Ohne Ziel
Hans Albers mit Versuchsobjekten. Vom Teufel gejagt (Viktor Tourjansky 1950)
Es war ein besonders tiefer Wühltisch, eher ein Käfig als ein Tisch, in dem ich, ohne zu wissen was ich suchte, diesen Fund machte. Eine seltsame, weil deutsche Variation von Stevensons „Strange Case of Dr. Jekyll and Mr. Hyde“ – das versprach die hässliche Hülle der DVD. Und tatsächlich erzählt dieser Schwarzweißfilm vom Verderben eines Wissenschaftlers.
Mein schlimmster Fehler bestand lediglich in einer gewissen Neigung zu ungestümer Heiterkeit, die für viele Glückseligkeit bedeutet, die ich aber nur schwer in Übereinstimmung bringen konnte mit meinem gebieterischen Verlangen, hocherhobenen Hauptes in der Öffentlichkeit eine ungewöhnlich ernste Miene zur Schau zu stellen. (Robert Louis Stevenson: „Dr. Jekyll und Mr. Hyde“, 1885; übersetzt von Wolfram Benda, dtv)
Nach dem Selbstversuch. Im Regen, im Anzug, in Trance…
Schon oft ist die Geschichte dieser Verwandlung erzählt worden, doch hier ist sie selber ganz verwandelt. So als müsse die schöne weltweite Gültigkeit der englischen Erzählung erst sorgsam in die deutsche Kultur eingepasst werden, so hat sich dieser Dr. Jekyll assimiliert und ist ein Dr. Mabuse geworden. Ihm geht es nicht um die Aufspaltung der menschlichen Doppelnatur, sondern um Konsolidierung eines Unternehmens, Rettung seiner vom Konkurs bedrohten Klinik. Merkwürdig schlüssig ist die Paradoxie, dass der Held seine umnachteten Befehle erst anderen und zuletzt sich selber gibt. Nicht das Unbewusste kommt zu seinem Recht, sondern blinder Gehorsam gedeiht im Weichfeld guter Absichten.
Das Gesicht des Hauptdarstellers ist die Sensation des Films. Vergleichbar mit den unvorstellbaren Sachen die Mitchum in The Night of the Hunter macht, lässt hier Hans Albers seine sympathische Natur entgleiten – ins Glasige und Grausame, ins Finstere und Fiese. Die Tasse, die ihm gleich darauf à la Bresson zu Bruch geht, hat dann beinah beruhigende Wirkung.
Telefon (5)
So sonderbar wie Lil Dagover – seltsame Gräfin und spinnerte Lady – so grotesk ist ihr weißes Telefon. „… das Groteske, das heißt: die Mischung von Erhabenem und Lächerlichem, die allen Menschenwesen eigen ist.“ (Victor Hugo)
Vom Teufel gejagt war der 100. Film des Regisseurs Tourjansky, dessen Filmographie 1912 in Russland als Darsteller und 1914 als Regisseur begann. In unzähligen seiner frühen Filme war Nathalie Kovanko, seine Ehefrau, sein Star, bis ihm 1931 auf der Terrasse des Cafe de la Paix die geheimnisvolle Simone Simon begegnet. Der Exilrusse reiste vielbeschäftigt zwischen Paris und Hollywood (als Victor) und Berlin (als Viktor) hin und her. Erst 1938 entschied er sich ganz für die Arbeit in Deutschland. Man möchte sagen: falsch. Der „Routinier“ war UFA-Regisseur, Bavaria-Regisseur, und man muss wegen des Hetzfilms Feinde (1940) sagen: auch Nazi-Regisseur.
Interessant wäre vielleicht ein Blick auf die 10 Jahre erfolgreiche Arbeit des Duos Emil Burri (Drehbuch) und Tourjansky (Regie und Drehbuch): Eine Frau wie du (1939) Der Gouverneur (1939) Feinde (1940) – alle mit Brigitte Horney. Und die folgenden: Tonelli (1943), Orientexpress (1944), Liebeswirbel / Dreimal Komödie (1944/1949), Der blaue Strohhut (1949) – alle produziert von Georg Witt, dem Ehemann von Lil Dagover. In kleinen Rollen immer mit dabei: der Schauspieler Joseph Offenbach. Ob man beim Anschauen der Filme raten könnte, wann zwischendrin der zweite Weltkrieg endete?
Erst nach Vom Teufel gejagt (1950): plötzlich eine Zäsur – in der Zusammenarbeit. Emil Burri bildete später ein Drehbuch-Gespann mit Johannes Mario Simmel. Georg Witt fand Mitte der 50er ein neues Erfolgsrezept: Filme mit Liselotte Pulver unter der Regie von Kurt Hoffmann. Toujanskys letzter Film, 1962 in Italien gedreht, hat den schönen deutschen Titel: Cleopatra, die nackte Königin vom Nil.
Im ersten Stock seiner Privatklinik hat der Irrenarzt seine Privatwohnung, wie hinter Gittern.
Der Kriminalkommissar (Joseph Offenbach) betritt den Tatort, die Kneipe am Bahndamm, wie ein Gangster. Die Männer an seiner Seite postieren sich wie Bodyguards. Allerlei ist fremd.
„Der deutsche Nachkriegsfilm, von 1945 bis zum Beginn des Neuen Deutschen Films, gehört inzwischen zu den unbekanntesten Epochen der deutschen Filmgeschichte. Das negative Urteil über das Kino der Adenauer-Ära, über dessen Schnulzen, Heimat- und Schlagerfilme, hat auch die interessanten Filme verdrängt.“ Ulrich Kurowski schrieb das im Juli 1985 in epd Film und weckte damit damals Wünsche, die mir nicht alle in Erfüllung gingen. Ungesehen bis heute: Die Mücke (Walter Reisch 1954) und Verzauberter Niederrhein (Willy Zielke 1954).
Hier hatte der Film am 24.10.1950 seine Uraufführung: Hahnentor Lichtspiele, Köln, 1500 Plätze.
In jeder Hinsicht unkonventionell, weil Kurowski vor lauter ungestillter Neugierde auch das Eingeständnis der Wissenslücke nicht scheute, ließ er seinen Text mit einer Bitte an den Leser enden: „Ich suche auch noch Filme: Kronjuwelen (Franz Cap 1950), Das ewige Spiel (Cap 1951), Türme des Schweigens (Bertram 1952), Vom Himmel gefallen (Brahm 1955). Wer etwas über den Verbleib von Kopien dieser Filme weiß, möge dies bitte der Redaktion mitteilen.“
Vom Teufel gejagt hat einen wunderschönen Schluß: Der Affe schaut aus dem Käfig auf seinen Herren herab, dessen Augen im Tod nicht ganz geschlossen sind. Dem Tier und dem Toten ist eine gewisse Lässigkeit gemeinsam.
14.03.2011 13:19
Ein toller Beitrag! Schön auch das Zitat über das unerforschte Filmgelände. Das einzig Gute daran ist, dass wir da eben noch entdecken und forschen können, ohne dass alles schon zugeschrieben ist .
Möchte nur bei der Beschreibung des Ausgangsgesichtes von Hans Albers widersprechen. Denn nicht jeder empfindet es als sympathisch. Als ich es las, erinnerte ich mich, dass ich einen Mitschüler einmal tödlich beleidigte, als ich ihm bei einem Beleidigungsspiel anlässlich einer Geburtstagsfeier – nach genauen Regeln – den Namen „Hans Albers“ gab. Er hat sich fürchterlich gerächt…