Umschlag Geschichte (Forts.)
Die „Aktion saubere Leinwand“ forderte angesichts der sogenannten sexuellen Revolution Mitte der 60er Jahre ein Eingreifen des Staates in die Filmproduktion. Zur gleichen Zeit ließen sich „filmkundige Politiker“ von Alexander Kluge überzeugen, es sei möglich, die vielbeschworene, verlorengegangene Qualität der nationalen Filmproduktion durch staatliche Förderung neu herzustellen. Die damit einhergehende Unterwerfung unter staatliche Kontrolle war von rechts nicht so recht durchzusetzen. Von links mit links.
Als illustriertes Magazin hatte „film“ auf seinen großformatigen Covers Platz für Kampf und Selbstbeherrschung. Im Februar 1967 hieß es im „Notizbuch der Redaktion“: „Eines bewirken unsere Nackedei-Titel nicht: Auflagensteigerung. Die formal überlegt arrangierte Nacktheit – wir haben darauf schon einmal hingewiesen – wird vom Publikum offenbar spontan richtig eingestuft. Verwechslungen mit Erotik-Magazinen finden nicht statt. Nur katholische Buchhändler fürchten die Verwechslung.“
Angesichts der formal überlegt arrangierten Nacktheit in Rolf Thieles Venusberg (1963) war es vorgestern im Kölner Filmhauskino ein Leichtes dahinter zu kommen, warum die Propheten des Neuen deutschen Films keinen anderen Vertreter des „alten“ und „toten“ so sehr verachteten wie Thiele. Man fürchtete die Verwechslung. Das alte und neue deutsche Kino sahen sich nämlich verteufelt ähnlich. (Ein Bildband, der sich den Badewannen und Hallenbädern in den Filmen der Neuen Wellen widmete, wäre unvollständig ohne die ans Schwimmbadfenster in Raureif gezeichneten Art-Brut-Figuren, durch die hindurch die nackten Künstlerinnen zu ahnen sind, in Thieles Venusberg. Fünf Jahre vor Wilps Afri Cola.)
Wer den Zustand des Kinos beklagt, offenbart lediglich, dass er die richtigen Filme noch nicht kennt. Das wurde vorgestern im Filmhauskino bewiesen mit Nordstadt (2004 Michael Kupczyk). Ich wusste nicht, dass es ihn gibt – den deutschen B-Film, in dem jede Szene ihren Reiz hat, und der etwas schon oft Erzähltes ganz zu recht noch einmal von neuem erzählt, mit glaubwürdiger Härte und überraschender Action, mit einer langen Verfolgungsjagd zu Fuß, und mit einem ganzen Dutzend ausgezeichneter Darsteller, deren Sprechen nicht Drehbuchsätze, sondern Persönlichkeit spüren lässt. Rührend, wie im amerikanischen und französischen Genrefilm der 50er Jahre, wie alle Haupt- und Nebenfiguren das Geschehen demokratisch, also konfliktreich und unvorhersehbar mitbestimmen. Der größte Reichtum des Kinos, glücklich eingefangen in Dortmund vor zehn Jahren. Ich wusste davon nichts.
Ich weiß allerdings: Vom Fernsehen kann unmöglich verlangt werden, mit Filmankäufen die Beweise heranzuschaffen, dass das Beste außerhalb des eigenen Einflussbereiches entsteht. In der Sekunde, in der durch einen Ankauf zu einem anständigen Preis alle rückgestellten Löhne eines unabhängig produzierten Films ausbezahlt werden könnten, wäre das vor fast fünfzig Jahren Erreichte schlagartig zunichte gemacht.