Abschied von den Fröschen
Vor vielleicht zwei Jahren gab es im „Arsenal“ eine kleine Hommage an Ulrich Schamoni, die mit „Chapeau Claque“ eröffnet wurde. Ulrich Schamoni kam in Berlin ja in vielen Verkörperungen vor; als Filmemacher, Autor, Gründer und Betreiber einer Radio- und Fernsehstation – immer also auch als Hans Dampf in allen Gassen. Er ließ sich nicht auf ein Genre festlegen und man konnte sich auch nicht darauf verlassen, dass Schamoni nur gute Filme machte. Es gab schlimme Abstürze. „Chapeau Claque“ dagegen ist ein wunderbarer Film, der gar keinem Genre angehört – wenn es so etwas wie „Faulenzerfilme“ gäbe, dann gehörte „Chapeau Claque“ dazu. Der Film spielt in dem Haus von Schamoni, das er nur verlässt, um in den Garten zu gehen. Großenteils – oder vielleicht sogar nur – ist Schamoni mit einem Bademantel bekleidet. Man muss ein bisschen Geduld haben, aber dann entwickelt der Film einen unglaublichen Charme und ein Gefühl von großer innerer Freiheit. Das Problem der Faulheit ist von Schamoni so endgültig gelöst, dass selbst Wolfgang Neuss verzweifelt ausruft: „Du mußt doch ein Ziel haben, etwas machen.“ Nein, braucht er nicht. Wir gingen aus dem Kino wie auf Wolken.
„Abschied von den Fröschen“ ist die poetische Verklärung dieser Existenz, die natürlich in keiner Weise faul ist, sondern anderen Vorstellungen, einem anderen Lebensentwurf folgt. Ulrich Schamoni hatte die Diagnose „Leukämie“ bekommen und stellt nun in der Wohnung und im Garten Kameras auf, mit denen er sein Leben und seine Welt dokumentiert. Zunächst ist man Beobachter dieses Lebens, dann wird man zu Schamonis Gast und schließlich ein Freund. Schamoni erzählt genau, wann er was aufgenommen hat, wann er wieder bei einer Behandlung war, aber vor allem begrüßt er den Zuschauer bei sich zu Hause – er erzählt die Geschichte von Hermann dem Cherusker, packt Spielzeug aus, heiratet, hat Gäste, mault über Bauarbeiten in Nachbars Garten. Einige Kameras sind mit einem kleinen Motor ausgestattet, der die Kamera einen Schwenk machen lässt. Schamoni läuft mit dem Schwenk mit, kommt manchmal aus dem Bild, dann wieder hinein. Oft beugt er sich zur Kamera herunter, spricht zu den Zuschauern, die ihn doch sehen sollen. Wir Zuschauer werden wirklich gut und mit Respekt behandelt – das ist selten, in anderen Filmen werden wir nur noch überrollt und erschlagen von den Bildern.
Im Garten und im Haus sind kleine Figuren aufgestellt, die ihre ursprüngliche Bedeutung in diesem Kontext ins Poetische verändern. Jeder Tag ist etwas Neues, jede Stunde wird eine neue Zigarre angezündet. Das neue Jahr kommt, die Tür wird geöffnet – Schamoni bittet das neue Jahr zu sich hinein. Der Garten, die Frösche, Insekten, die Katze und die Früchte –alles spielt eine ganz eigene „Schamoni“-Musik, an der uns der Gastgeber teilhaben lässt.
Kleine dokumentarische Sequenzen aus dem Leben und den Filmen Schamonis beschleunigen den Fluss der Beobachtung. Die Montage kehrt dann wieder zu dem Hausherrn in seinem Aufzug, einem überdimensionierten Strampler, zurück.
Ulrike Schamoni hat aus etwa 150 Stunden Videomaterial einen 96minütigen Dokumentarfilm über ihren Vater montiert. In einigen Ankündigungen wird der Film als eine Dokumentation über das Sterben von Ulrich Schamoni angekündigt. Völlig falsch – das ist ein Film über das Leben, das Haus, den Garten, die wunderbare Welt des Ulrich Schamoni. So, wie Ulrike Schamoni ihren Film konzipiert hat, macht er Lust auf mehr Ulrich Schamoni. Wir möchten jetzt unbedingt eine DVD-Cassette mit seinen besten Filmen und ganz viel Bonus-Material.
Das Regenbogen-Kino zeigt in den nächsten Wochen noch mehr Filme von Ulrich Schamoni. Dafür ist mir kein Weg zu weit – und meiner ist wirklich sehr weit.
Werner Sudendorf