Samstag, 12.04.2014

Chronik des Regens

Michel Freerixs Film »Chronik des Regens« von 1991 wird in den nächsten Tagen von schönstem 35mm-Celluloid in den gemütlichen Schachtelkinos des Babylon Kinos projiziert (im Rahmen einer interessanten Retrospektive von Berlinfilmen der 90er).
Am Sonntag, 13. April, um 22:00 Uhr, im Babylon 2.
Am Mittwoch, 16. April, 18:00 Uhr, im Babylon 3.

Ich hatte Michel gefragt, ob er etwas schreiben mag über die Dreharbeiten des Films und bzw. oder was drumherum war.

chronik

Chronik des Regens – Wie und woher

– von Michael Freerix –

Es war Frühjahr 1990, draußen noch kalt, als ich mit dem Drehbuch anfing. Ich wusste nicht genau, was es werden würde, aber ich schrieb ‚keinen Sex, keine Waffen’ auf einen Zettel, den ich an die Wand klebte. Das sollte beides nicht im Film auftauchen, wohl, weil ich zu viel davon in Filmen gesehen habe. Und ich stellte mir die Frage, wie das wohl funktioniert, wenn man eine Figur durch eine Handlung schickt? Was das für einen Film ergibt und was für eine Figur das sein könnte? Das war die Aufgabe, die ich mir stellte. Natürlich gab es Vorbilder, oder Ansatzpunkte, die ich nachverfolgte. Klar war mir, das ich schwarzweiß drehen wollte, in 1:1,66. Und auf 35mm Material, weil das einfach eine sehr gute Schärfe und Auflösung hat.

Im Sommer sollte gedreht werden, und alles innerhalb eines Jahres fertig sein. Am einfachsten schien es mir, ich versuche, einen Tag im Leben eines Menschen zu erzählen. Ein Tag ohne große Aufregung, ein Tag voller Alltag, der eher von Alltäglichem bestimmt wird. Schnell tauchte das Motiv auf, dass es sich um den Tagesablauf eines Erwerbslosen handeln sollte. Von einfachen Leuten wird in Filmen ja kaum noch etwas erzählt, was ich schade finde. Es würde also um einen Arbeitslosen gehen, und seinen letzten Tag in der Erwerbslosigkeit. Das gab diesem Tagesablauf eine gewisse Aufregung, und einen Hauch von Abschied. Und es hatte den Vorteil, dass es keinen dramatischen Verlauf geben musste, einfach, weil die Zeit unwiederbringlich voran schreitet. An die große Konstruktion einer Handlung habe ich mich nie gesetzt, eher an den Ablauf eines sozialen Miteinanders. Das wurde in Dialogen fest fixiert. Diese Dialoge waren eher dazu da, das die Darsteller wussten, was sie zu sagen hatte. Es sollten auch noch Improvisationen stattfinden, Dinge, die sich während der Dreharbeiten ergaben oder ermöglichten. Spielereien zwischen Kamera, Darstellern und Orten.

Für die Figur des Hauptdarstellers hatte ich ganz klar jemanden besetzt, einen Freund, Mario Mentrup, der zwar nicht Schauspieler war, aber gerne schauspielerte. Alle anderen Darsteller zu finden war aber schwierig, ich wollte lieber Menschen mit Charakter als Schauspieler, die alles können, aber eben nur wenig sind. Solche Darsteller zu finden war nicht so einfach, was dazu führte, dass ich den Dreh vom späten Sommer auf den frühen Sommer des kommenden Jahres verlegte. In diesem Zeitraum fanden sich die Darsteller, und geprobt wurde alles, kalt, das heißt ohne Kostüm, in meiner Wohnung, damit jeder seinen Text beim Dreh kannte. Schließlich war kaum Material da, alles musste beim ersten Take stehen. Für Versprecher oder Patzer war kein Raum. Und die Sonne sollte die ganze Zeit scheinen, da konnte man das Licht optimal ausnutzen.

Gedreht wurde im Juni, der ein sehr feuchter Monat wurde. Es gab eine Woche Dauerregen, bei nur zwei Wochen Dreharbeiten. Oft reichte es gerade, um das wenige, was im Drehbuch stand, fertig zu stellen. Viel Zeit für Improvisation gab es nicht. Und es gab ein Kopierwerk, das drei Drehtage falsch entwickelte, so dass wir alles an einem Tag nochmal machen mussten. Was ich mir möglichst einfach vorgestellt hatte wurde so zum zähen Ringen mit der Wirklichkeit. An manchen Tagen war es nur 12 Grad, die Darsteller bibberten vor sich hin, das Bildfenster zerkratzte immer wieder das Negativ, die Tonfrau wurde krank und tauchte nicht mehr auf, so dass ich stellenweise selber Ton machte. Der Regen war dann die Improvisation, die sich durch den gesamten Film zog, und auch eine Art dramaturgischer Faden, der Spannung hinein brachte. Für szenische Improvisationen gab es kaum noch Zeit, doch sind welche im Film, und das sind für mich die besten Momente überhaupt. Wie da etwas aus der Luft gegriffen und in eine Filmszene verwandelt wird, mir gefällt das an Filmen immer am besten. Aber was genau ich gemacht hatte, wusste ich nicht. Einfach nur nachzumachen hat mir nicht gereicht. Ich dachte, es geht darum, was Neues zu probieren. Ich dachte, so geht es jedem, ist aber nicht so.

Tatsächlich gibt es kleine Filmzitate in ‚Chronik des Regens’, eine Szene an einem Auto, die so ein ironisches Zitat von ‚Stranger than Paradise’ (von Jim Jarmusch, dessen Haltung mir gefällt, aber dessen Filme ich kaum kenne) sein sollte, den ich nicht gesehen hatte, die aber auf dem Plakat abgebildet war. Und ein Dialog aus einem Film von John Ford habe ich umgewandelt, ich glaube aus ‚She Wore a Yellow Ribbon’, aber ich weiß das nicht mehr so genau. Was aber für mich wirkliche Vorbildfilme sind, sind die frühen Filme von Ivan Passer oder Milos Forman, die sie noch vor ihrer Emigration gedreht haben. Die waren Ende 1989 in Berlin zu sehen und haben mich vollkommen begeistert. Auch die frühen Filme von Márta Mészáros, ‚Adoption’ und ‚Das Mädchen’. ‚Adoption’ habe ich noch mit meinem Kameramann, Hans Fromm, angeschaut, weil ich wissen wollte, ob wir beide was ähnliches hin bekommen könnten. Immer wichtig war auch Jean Eustache. Schon als ‚Mes petites amoureuses’ im Fernsehen lief und ich als Kind einen Teil sah und dann ins Bett geschickt wurde hat mich das sehr beschäftigt. Deutsche Filme haben mich nie sehr interessiert, bis ich Roland Klick, Roald Koller und Herbert Achternbusch entdeckte. Fassbinder hat ein paar interessante Sachen gemacht, als er anfing, doch je mehr er machte um so weniger fand ich das interessant.

Ich war so naiv, dass ich mit wenig Geld einen ‚richtigen’ Film machen wollte, und beweisen, wie ich das mit wenig Geld hin bekomme. Dass es im hiesigen Filmgeschäft um ganz andere Dinge geht, habe ich gar nicht gewusst.

Schwer beeinflusst ist der Film wohl auch von der Musik der Wipers, einer US-Amerikanischen Punk-Band, deren Platten ich während des Drehbuchschreibens pausenlos hörte, und heute immer wieder höre. Ich glaube, es gibt kaum jemanden wie Greg Sage, deren Gitarristen und Mastermind, der so negative und doch abgrundtief wütende Songs geschrieben hat. Und der eine dermaßen ablehnende Haltung gegenüber der Gesellschaft und jeder Form von kommerzieller Anpassung betrieben hat und immer noch betreibt. Mein Film ist geradezu ein Gruß an Greg Sage, auch wenn er ihn nie gesehen hat, und nie sehen wird.

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