Barfuss und ohne Hut
Ein kurzer Film von Jürgen Böttcher: Prerow an der Ostsee, Sommer 1964. Jugendliche, im Urlaub, im Wasser und am Strand herumtollend, redend, sich abends um den Guitarristen und Sänger scharend, sich gegenseitig bewundernd, miteinander gehend, sich liebend – da sind Momente reinen Glücks, fast paradiesisch, versammelt. (‚Fast paradiesisch’ weil natürlich lange nach dem biblischen Sündenfall – gerne würde man einmal hören, wie die weibliche Perspektive auf den Sündenfall aussieht.) Das Meer, die Luft, die Sonne, der Tag, der sanfte Abend: man hat das Gefühl, so könnte es gehen, so wäre auch das Verhältnis der Geschlechter wieder im Lot … Nach dem Urlaub wartet allerdings wieder ein anderer Alltag, der von Beruf und Ausbildung, auf die Jugendlichen (über den sie auch Auskunft geben).
Barfuss und ohne Hut mutet wie eine Vorstudie zu Böttchers Spielfilm Jahrgang 45 an (DDR 1965/66). Und Peter Naus Text zu diesem Film (im gerade erschienenen Bändchen „Irgendwo in Berlin“) könnte man in einigen Passagen Zeile für Zeile übernehmen für den Barfuss-Film: „Schön ist das Licht in diesem Schwarzweissfilm (Kamera: Roland Gräf), da es als Tageslicht nicht nur den Ort sichtbar macht, sondern auch, indem es an den Tagesablauf gebunden ist, die Zeit spüren lässt. Der ganze Film ist wie ein einziger Sommertag, wie jene Reihe von schönen Tagen, von denen Adorno schrieb, daß sie uns glücklich macht, indem sie das Versprechen enthält, dass alles in Ewigkeit so weitergehen könnte, ohne je eine Trübung zu erfahren.“ Von „purer Lebensfreude“ ist da noch die Rede und davon, dass „die Menschen ihr innerstes Recht auf Werden“ behaupten.
„Ostwestlicher Filmdiwan“ nennt sich das Berlin gewidmete Bändchen im Untertitel, wo es doch bei Goethe so steht: „West-östlicher Divan“. Aber nein, bei Weg ohne Umkehr (dem Film von Victor Vicas von 1953) wird klar, dass Nau das von Gunter Groll hat, dessen damalige Kritik in der ‚Süddeutschen’ mit „Der ostwestliche Iwan“ betitelt war. Und da nun noch Naus Lieblingsschauspieler Ivan Desny die Hauptrolle spielt (allerdings ohne ‚w’), muss es sich so gefügt haben.
Dies alles wäre jetzt in Beziehung zu setzen zu dem, was da als Zweites steht in einer neuen Folge von Helmut Färbers „Das Grau und das Jetzt“:
„Der BRD ist geglückt bis auf den heutigen Tag, sich über sich selbst zu belügen.
Der DDR ist es missglückt; dabei sind ihre Mittel die unmenschlicheren und ihre Ziele die menschlicheren gewesen.“
(In: ‚manuskripte’, 200. Heft der Gesamtfolge, Graz, Juni 2013, S. 93. – Mit einem Dank an Michael Girke für die Übermittlung.)
Barfuss und ohne Hut in: „Spurensuche: DDR-Dokumentationsfilme im Abseits.“ Edition Dok Leipzig. Icestorm 2007.
Peter Nau, „Irgendwo in Berlin. Ostwestlicher Filmdiwan“, Berlin (Verbrecher Verlag) 2013.