Dienstag, 30.04.2013

Der einsame Wanderer

“Now I lay me down to sleep
I pray the Lord my soul to keep
If I shall die before I wake
I pray the Lord my soul to take.”
Der junge Mann im Film “Der einsame Wanderer”(1968) von Philip Sauber kommt erst nicht über die zweite, dann nicht über die dritte Zeile hinweg. Immer wieder nimmt er einen qualvollen Anlauf. Und die vierte Zeile hören wir gar nicht. Das ist genau der Punkt, an dem auch der Film stehen bleibt. So scheint es mir jedenfalls, nach dem ersten Sehen an einem Abend mit hoher Erwartung und in schlechter Luft, im Hotel Bogota in Berlin-Charlottenburg. Ulrike Edschmid liest vor der Aufführung aus ihrem Buch „Das Verschwinden des Philip S.“ eine Passage über die Dreharbeiten dieses Films und ihre schönen Worte wecken in mir Bilder, die der Film nicht einlöst. Es scheint so, das wird auch bei der Diskussion nach der Aufführung deutlich, dass Edschmid von ihrem ehemaligen Lebensgefährten, der später in den bewaffneten Untergrund ging und unter nicht ganz geklärten Umständen 1975 erschossen wurde, ein Bild aufbewahrt, an dem sie mit einer Treue festhält, wie wir sie den geliebten Toten ja auch schuldig sind. Aber in diesem Fall ist es ein unerlöstes Bild, das sozusagen vor seinem Erwachen stehen geblieben ist.

Ein Kommentar zu “Der einsame Wanderer”

  1. Johannes Beringer schreibt:

    Thomas Giefer (erster Jahrgang DFFB, 1966) hat in der Diskussion – wo es um die (angeblichen) Anwürfe von links gegen den „Einsamen Wanderer“ ging (1968) – schon einen interessanten Punkt genannt: es gab halt ein paar Leute, die damals auch ästhetisch-politisch weiter waren. Zum Beispiel Straschek, „Hurra für Frau E.“, „Ein Western für den SDS“, oder Bitomsky, „3000 Häuser“, „Johnson & Co. und der Feldzug gegen die Armut“, brachen alte Erzählstrategien auf, hoben die einzelne Einstellung hervor, liessen Blöcke gegeneinanderstossen – während es im „Einsamen Wanderer“ ein eher aleatorisches Zusammenspiel und Zusammenfügen von Einstellungen gibt. Nicht harte, sondern weiche Montage – aber doch insofern auch avanciert, als diese Filmversatzstücke (aus dem Vampirfilm) das alte Erzählkontinuum aufheben oder in anderer Weise setzen. (Nicht zu vergessen, dass das alles ‚Übungsfilme’ waren, nicht unbedingt unter professionellen Bedingungen gedreht – und mehr als ‚Nullkopien’ wurden für die Studenten damals nicht gezogen. Deshalb sieht das alles so grizzlig aus.)
    Ich würde den „Einsamen Wanderer“ nicht nur vor dem Hintergrund dieser leerstehenden, windumsausten Villa auf Schwanenwerder sehen (da hatten hohe Nazis, darunter Goebbels, ihren Villen), sondern auch vor der heimatlichen Villa der Saubers an der zürcher Goldküste. (Die schweizer Bourgeoisie, sagte Jean Ziegler in den siebzigern, hat halt nie ihr Vichy erlebt – ein Satz, der natürlich sofort missverstanden wurde.) Hat also Philip Sauber da nicht, im März 1968 – in einer Art halluziniertem Realismus –, zwei Hintergründe zusammengedacht?

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