Eine Notiz zu Siegfried Kracauer
»Verzweiflung als Startposition« lautet die Überschrift zu einem Portrait von K. Und auch Christian Linder stellt in einem Radiofeature das Denken von K. in tiefe biografische Schatten. Es ist natürlich etwas dran. Wenn ich an K. denke, fällt mir häufig ein Wort ein, dessen Bedeutung mir erst spät aufging. Er schreibt es nach dem Besuch eines Zirkus. Von Clowns, von Artisten und Budenzauber ist die Rede.
K. verfasst diesen Text während der Inflationszeit 1923, in Deutschland verarmen Millionen Menschen, hungern elend. Auch K. erlebt harte Zeiten, bekommt dann aber nach langem Warten eine Stelle als Festangestellter bei der »Frankfurter Zeitung« angeboten. Aus dem Gröbsten raus, aber viel Pflichtarbeit eines Lokalredakteurs.
Er ist, als er über das Zirkus-Erlebnis schreibt, 34 Jahre alt, ein Erwachsener, der ein soll man sagen: kindliches Vermögen besitzt, sich von geringfügigsten Dingen ergreifen zu lassen, angerührt zu sein; diese Freude und Rührung führt das Schreibgerät und überträgt sich auf den Leser. Ich weiß nicht, ob es sich um ein Geschehen handelt, dass K. bewusst ist. Ihn selbst betreffende Äußerungen zu diesem Thema gibt es, soweit ich weiß, nicht von ihm. Aber da ist etwas, das ihn offenbar belebt oder sogar lebendig macht und daher immer wieder gesucht wird, etwa wenn er späterhin sehr bewegende Texte über den Clown Grock oder über Filme von Charlie Chaplin schreibt.
In dem weitgespannten Werk dieses beeindruckend intelligenten Mannes geht es, so denke ich, stets auch darum, solche vermeintlich kleinen menschlichen Dinge als etwas ebenso Wichtiges (eigentlich sogar als noch viel Wichtigeres) zu erkennen, wie es die imposanten Gedanken oder Denkgebäude sind, eine Achtung dafür zu bewahren. Mann soll, gerade in harten Zeiten, wenn wir leiden, sehr aufpassen, dieses Vermögen nicht zu verlieren. Es macht einen Menschen aus, ob er es bewahren kann oder nicht.