösartigkeiten im Quadrat, Ränkespiele und böses Blut im Spiel sind und waren und ihnen und ihm nun schlussendlich die ganze Scheiße um die Ohren geflogen ist. Ich will ja gar nichts über diese Bösartigkeiten und Ränkespiele lesen, das ist es nicht, aber ich will auch nicht lesen, wie jemand, anstatt einfach zu sagen, was los ist, in jeder einzelnen Silbe so tut als ob, weil ich dann gleich denken muss, er tue vielleicht immer nur so als ob oder habe jedenfalls immer mal wieder nur so getan als ob, etwas Ernsthaftigkeit sollte schon sein, meine ich, ein bisschen Respekt vor dem Leser oder vielmehr vor sich selbst und sonst halt schweigen, das geht immer. Ich hielt also neben dieses Cahiers-Editorial vom Juli 2009 die Januarausgabe von 1970 der Zeitschrift „film“ und las die Notizen „Zwischen den Heften“ von Henning Rischbieter, der 1960 „Theater heute“ gegründet hatte und nun, zum Anfang 1970 „film“ übernahm, wohl weil beide Blätter im gleichen Verlag, dem auch heute noch aktiven Friedrich-Verlag, erschienen. Auf drei Seiten wird da die Debatte bis zur unkittbaren Entzweiung von Friedrich/Rischbieter hier und Kließ sowie etlichen Autoren dort rekapituliert. Es geht darum, ob einzelne Autoren „klassenkämpferisch“ seien oder nicht, um einen umstrittenen Text von Kreimeier, um Uneinsichtigkeit und Radikalismen. Die Worte „Verkaufszahlen“, „Halbjahresbilanz“ und „privatwirtschaftlich“ kommen in diesem Text vor, auch Floskeln wie „Klarheit und Entschiedenheit des Urteils“. Eine schöne Stelle, die ich den Lesern nicht vorenthalten will, geht so: „Am 24. November schrieb ich allen bisherigen Mitarbeitern von ‚film’ folgendes: ‚Diesem Brief lege ich einen Abzug der Seite 1 aus dem Dezember-Heft von ‚film’ bei. Er bezieht sich auf thematische und personelle Veränderungen bei der Zeitschrift. Da ich vom Januar-Heft an bis auf weiteres die redaktionelle Verantwortung habe, möchte ich Sie ausdrücklich fragen, ob Sie bereit sind, weiterhin für die jetzt ‚Fernsehen und Film’ genannte Zeitschrift zu schreiben. Für eine schnelle Antwort wäre ich Ihnen dankbar. Natürlich hätte ich auch Verständnis dafür, wenn Sie sich erst nach dem Erscheinen der ersten Nummer des neuen Jahrgangs entscheiden würden.’ Dieser Brief wurde von Uwe Nettelbeck folgendermaßen beantwortet: ‚Lieber Herr Rischbieter. Wollen Sie mich auf den Arm nehmen oder wissen Sie nicht, was Sie tun? Einen so verrückten Brief wie Ihren habe ich schon lange nicht mehr bekommen. Zur Sicherheit notabene eine klare Antwort: natürlich nicht. Mit freundlichen Grüßen, Uwe Nettelbeck.’“ Und im Anschluss an Rischbieters Version der Geschichte folgt dann erstens die Einschätzung des abgesetzten Werner Kließ („Gegenerklärung“), zweitens eine Erklärung der Autoren, die sich mit Kließ solidarisch erklären und zuguterletzt die Meinung vom Verleger („Antwort auf Werner Kließ“), der das ganze Zeitschriftendings umbauen und zu einem Fernsehblättchen, so sagt er es natürlich nicht, machen will, was dann auch geschah, bis „Film und Fernsehen“, nicht sonderlich viel später, ganz eingestellt wurde, nachdem es sich zunächst in so etwas wie die „Prisma“ verwandelt hatte, das Gratisbeilageblättchen, mit dem ich es als im Schatten des Kölner Stadtanzeigers Großgewordener in den ersten 19 Jahren meines Lebens zu tun hatte. Der zitierte Uwe Nettelbeck hatte übrigens, das hier nur am Rande, als letzten Beitrag in der Zeitschrift „film“ im Oktober 1969 einen immer noch lesenswerten Text mit dem Titel „Wolfram Schütte ist doof. Ein kurzer Artikel“ publiziert, der Schüttes Besprechung von „Once upon a time in the West“ zum Gegenstand hat und von Wolfram Schütte in seinem Nachruf auf Uwe Nettelbeck nicht erwähnt wird, aber, so mutmaße ich, für den Tonfall dieses Nachrufes mitverantwortlich sein dürfte. Zurück zur Öffentlichkeit um 1970, die, das muss man den Friedrichs und Rischbieters hoch anrechnen, es zuließ, eine Auseinandersetzung über die Linie eines Heftes im Heft selbst stattfinden zu lassen. Ich schreibe jetzt hier noch einen Absatz aus Kließ’ Erwiderung hin, dann bekommt man einen guten Eindruck oder hat vielleicht selbst Lust, das einmal nachzulesen in der Bibliothek, eine Lust, die einem beim Wischiwaschi des Frodon beim besten Willen nicht überkommt und die einen bereits jetzt im Vorhinein enttäuscht sein lässt, wenn man, einmal kurz gedanklich ins Jahr 2049 gesprungen, in den Editorials von vor 40 Jahren nachlesen möchte, wie das eigentlich vor sich ging mit dem Niedergang und Verkauf der Cahiers im Jahre 2008/2009, bevor die Zeitschrift es dann im Jahr 2012 ganz sein ließ, Gott hab sie selig. Kließ: „Der Streit darum, ob die von mir redigierte Zeitschrift ‚klassenkämpferisch’ war oder nicht, inwiefern sie nicht vereinbar war mit der ‚reformistischen’ Linie des Verlages, hat etwas Lächerliches, wenn man bedenkt, was der Verlag in Zeitschriften verbreitet, von denen er seine wirtschaftliche Stabilität vor allem erhofft (in Auflagen, die höher sind als die von ‚film’, ‚Opernwelt’ und ‚Theater heute’ zusammen). Zum Thema Mitbestimmung steht in ‚feminin’: ‚Jede gute Sekretärin kennt ihren Einfluß auf den Chef. Jede gute. So ist es bei den meisten Berufen. In unserer offenen Gesellschaft gibt es eine Menge Aufstiegschancen, die sich nutzen lassen. Aufsteigen aber heißt: in die Mitbestimmung hineinwachsen. Ohne Gewerkschaften, ohne die Krücke einer erzwungenen Mitbestimmung bestimmt, wer viel kann, viel mit. Auch das ist eine Art Mitbestimmung. In der Hitze des Wortgefechtes sollten wir uns bewußt halten, wie vielfältig sich das unbestimmte Wort Mitbestimmung anwenden läßt.’ Als ich im Sommer Erhard Friedrich auf diesen Kommentar hin ansprach, hat er diese Interpretation der Mitbestimmung (als eine von vielen, versteht sich) verteidigt. Die Zeitschriften des Herrn Friedrich sind offen für alle Richtungen, auch für die dreiste Verkehrung politischer Begriffe ins Gegenteil. […] Wenn Erhard Friedrich seinen intellektuellen Mentor Rischbieter um Rat fragt, hält Rischbieter das für einen Akt von ‚innerer Demokratie’. Wenn Erhard Friedrich einen vernünftigen Rat seiner Sekretärin aufgreift, hält er das für Mitbestimmung. Nein, lieber Uwe, die wollen uns nicht auf den Arm nehmen, die meinen das wirklich so.“ Kließ wurde dann, wie ich anderswo lese, Dramaturg und Produzent bei der Bavaria und danach Redaktionsleiter beim ZDF, wo er für die Serien „Derrick“, „Der Alte“, „Ein Fall für zwei“ und „Kottan ermittelt“ zuständig war. Seit 1998 malt er, autodidaktisch, heißt es auf seiner Website, Bilder, die man, wie ich hinzufüge, mögen muss.

So war das damals.

6 Kommentare zu “Editorial”

  1. Rainer Knepperges schreibt:

    Ich glaube nicht, dass das geht, „einfach zu sagen, was los ist“. Wenn einer als Verlierer dasteht, wie Frodon in diesem Fall, dann wählt er die Pose des Unangefochtenen, wohl weil er ahnt, dass sogar der interessierteste Leser „ja gar nichts über diese Bösartigkeiten und Ränkespiele lesen“ will, die allerdings in der Beschreibung eines Machtkampfes, heute wie „damals“, das genau Beschriebene sein müssten.

    War nicht Nettelbecks „… natürlich nicht …“ nur deshalb so cool, weil sein Ich-hab’s-nicht-nötig auf solidem Fundament stand. Und ist nicht auch das, was du von Kließ zitierst, nur deshalb so überzeugend, weil „die dreiste Verkehrung politischer Begriffe ins Gegenteil“ ein sauber belegbarer Vorgang ist – auf dem Papier. Fraglos unschön anzusehen sind Kämpfe um Macht und Anerkennung. Eine ewige Katastrophe.

    „Wenn viele Menschen beisammen sind, muss man sie durch Riten voneinander trennen, sonst massakrieren sie einander. Das Kino bewies das Gegenteil. Dieses überaus gemischte Publikum schien weniger durch eine Festlichkeit vereinigt zu sein als durch eine Katastrophe, die Etikette war tot und gab endlich den Blick frei auf das wirkliche Band zwischen den Menschen, auf die Anhänglichkeit.“ (Jean-Paul Sartre: Die Wörter)

  2. Volker Pantenburg schreibt:

    Du hast recht: Ich glaube auch nicht, dass „einfach zu sagen, was los ist“ eine wirkliche Option ist. Vielleicht kann man mit etwas mehr gutem Willen als ich ihn in diesem Fall angebracht fand, in Frodons Pose des Unangefochtenen sogar etwas Souveränes erkennen. Aber irgend etwas, ein kleiner Widerhaken, oder sei es von mir aus eben das Schweigen, müsste doch möglich sein. Wenn der Beleidigte und Erniedrigte genauso klingt wie der Hocherfreute, kann man es auch ganz lassen mit dem Schreiben und Lesen.

  3. knoerer schreibt:

    Ich finde ja sehr wohl, dass das nicht nur geht, sondern auch gehen muss: Sagen, was los ist. Allerdings höre ich jetzt schon das zweite Mal innerhalb von zwei Tagen, dass so etwas nicht geht. Von jeweils sehr aufgeklärten Geistern, die ja also vielleicht Recht haben, realistisch und pragmatisch betrachtet. Ich habe viel Balzac geleseen die letzten Wochen, insbesondere die „Verlorenen Illusionen“. Damals, also „damals“ (1822), ist das die Lektion, die Lucien de Rubempré (eigentlich: Chardon) da ohne Ende erteilt wird: dass er um Gottes Willen nicht schreiben kann, was los ist und was er denkt. So schreibt er dann gleich beide Seiten einer polemischen Auseinandersetzung unter Pseudonym. (Und den dritten Text, der die Positionen versöhnt, sogar auch noch.) Schon auch toll, dieses ganze Herumheucheln und Fintieren, irgendwie. Aber so moralistisch und sonstwie altmodisch bin ich schon, zu finden, dass man seine Energien für Eigentlicheres aufwenden wollen müssen sollte. Also das Zustechen mit Dolch und Florett. Das Wolfram-Schütte-ist-Doof-Schreiben. Und so. Das Editorial zur ersten Delorme-Ausgabe der Cahiers ist auch nur so blabla. Hat ja aber vielleicht dann auch nichts zu bedeuten. (Und die Cahiers haben noch viel weniger Werbung als Cargo. Nämlich quasi garkeine, außer Loreal auf der U4. 2012 ist möglicherweise optimistisch.)

  4. Rainer Knepperges schreibt:

    Ich wiederhole: Zu sagen, was los ist, ist nicht einfach. Anzeigen zählen, schon eher.

  5. Werner Kließ schreibt:

    Hallo Herr Pantenburg,

    ich habe sehr geschmunzelt über Ihren Beitrag zu den Affären Cahiers/Film. Oh je, wie liegt das lange zurück! Es stimmt, man hat Klartext geredet. Ich habe Rischbieters Mut, seinen Rundbrief an die Autoren samt Nettelbecks höhnischer Antwort abzudrucken, durchaus respektvoll zur Kenntnis genommen. Rischbieter und Friedrich haben nichts verschwiemelt, immerhin. Das war auch damals nicht selbstverständlich. Friedrich hat übrigens, wie ich mich zu erinnern glaube (ich habe jetzt nicht nachgelesen), durchaus eingeräumt, daß ich mich um die wirtschaftlichen Belange der Zeitschrift stets gekümmert habe. Das sei jenen gesagt, die glauben, eine Zeitschrift könnte von Luft und Liebe leben und Verkaufziffern wären was für die Erbsenzähler. Leicht verbindet sich das mit einem Seitenhieb auf Nettelbecks solide finanzielle Situation. Das geht an den Verhältnissen vorbei. Der Friedrich-Verlag war nicht reich, er musste jede seiner Zeitschriften rentabel zu führen versuchen, „film“ hat sich mal eben so getragen bei minimal aufsteigender Tendenz. Mit diesem links-verdächtigen Dreck freilich wollte Friedrich denn doch kein Geld verdienen. Es kamen ja noch andere Dinge dazu, meinem Gefühl nach hätte Friedrich einen soliden Linken vielleicht irgendwie (wenn er da einen diskret distanzierenden Vortext verfasst, dort „Gast-Kommentar“ drüber schreibt) sogar verkraftet, aber nicht einen Abenteurer, der dann auch noch Praunheim und Schröter über ihre Liebesspiele plaudern läßt. Und solche Sachen.

    Die (allesamt freien) Autoren der Zeitschrift „film“, ob bei Redaktionen im Brot oder freischaffend, erhielten Honorare, die äußerst gering waren. Jeder Autor, ob reich oder arm, leistete sich den (finanziellen, intellektuellen) Luxus, für eine Zeitschrift zu schreiben, die offen und munter war. Deshalb haben sich nicht nur Nettelbeck, sondern 90 Prozent aller Autoren der Mitarbeit am Nachfolge-Blatt verweigert. Es war ihnen einfach zu blöd. Zum Glück sahen es die Leser auch so. Das Blatt ging ein an geistiger Auszehrung. Der einzige Mensch, der existenziell mit der Zeitschrift verbunden war, war ich. Auch meine Bezahlung war so mäßig, daß ich es sehr nötig hatte, mir beim Funk und bei Tageszeitungen was nebenher zu verdienen.

    Es war eine Differenz der politischen Positionen, wobei ich mich stets als Liberalen (natürlich nicht im Sinne jener Partei) gesehen habe, ich habe meine Liberalität nur ernster genommen als Rischbieter und Friedrich, was allerdings, wie ihre Texte zeigen, keine bedeutende Leistung von mir ist. Meine linken Freunde haben mir gegenüber sogar auf ihr liebstes Schimpfwort „Scheißliberaler“ verzichtet.

    Mir ist nur ein Satz in Ihrem Artikel nicht klar. Der Satz, man müsse meine Bilder mögen, ist doch wohl ironisch gemeint. Nicht wahr?

    Schöne Grüße

    Werner Kließ

  6. Rainer Knepperges schreibt:

    Zu undeutlich habe ich wohl gesagt, dass ich mir statt einfacher XY-ist-doof-Sätze genaue Beschreibungen von Kämpfen wünsche. Nun werde ich, mangels Glauben, Heftqualität sorge stets für gerechte Anzeigenmenge, zu „jenen“ irgendwie Doofen gezählt. Dabei gehöre ich doch ganz im Gegenteil zu denen, die (statistisch nicht erfasst) immer und immer wieder in alten FILM-Heften herumschmökern.

    Wird man aber in vierzig Jahren noch nachlesen (können), was jüngst für den Tonfall im Streit zwischen Knörer und Schütte mitverantwortlich war und unerwähnt blieb?

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