Amerikanische Kinos (3)
Im Alamo Drafthouse nehmen die Kellner kurz vor dem Film die Bestellung auf, servieren im ersten Akt das Essen und die Getränke, bringen nach dem zweiten die Rechnung und nehmen die Kreditkarten mit, um spätestens beim Abspann die Quittung unterschreiben zu lassen. Dass dies nicht stört, ist zu gleichen Teilen der Unauffälligkeit des Personals und der Dienstbarkeitsarchitektur des Kinosaals geschuldet: Die Verkehrswege der Kellner sind tiefergelegt, statt durch die Sichtachse der Zuschauer laufen sie hinter dem Rücken der fünf Fuß tieferen Vorderreihe entlang.
Das Grilled Chicken Club Sandwich kann ich empfehlen, es kostet $ 9,99.
Im SXSW-Programm war mein Blick auf ROAD TO NOWHERE von Monte Hellman gefallen, eine Nachmittagsvorstellung um 5 pm. Zwei Stunden früher läuft ein anderer Film, INSIDE AMERICA, von einer österreichischen Regisseurin. Sechs Teenager an einer texanischen High School. Die Highschool-Schönheit, die in Wirklichkeit unglücklich ist, der schüchterne Idiot, die gangmäßigen Latino-Prolls. Deren Linien, man ahnt es, werden sich im weiteren Verlauf des Films kreuzen. Jetzt wird der österreichische Kontingenzfilm tatsächlich schon nach Amerika exportiert!
Hellmanns Film ist toll. Ludger Blanke hätte bei so einem Film landen können, wenn er weitergemacht hätte mit dem Filmen. Der TOD-DES-GOLDSUCHERS-Blanke, mit dem Aus-der-Rolle-Fallen und der unangestrengten Freiheit, die sich für das Erzählen daraus ergibt. Man würde das nicht denken bei ROAD TO NOWHERE, wenn man liest, dass hier zum x-ten mal die Geschichte vom Filmregisseur erzählt wird, der mit seinem Film nicht zu Rande kommt.
Der Film ist mit dem Canon-Fotoapparat gedreht, von dem seit Cannes 2010 alle reden. Ein krispes, beinah überscharfes Bild, das mich an den Moment erinnert, an dem ich als Jugendlicher meine erste Brille bekam. Ich wusste nicht (oder hatte es vergessen), dass die Welt auch in scharf existierte. Niemand hatte mich auf diesen Schock vorbereitet, aber ich gewöhnte mich daran so schnell ich mich hier an den neuen Bildtypus gewöhne. Ich würde sagen, dass die Glätte der Oberflächen und Konturen aus dem hochauflösenden Video kommt und die Raumverhältnisse aus dem klassischen Kino. Der Regisseur des Films, der in Hellmans Film gedreht wird, liegt zwischendurch dreimal mit der Hauptdarstellerin auf dem Bett und guckt Filme auf einem großen Plasma-Schirm. Einmal einen Noir mit Barbara Stanwyck, dann Erices SECRETS OF THE BEEHIVE, dann DAS SIEBENTE SIEGEL von Bergmann. Nach den Filmsichtungen ist er immer völlig erschöpft. »Fuckin’ Masterpiece« sagt er frustriert, als der Abspann von SECRETS OF THE BEEHIVE über den Bildschirm rollt.
Hellman selbst ist zur SXSW-Vorstellung nicht da, aber seine Tochter, die den Film produziert hat. Vor dem Film bittet sie um einen Applaus für Warren Oates’ Tochter, die auch im Saal sitzt. Als ich aus dem Kino komme, scheint die Sonne noch auf den Mall-Komplex, in dem das Alamo South Lamar liegt.
[Mittwoch, 16. März 2011, Alamo South Lamar, 1120 South Lamar Boulevard, Austin, TX 78704]