Samstag, 29.06.2013

Filme der Fünfziger XI: Ich suche Dich (1955/56)

Keiner war so beliebt wie O. W. Fischer, keiner strebte mehr nach ideellen und materiellen Werten. „Ich führe in Deutschland ein recht einkömmliches Leben,“ schrieb Fischer 1955 an Paul Kohner. Für zwei Filme im Jahr bekam er 350.000 DM steuerfrei – er bestand auf Auszahlung der Nettogage. Dazu kamen pro Film 10% des Weltertrags = 200.000 DM. Und wenn er selbst Regie führte, stieg die Beteiligung von 10% auf 25%. 1955 führte er zweimal Regie: für „Hanussen“ und „Ich suche Dich“. Dafür bekam er, folgt man seinen Angaben, 2 x 675.000 DM. Um das in die richtige Relation zu bringen, muss man wissen, dass das durchschnittliche Jahreseinkommen 1955 in der BRD 4.548,- DM betrug. Das aber brutto.
Fischer sah sich als “einen Mann, dem es gelungen ist, nach höchst deprimierenden Nachkriegsfilmjahren jenem Fähnlein von Künstlern anzugehören, deren andauerndes, zähes Tauziehen um die Hebung unseres Filmniveaus zu den ersten Anfangserfolgen geführt haben.“
Die prätentiöse, sich in falscher Bescheidenheit gefallende Sprache, deutet schon an, welche Höhen der Fähnleinführer diesmal erreichen wollte. Mit „Ich suche Dich“, nach einem in den 40er Jahren entstandenen Theaterstück des englischen Romanciers A.J. Cronin, hatte Fischer schon auf der Bühne großen Erfolg gehabt. Cronin selbst war der gebildeten, christlichen Hausfrau – die Männer lasen eh nur Zeitung – spätestens durch den Bestseller „Hinter diesen Mauern“ ein Begriff.
„Das Kernthema des Stoffes ‚Ich suche Dich‘“, erklärte Fischer vor der Premiere, „ist die große, tiefgreifende Liebesbeziehung zwischen einem Mann, der an seine Wissenschaft, und einer Frau, die an ihren Gott glaubt. Dieser Konflikt – wenn ich ihn auf ein Schlagwort bringen darf – zwischen ‚Glauben‘ und ‚Wissen‘ scheint mit einer der bewegenden Kräfte unserer Zeit zu sein. Ich habe versucht, ihn in einer sehr privaten Geschichte sichtbar zu machen.“ Oder, um es kürzer und noch schlichter zu sagen: “Glauben gegen die Hybris unserer Tage“.
Das war allerdings ein genuin deutsches Thema. „Land des Glaubens, deutsches Land“ sollte 1950 eigentlich die neue deutsche Nationalhymne werden – sie wurde es nicht, aber sie fasste die innere Haltung der Bundesrepublik gleichsam in den Ährenkranz der Unantastbarkeit. Fischer war ihr hoher Priester.
Dr. Paul Venner (O.W. Fischer) arbeitet in einem Nervensanatorium an einem Serum, das die Gehirnzellen reaktivieren soll. Der Schauspieler flattert in seiner ersten Szene als genialisches Wesen an Dr. Françoise Maurer (Anouk Aimée) vorbei – mit offenem Kittel, unrasiert und von seinem Genius gehetzt. Francoise Maurer, voll des christlichem Glaubens an das Gute, will in der Klinik Geld verdienen, um nach Indochina zu fahren und dort den armen, armen Menschen helfen zu können. Venner ist auf dem Weg zu seiner bahnbrechenden Entdeckung; er hat keine Zeit für Liebe, Mitleid und diesen ganzen Frauenkram. Gerade hat er das Verhältnis mit Gaby Brugg (Nadja Tiller) beendet, der Ehefrau des Chefarztes. Tiller schwebt und schwirrt als erotischer Brummkreisel durch den Film und setzt aus Eifersucht und Dummheit das Labor in Brand, in dem Venner seine Zauberformel notiert hat. Francoise, inzwischen mit Venner geistig ganz eng liiert, rettet die Formel aus dem Feuer und opfert ihr Leben für den Herrn und die Wissenschaft. Nun erkennt Venner seine wahre Berufung, er pfeift auf die bevorstehende Karrier‘ und fährt auf dem Pferdeschlitten nach Indochina, dem imaginären Land des Glaubens und der Innerlichkeit. Mit Kutscher, versteht sich.
Fischer konstruiert platte Gegensätze: Sexuelle Bedrohung gegen christliche Aufrichtigkeit, Hinterhältigkeit gegen Ehrlichkeit, kommerziellen Ehrgeiz gegen die Weisheit des Alters, Big Band Musik gegen Chopin, das Genie gegen die Kretins. Er inszeniert seine Verachtung der Welt-Wirklichkeit, die nicht erkennt und nicht bewundert, wie sehr er an ihr leidet, wie sehr er kämpft, um einer echten Auseinandersetzung zu entgehen. Es braucht ein zweifaches Frauenopfer (Tiller wird in eine Heilanstalt expediert), um dieser Welt „Adieu“ sagen zu können. Kameramann Richard Angst gibt ihm dazu elegante, gelegentlich auch magisch verhauchte Bilder – alles vergeblich.
Bei einer Pressekonferenz in Hamburg – Fischer kam gerade von der umjubelten Premiere in Hannover – gingen die Kritiker ihn hart an. Fischer war nahe dran, die Pressekonferenz abzubrechen. Der Schauspieler Paul Bildt setzte sich in höchster Erregung für seinen Regisseur ein und erlitt daraufhin eine Herzattacke. Die „Star-Revue“ (Nr. 6/1956) schrieb: „O.W. Fischer diskutierte nun – bei einem Glase Milch – friedlich mit den weintrinkenden Journalisten.“
Der Film war bei der Premiere ein riesiger Erfolg, aber letztendlich kein Geschäft. Fischer ließ die Filmregie sein. Aus Einsicht, aus Verachtung für die schnöde Welt oder nur, weil die Prozente so mager ausfielen – wer weiß?
Erhältlich auf DVD

Die Fischer Zitate stammen aus dem Presseheft zu „Ich suche Dich“ und aus Fischers Beitrag „Geld oder Gewissen“ in Film Revue, Nr. 13, 1956; die Gagenangaben machte Fischer in einem Brief an Paul Kohner vom 1.8.1955 (Paul Kohner Archiv – SDK)

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