I Vinti (Italien 1953, s/w, 112 Min.)
Mir war nicht bewusst, was für ein Zensurfall Antonionis zweiter Spielfilm I Vinti (Die Besiegten) war – bis ich jetzt die italienische DVD bei ‚Minerva Classic’ samt Booklet in die Hände bekam. Stefania Parigi dokumentiert ausführlich „L’avventura de I Vinti“ und befasst sich insbesondere mit dem Schicksal der italienischen Episode. (Die englische Übersetzung begnügt sich leider mit einer kurzen Zusammenfassung des Artikels.) Beigefügt ist der DVD die Version der italienischen Episode (auch schon ein Kompromiss!) von den Filmfestspielen 1953 in Venedig – die dann nochmal stark verändert werden musste. (Letztere ist die Version, die man anschliessend in Filmclubs und Kinos zu sehen bekam.)
Antonionis Episoden-Film über jugendliche Delinquenten (‚I nostri figli’ sollte der Film erst heissen) nimmt Zeitungsnachrichten über sinnlose Verbrechen auf: den Mord an einem Schüler durch seine Mitschüler während eines Ausflugs auf das Land (in Frankreich), den Mord an einer älteren Prostituierten durch einen Neunzehnjährigen (in England), den Terrorakt eines jungen italienischen Faschisten (Achille Billi), der tot im Tiber aufgefunden wurde. (Das ursprüngliche Szenario entstand in Zusammenarbeit mit Giorgio Bassani und Suso Cecchi d’Amico.)
Die Frage stellt sich, was für die italienische Zensurbehörde und die katholische Filmproduktionsfirma so anstössig an dem eigentlichen Sujet war: ein junger Faschist begeht einen sinnlosen Anschlag (der dann den Kommunisten in die Schuhe geschoben werden kann), weil er die Ehre der Nation beschmutzt sieht und ein Zeichen setzen will. Es muss, nach über zwanzig Jahren Faschismus, tausende von Jugendlichen vor allem aus besseren Häusern gegeben haben, deren Gemütslage durchaus ähnlich war. Brisant ist diese Zensur vor allem auch deswegen, weil sich in dem ‚sinnlosen Terrorakt’ ja ein Muster abzeichnet, das nach ’68 wieder angewendet worden ist: den Anschlägen von rechts, die von den involvierten Geheimdiensten mitgesteuert und von den Sicherheitsbehörden sofort der Linken untergeschoben wurden. („Vier Bombenexplosionen in Mailand und Rom, bei denen allein an der Piazza Fontana in Mailand 17 Menschen getötet und 88 verletzt wurden, standen im Dezember 1969 am Anfang einer Serie von Anschlägen, die im August 1980 ihren Höhepunkt erreichte: Der Bombenanschlag auf den Hauptbahnhof von Bologna forderte 85 Tote und 200 Verletzte.“ Wikipedia unter dem Stichwort ‚Gladio’.) Auch erinnere ich mich an das trostlose Bild des armen Menschen – in der SWR-Dokumentation Gladio – Geheimarmeen in Europa (D 2010, 85 Minuten) –, der am Grab seiner Angehörigen steht, die er beim Anschlag auf das münchner Oktoberfest 1980 verloren hatte. (Die Öffentlichkeit war damals mit dem offiziellen Befund vom Einzeltäter abgespiesen worden, dessen Wahrheitsgehalt ungefähr auf der gleichen Ebene liegt wie der Satz der merkelschen Frohnatur: „Wir sind auf dem rechten Auge nicht blind.“)
Die Veränderungen an der italienischen Episode, die Antonioni 1952/53 zugemutet wurden, waren beträchtlich: der Terrorakt wurde verwandelt in blossen Zigarettenschmuggel – was nicht nur Nachdreh bedeutete, sondern auch Neu-Sychronisation von bereits gedrehten Szenen (der Dialog in der Garage zum Beispiel besteht nicht mehr darin, dass der Terrorist seiner Freundin Gesinnung und Tat offenbart, er spricht jetzt vom Bedürfnis nach Geld und gesteht, einen Menschen umgebracht zu haben). Die Zeitungsschlagzeile „Atto di sabotaggio al Polverificio Amadei“ ist ersetzt worden durch „Sanguinosa sparatoria a San Paolo tra i contrabbandieri e la Finanza“, u.a.m. Die Produktionsfirma fügte dem Film zudem einen Vorspann mit Off-Kommentar bei, der die Verfehlungen der Jugend brandmarkt und eine ungeschönte Darstellung der aufgenommenen Vorfälle verspricht.