Die karnevalistische Wissenschaft
Jack Palance oder Anthony Quinn?
Attila, der Hunnenkönig oder Attila, die Geißel Gottes?
Welcher der beiden Filme aus dem Jahr 1954 war die Inspiration?
„Mein Lieblingsschauspieler war Jack Palance“, schrieb Peter Nau (Zur Kritik des politischen Films, 1978). Das Wahnsinnsgesicht des Amerikaners mit ukrainischen Eltern löste auch bei dem Kölner Horst Drenske etwas Folgenreiches aus, es kam zur Gründung der 1. Kölner Hunnenhorde, 1958. Das Außergewöhnliche dieses Vereins (und der vielen, inzwischen bald hundert anderen „Stämme“) war und ist die schillernde Verflechtung von Ethnologie, Kino und Karneval.
Die Stämme von Köln zeigen das Behagen in der Gegenkultur. Anja Dreschkes Film, der mehr ist als nur eine Ethnologie des Inlands, beschreibt und erlaubt das elementare Vergnügen sich selbst im Anderen wiederzuerkennen. Und so lassen sich vor den Toren der Stadt, wenn im Sommer die Hunnen und Mongolen ihre zahlreichen Lager aufschlagen, einige Visionen erhaschen – von dem Entstehen, der Blüte und Ausbreitung von Kultur – durch Kostümierung.
Die Beschäftigung mit etwas Fremden wirkt kindlich, wenn sie spontanem Wohlgefallen folgt. Es wird stattdessen ernst genommen, wer sich nur möglichst umständlich von oben über etwas beugt.
Bewunderndes Aufschauen, Imitieren und Sich-hinein-Versenken – all das gilt nicht als seriöse Erkenntnismethode, doch jede Kultur ist letztlich Schmuck und Schminke, Maskerade und Mobiliar: ein Gemisch aus Erfundenem und Erbeutetem.
Eigentlich schön, sich vorzustellen, dass sich die etablierten Instanzen des deutschen Dokmentarfilmfestivalbetriebs von diesem herrlichen Film pikiert abwenden, ganz so wie die großen uniformierten Karnevalsvereine an den faszinierenden Kölner Stämmen gebannt vorbeischauen.
Kino und Karneval sind lustige Geschwister der Religion. Denn auch das unbequemste Kostüm ist ein bequemes Heraus aus der nicht selbstgewählten Welt. In besonderen Fällen ein an- und ausziehbares Jenseits.
Kinostart heute in Köln. Festival-Premiere in London.