Mittwoch, 10.12.2014

Dreharbeiten Kış Uykusu (Wintersleep)

– Von Andreas Mücke-Niesytka –

Ankunft gestern 23.00 h. Jetzt im Hauptmotiv für die nächsten Wochen. Eine in den Fels gebaute Wohnung oder ein Haus am Hang. Je nach Standort von der Terasse der Blick auf die gegenüberliegenden Seiten, die zerklüftete Struktur des Lavagesteins, in seinen Kegelspitzen pittoreske Ausformungen. Und dahinter am Horizont Touristen am Himmel in bunten Heißluftballons vor der tiefstehenden Morgensonne. Ein Panorama aus Fels, Weite, Kälte und Dunst.
Dann ein kurzer Austausch mit NBC (Nuri Bilge Ceylan), der sehr entspannt ist und sich für die Technik interessiert, wie wir vorgehen werden. Später mit dem Kameraman Gökhan am Hang, bei der Auflösungsbesprechung.
Nachmittags dann Gerätecheck in einem der höhlenartigen Räume der Spielwohnung, das für die nächsten 2 Monate auch unser Material, DIT-Raum, Kameralager, sowie Schlafzimmer der beiden Kamerassistenten sein wird. Irgend etwas scheint immer defekt, oder nicht sofort auffindbar.
Ungehalten über Konstruktionsfehler.

31.1.
Der erste Drehtag beginnt gegen Mittag. Die Sonne ist verschwunden. Wir haben Zeit, uns einzurichten. Die Kameraposition auf der anderen Seite der Senke. Mit Hilfe diverser Nebelmaschinen werden Rauchschwaden erzeugt.

Haluk Bilinger, Aydin kommt aus der Tiefe angestrengt atmend links-rechts auf die Kamera zu. Die Kamera bewegt sich mit einem leichten Schwenk wieder mit ihm rechts-links während er abwärts gehend aus dem Bild verschwindet und die Kamera mit Vertikalbewegung nach oben das in Fels gebaute Gebäude zeigt, das Hotel, die rückwärtige Seite, mit den Terassen, auf das er im Umschnitt zulaufen wird. Im Hintergrund die kegelförmigen Gesteinsformationen, die Spitzen in den Himmel gerichtet.

Leichter Schneefall. Es wird kälter. 3 Stunden später am frühen Nachmittag ist nach 14 Takes das erste Bild beendet, das 2. Bild im Film. Aydin geht im Morgennebel den Weg zu seinem Hotel.

1.2. Drehtag 2
5.30 h Wecker. Um 7.00 erster Take in Göreme, wir sehen vom Aussichtspunkt auf das Tal herab. Man erkennt einen älteren, grauharigen Mann mit Mantel auf seinem Weg zwischen kegelförmigen Tuffsteinspitzen. Er sammelt Pilze. Dazu gibt es nähere Einstellungen, Aydin, sein Gesicht , das sich uns zuwendet, auf ein Geräusch reagierend.
Nach der Mittagspause sitzt Adyin am Hang, raucht und friert. Die Kamera läuft, ohne dass er es weiß. Das Warten auf den Beginn des Drehens, sein Blick dabei in die Ferne und auf das Team entspricht dem Blick am Anfang des Films. Dann setzt leichter Schneefall ein. Wir wechseln den Drehort.

14.00 h Vor dem Hotel. Aydin geht darauf zu. Die Sonne bricht durch die Wolken, das bedeutet für heute Drehende.

Im Motiv Hotel bereiten sich die verschiedenen Abteilungen auf die nächsten Tage vor. NBCs Assistant Özgur, der wie ein Dramaturg arbeitet, sein Assistent Vural, der Thomas Bernhard anhimmelt, Öszlem, die mit einer DV Kamera endlos alles aufnimmt vor und während des Drehs. Der tiefenentspannte Kameramann Gökhan, sein Assistent Serkan, und der DIT Mehmet, von permanenter Müdigkeit geplagt, sowie der Praktikant Effe der noch nie an einem Set war.
Ein Beleuchter, ein Bühnenmann und ein Aggregatfahrer und ein weiterer Praktiant, Tuncay. Die Szenenbildnerin Gamze, auch Kostümbildnerin und Garderobiere in einer Person, hilft anfangs noch Nihan als Innenrequisiteurin. Die Produzentin sehe ich das erste mal nach einer Woche. Die Producerin Szegi hat lange Zeit in türkischen Serien-Produktionen gearbeitet. Der Produktionsleiter Tamer organisiert im Hintergrund und improvisiert mit dem Aufnahmeleiter Ali.

2.2. Drehtag 3
7.50 h ist die erste Einstellung wieder mit Aydin vor dem Haupteingang des Hotels Otello. Es schneit. Die Kamera guckt ihm über die Schulter wie er das Tor aufmacht, damit auch den Blick zum Hof freigibt, in den er dann reinläuft, seine Schritte bilden sich im Schnee ab, und das ist, was man später sehen wird, und kann nur einmal gedreht werden und hat was Dokumentarisches, jemand von hinten, im Schnee, der ein Schloss öffnet und in in die Tiefe geht, und hochguckt zu einem Fenster, und das es das Zimmer seiner Frau ist, wissen wir da noch nicht.

Im anschließenden Bild ist Aydin wieder in seiner Höhlenpension, trifft auf den jungen Biker, Timor, der nach Pferden fragt, um reitend die Gegend zu erkunden. Es wird soweit möglich mit natürlichem Licht gedreht, und je nach Sonnenstand bedeutet das mehr oder weniger Arbeit für den Beleuchter, der jetzt mit Tuncay ein Sonnensegel vor dem Fenster so einzurichten versucht, daß draußen auf der Terasse keine Sonnenstrahlen zu sehen sind, was letztendlich wenig bringt, denn im Hintergrund, an den Zerklüftungen des gegenüberliegenden Hangs, zeigen sich deutlich harte Schatten, Kontraste, Sonne. Nach der Mittagspause ist die Sonne weg.

NBC positioniert die Darsteller. Es wird klasssisch aufgelöst, der Plansequenz folgt Schuss Gegenschuss, die Kamera bewegt sich kaum, eine langsame Fahrt von der Lobby in den Frühstücksraum, der wie alle Räume ein Gewölbe ist, unbehauene Wände. Nach dem Festlegen des Bildauschnitts wird mit stand-in die Kamerapostion um Nuancen verändert, nur noch eine leichte Zufahrt. Es gibt dann keine weiteren Proben mehr. Auch der Off- Ton wird immer mit aufgenommen. Zunächst ungewohnt für die beiden Darsteller, hat NBC sie noch freundlich gewarnt, er möchte immer alles aus allen Takes verwenden können.

Auffällig, wie ruhig, wie unaufgeregt die Arbeitsatmosphäre ist. Es gibt überhaupt keine Hektik, alle Zeit der Welt, als falle die Geschichte ins Setting, in den Drehort, in die Arbeit. Es wird viel gelacht.

3.2 Drehtag 4
Das gestern begonnene Bild weiter. Mit Fatma, Hidayets Frau, die den Tee bringt. Technische Probleme. Funkunterbrechungen wegen der dicken Wände.

4.2 Drehtag 5
Mild. Wind. Autofahrten. Der orangefarbene Land Rover wird vom einem giftgrünen Land Rover mit Schleppstange gezogen. Der Dialog zwischen Aydin und seinem Fahrer Hidayet. Die Kamera ist alternierend an den Seitenfenstern befestigt. Seitliche 2-er, Schuss / Gegenschuss. Die Landschaft in der Unschärfe im Hintergrund. Bis Mittag sind trotz Sonne 10 Seiten Dialog gedreht. NBC eingehüllt unter der Plane auf der Rückbank neben Gökhan an der Kamera, den Blick wie verwachsen mit dem Monitor, der einem Periskop gleicht, stoisch, die Erschütterungen beim Fahren hinnehmend, ganz auf das Spiel der Darsteller konzentriert.

Motivumzug. Die Kamera wird auf der Ladefläche befestigt, hinter den beiden Dartstellern im Jeep. Man sieht vor ihnen die gewundene Strasse in der hügeligen Landschaft . Aber der Land Rover fährt nicht, wir warten,vielleicht Stunden. Auf einen für den Bildausschnitt besseren Sonnenstand , den es aber nicht geben kann. NBC ist weggefahren. Das Team dissoziiert in kleinen Gruppen, oder jeder für sich, Liegen im Gras. Der Geschmack des Frühlings, hochstehende wärmende Sonne. Der Wind durch die Ebene. Angenehm erfrischend. Der Vulkan majestätisch wie diskret im Hintergrund. Er schläft, sagt jemand. Erstes Getier. Krabbelnde Insekten. Es wird nichts mehr aufgenommen heute.

Am kommenden sonnenlosen Samstag, dann nochmal im Jeep. Kamera hinter den Darstellern. Ayperk/ Hidayet fährt, Aydin wird gefahren . Ein Dialog, der dann nicht mehr im Film ist, aber das Erarbeiten der Konstellationen, der Beziehungen, wie sie sich dann zwischen Aydin und Hydayet zeigen werden, langsam entwickelt, die Blicke, die Gesten zwischen den beiden, auf engstem Raum im rumpelnden Jeep in unbefestigtem Gelände mit den nicht einfachen Fahrmanövern, neben der Strassse der Abhang. Das Spiel der beiden ist dem Gelände, der Konzentration aufs Fahren unterworfen. Das Reden über ausstehende Mieteinahmen hier im Unwegsamen, die Darsteller versprechen sich, verschalten, sich der Motor heult auf wird abgewürgt, der Jeep bleibt stecken an einer Anhöhe, wird abgeschleppt, gangbar gemacht, wieder runter, dann im Gebüsch hängengeblieben, und irgendwann steckt das Harsche , Rauhe auch in den Gesichtern. Am Ende des Tages haben alle einen roten Kopf von der Kälte.

5.2 Drehtag 6
4.30 Wecken. 40 Minuten später durchs dunkle Uchisar nach Göreme zum Motiv Pferde Ranch. In einem windgeschützen Tal neben dem Startplatz der Heißflugballons eine eingezäunte Pferdekoppel, auch hier in den Fels gehauen das Büro. Aydin und sein Verwalter Hidayet suchen den Ranchbesitzer auf, um ein Pferd zu kaufen. Der Anschluss an die vortags gedrehten Autofahrten. Das Zischen der sich füllenden Heißluftballons außerhalb des Bildauschnitts. Kurzer Ärger, als ohne technische Probe ein Sender stört in dem engen Büro, denn es wird sofort gedreht, d.h. Kamera eingerichtet, kein Licht, Etienne versucht sich mit dem Boom zu positionieren. Den Ranchbesitzer spielt der Laiendarsteller Ekrem, der gleich losredet, gegenüber ihm die Aydin und Hidayet auf dem verschlissenen Sofa. Dann noch nähere Einstellungen. Draußen die Hunde als Pferdehirten, treiben diese kläffend, ruhelos über den weitläufigen Platz, der zum Tal wird. Ballone starten, ein Pfau, schnatternde Gänse queren den Platz. Der Höhlenraum, der Platz davor. Roh.

Das wechselhafte Wetter bestimmt die Drehorte. Es ist zu mild für die Jahreszeit. Eine dicke Schneedecke , die alles unter sich begräbt, bleibt ein Wunsch. Der in der Nacht gefallene Schnee schmilzt schnell weg. Um das wenige Weiß am frühen Morgen werden die Szenen geplant. Da die meisten Motive fast fußläufig erreichbar sind, kann gut improvisiert werden. Wie klein die Crew und überschaubar der Fuhrpark ist, macht sich bald bemerkbar, wenn die Drehorte entfernt, die Wege länger sind. Es gibt 5 Fahrzeuge, der Lichtbühne Truck – ein Aggregat (mit einem Teekocher) –, den Kameravan, einen Regie Pkw und einen Minibus für die Darsteller.

Der Großteil des Teams kennt sich aus den vorausgegangen Projekten. Die sei das bisher aufwändigste. Man wohnt und arbeitet zusammen und isst gemeinsam zu festgelegten Zeiten. Türkische Hausmannskost, wir leben gesund. Keine Kohlehydrate. Um 6.00 h gibts Frühstück, um 7.00 h ist Arbeitsbeginn. Ab 19.30 h Abendessen. Als habe NBC Jünger um sich geschart. Eine ausführende Produzentin, ihm ergebene Regieassistenten, der Kameramann Gökhan, der fast von Beginn an all seine Filme fotografiert und der mit ihm ein unausgesprochenes Einverständnis über die Gestalung der Bilder hat. Dazu qualifizierte wie unprätentiöse Techniker. Alle scheinen ihm dauerhaft ohne Widerrede zur Verfügung zu stehen. Es sind ca 70 Drehtage geplant.

14.2. Drehtag 15
Die Vorbereitungen des jeweiligen Drehtages, die Auflösung wird vor Ort entschieden. Die Positionen der Schausspieler werden vor deren Eintreffen mit Hilfe von Doubles festgelegt. Bild 34, der erste lange Dialog zwischen Aydins Schwester Necla und seiner Frau Nihal. Das Drehen beginnt umittelbar, das erste Agieren wird aufgezeichnet. Es gibt keine Proben. Eine Totale, statische Zweier, Schuss- Gegenschuss.

Sich der Spielszene wie in einem Dokumentarfilm annähern: Demet, die zunächst verschiedene Varianten der Rolle anbietet wird nach einigen Durchläufen rausgehen und NBC eine Pause einlegen. Die Stolze, die Leidende, die Ältere, die sie bis zur Mittagspause gegeben haben wird, entsprechen nicht den Vorstellungen des Regisseurs. Später wird er ihr gegenübersitzen und Nihal darstellen, Meliza Sözens Part. Das zum Teil Improvisierte, was dann dabei entsteht, hat nichts mit Authenzitätsbehauptungen zu tun, sondern ist mehr wie Aneignung des Skripts durch Dekonstruktion. Die das extrovertierte gespielte Spiel gewohnten, zum Deklamieren neigenden Schauspieler werden von NBC solange bearbeitet, bis sie das zeigen können, was hinter dem Spiel ist. Die Schauspieler rekonstruieren sich selbst, gehen an das, was sie selbst nicht mehr wussten, was wie verschüttet, aber doch vorhanden ist.

In einem Interview wird Demet später erklären, dass sie wieder bei Null angefangen habe, als Schauspielerin, bei diesem Dreh.

Die Aufnahmen beginnen mit Plansequenzen, die komplette Szene, ohne Schnitt. Nach einigen Durchläufen das Sezieren: das Vorsprechen, das Nachsagen, das Wiederholen. In eine Stimmung kommen, ein sich Wegdenken vor, bei laufender Kamera, ohne auf irgend etwas Rücksicht nehmen zu müssen. Zustand von Konzentration bei völliger Absenz. Als Verfahren: die Kontemplation während der Aufnahme. Die digitale Technik erlaubt das Drehen ohne Klappe. Bild und Ton sind mit Timecodeverkopplung synchronisiert. Einstellungen, die Szenen/Takes werden bis zu 25 min lang. Ich muss an Helmut Costards Traum aus den Achtzigern denken.

Die Entkoppelung des Gestischen, reine Sprache als Ausdruck, der Regisseur als Sprachlehrer, am nächsten Tag derDarstellerin der Nihal gegenübersitzend, seitlich neben der Kamera, den Part der Schwester sprechend, immer freundlich, zugeneigt, den Text erklärend. Während der Aufnahme den Text mit der Darstellerin erarbeiten. Es ist das Dokumentieren des Faktischen als Inszenierung. Ebenso das Gegenteil davon, scheinbar das Unmittelbare des ersten Augenblicks durchsetzt von Ungenauig-keiten, das Offene ,Überraschende, Kleistsches Marionettentheater, das Pendeln zwischen wie bewusstlosem Spielen und Reflektion.

16.2. Drehtag 17
Eindrücklich wie absehbar: Eine Einstellung mit Demet während des Dialog mit Nihal. Sie sinniert vor dem Ofen stehend ihr Leben, seufzend gleich einer Gestalt, aus einer anderen Zeit, das Flackern des Kaminfeuers bildet sich ab, als flirrendes Schattenspiel untersichtig auf ihrem Gesicht, passend zum Selbstmitleid, in ihrer Physiognomie, wie das Lachen eingeschrieben, verdichtet durch eine leichte Zufahrt der Kamera.

20.2. Drehtag 19
Konfusion heute nach dem Mittagessen. Sehr starker Schneefall. Es soll die heimliche Abfahrt/Bild 63 gedreht werden, der Jeep zum Bahnhof bei dichtem Schneetreiben, so wie es im Drehbuch steht, aber der Jeep und die anderen Autos stehen außerhalb des Ortes, am vermüllten ausgetrockneten Flussbett, da wo Hidayet Iliyas hinterherrennen sollte, was vorbereitet worden war und jetzt hastig aufgelöst wird, und logistisch nicht einfach ist, denn der Weg vom Hotel hoch in den Ort ist zugeschneit und es sollen keine Spuren zu sehen sein im Schnee. Dann steht irgendwann der orangefarbene Land Rover im Schnee, wie gewünscht, die Kamera ist auch irgendwie runtergebracht worden und die Darsteller auf Anfang, aber keine Tongeräte, denn die sind noch oben in einem LKW. NBC, der ohne Ton drehen will, der es nicht gewohnt ist, ihm zu widersprechen. Er bestimmt, ändert, verwirft, um die Geschichte, “movie is in my mind”, kompromisslos zu erzählen, und wartet dann doch auf unsere Geräte.

21.2. Drehtag 22
Seit 6.45 h am Set. Zu sonnig. Ein geplantes Außenbild abgesagt. Der Schnee vor der Tür wird mit Heißwasser abgetaut. Wegen der Bildanschlüsse. Nie ist es richtig. NBC und Goekhan Özgur entspannt auf dem Sofas der Lobby. Die nächsten 3 h wird nicht gedreht. Der Fokus der Konzentration liegt ausschließlich am Bild, bei den Schauspielern. Alles andere ist sekundär.
Irgendwann merke ich, dass das unbeschränkte Zeithaben auch mit den hiesigen Arbeitsbedingungen zu tun hat. Heute 2 Einstellungen: Aydin kommt ins Haus; dann sein Blick aus dem Vorraum auf das Meeting. Das Wetter zu wechselhaft.

22.2. Drehtag 23
Bild 44 wird auf 4 Tage verteilt. “Nihal s Meeting”. Eine Schlüsselszene des Films: Aydin sieht eine Versammlung im Haus, die ohne sein Wissen stattfindet, siehtseine Frau, die all die Leute ins Haus geholt hat, seinen besten Freund Suavi, einen jungen engagiertern Lehrer Levent. Voller Energie wollen sie sichtlich das umsetzen, was in seinem Kopf noch brodelt: Was kann man tun? – Es geht um Hilfe für eine Dorfschule. Er wird feststellen, dass die Welt sich auch ohne ihn dreht.

Beziehungen, Korelationen werden klassisch durch Blicke, Beobachtungen, durch viele statische Einstellungen erzählt, die über dem Dialog liegen, der in wenigen Einstellungen aufgelöst wird. Aufgeladen durch die Vorgeschichte, das, was man bisher gesehen hat. Mit einer stoischen Beharrlichkeit und Ruhe wird mit jeder Person so lange gedreht, während des Drehens korrigiert, akribisch an den Worten bzw der Reduktion des Ausdrucks gearbeitet, bis es dem nahekommt „was in NBCs Kopf ist”, wie er sagt, und immer anders. Es wird unterbrochen, gescherzt, eine Pause eingelegt, die Darsteller der Gäste in der Runde sind Freunde, Bekannte, die bei Laune gehalten werden. Keinerlei Zeitdruck. Auch auf der Terasse, draußen wo sich die restliche Crew bei wärmendem Feuer und heißem Tee, abwechselnd von einem Fuß auf den anderen tänzelnd, der Kälte trotzend, bei permanenterm Einsatz ihrer Smartphones die Zeit vertreibt.

26.2.
Zu Beginn des Drehtages heute die völlige Abwesenheit von Filmtechnik. Sich verhalten, als spiele man an einer Strasse, als gehöre man irgendwie dazu.

wintersleep_001

Beim Proben mit dem Jungen, der Ilyas ist, macht NBC ihm die Szene vor, die Gänge, den Blick. Regungslos das Gesicht. Nur Gucken. Nichts weiter. Die beiden Assistenten organisieren die anderen Schüler. Die Kamera wird irgendwann auf das Stativ gestellt, um dann mit einer Bewegung, einem Schwenk eine Szene zu eröffnen und ein Beispiel geben von der Ökonomie des Erzählens:
Der organgefarbene Landrover fährt auf einer leeren Straße von links nach rechts, die Kamera schwenkt leicht versetzt in einer links-rechts Bewegung mit dem Jeep mit und es entsteht ein neues Bild, in das der Jeep hineinfährt: das, was ein Schulgebäude ist, sieht man leicht erhöht im Hintergrund und die Schüler, die die Strasse herunter kommen.

Dann ist die Kamera im Auto auf der Rückbank hinter den Darstellern. Hidayet steigt links aus, Kinder passierern den Jeep, die Kamera innen schwenkt mit Hidayet, der rechts aus dem Bild geht und im Vordergrund im Auto sieht man Aydin, der Hidayet hinterhersieht und wartet. Dann dreht sich Aydin um, weil er etwas spürt, und dann im Umschnitt sieht man das Gesicht des Jungen Iliays, wie er dasteht, und Aydin anguckt. Im Gegenschuss wieder Aydins Reaktion, prüfend, ob der Blick des Jungen ihm gilt, guckt er rechts aus dem Fenster, aber da ist niemand, dann wieder der Junge im Gegenschuss POV Aydin, wie er noch einen Augenblick guckt und dann abgeht. Dann wieder Aydin der sich, umdreht und dort Hidayet wieder ins Bild kommen sieht, mit einem Behälter, der ihn passiert.

Mit den Bildern davor und danach ensteht ein Sog: aus einer fließenden Bewegung, dem Ankommen auf der Pferdefarm, mit einer Parallelfahrt, wo man Aydin und Hidayet sieht, wie sie in das Büro gehen, und dann das beschwörende ununterbrochene Reden Ekrems über die Vorteile der anatolischen Pferde, im Umschnitt die Fahrt in diese Begegnung mit dem Jungen, dann wieder die Fahrt, der Dialog zwischen Adyin und Hidayet, der unterbrochen wird durch den Steinwurf Ilyas und der dann in einem Showdown vor dem Anwesen Hamdi/Ismael, wo Ilyas wohnt, endet.

7.3. Drehtag 32
In einer Ebene irgendwo bei Kayseri unterwegs in ein abgelegenes Tal. Die Straße wird zur Schotterpiste, entgegenkommende LKWs hüllen alles in Staubnebel. Kahl. Karg die schneebedeckten Berge am Horizont. Eine Ansiedlung. Unbefestigte Weg enden an einem Platz. Bellende Hunde an der Kette wachen über einer verdreckten Hof. Gackerndes Federvieh. Wiehern. Eine große Koppel. Ca 80 Pferde. Auf einen Allradpickup wird eine Kamera-Aufhängung gebaut. Ekrem und einer seiner Cowboys bekommen Mikros. Dann werden die Pferde unter lautem Hundegebell aus der Koppel gelassen und entfernen sich galoppierend rasend schnell in die Weiten des unbefestigten Graslands. Ekrem und weitere Reiter, darunter einer der beiden Mongolen, folgen ihnen. Der Jeep mit der Kamera auf der Ladefläche und zwei weitere Fahrzeuge versuchen hinterherzukommen. Einer bleibt in einer Furt liegen. Es werden Parallefahrten versucht: Ekrem galopiert hinter dem Hengst her, der eingefangen werden soll. Die beiden anderen Reiter versuchen das rasende Pferd in ein Dreieck zu bringen, inmitten der galoppierenden Herde. Es gelingt nicht mal in die Nähe des einzufangenden Pferdes zu kommen. Die Kamera wird umgebaut. Währenddessen informelle Mittagspause. Kebap Yoghurt. Am Aggregat Tee. Jemand grillt Würste am wärmenden Feuer. Die Pferde grasen weit entfernt.

Später gelingen Parallefahrten mit den Galoppierenden. Der Hengst aber lässt sich nicht einfangen. Das Jagen, die fortwährend galoppierende Herde, durch die beiden rasenden Jeeps hinter ihnen und seitwärts zur Flucht getrieben, das Trampeln der Hufe, die heulenden Motoren, das Rufen der Pferdefänger, das immer mehr außer Atem geraten von Mensch und Tier. Adrenalin bei den Jägern, die Pferde rasen bald eine halbe Stunde und sind nicht zu dirigieren.

Auf Anraten der Pferdehirten bricht NBC, der mit seinem Monitor vorne im Kamerpickup sitzt, irgendwann ab. An einer Furt sieht man später das mit einem Lasso eingefangene Pferd sich dagegen aufbäumend, atemlos, schwer schnaufend und dann im Gegenschuss Aydin, der da hin starrt und sich fragend zu Hidayet umwenden wird und das Elementare dieser Szene überträgt sich mit Wucht. Das Ziehen und Halten des sich am Boden liegenden Pferdes, mit seinem Schnauben vor Erschöpfung ist die zweite statische Einstellung mit Pferd an diesem Ort und ich muss an Misfits denken, wo die Pferde zu Futter verabeitet werden, was hier nicht der Fall sein wird.

9.3. Drehtag 33
Motiv Ismaels Haus in einem anderen Ort, an einem Dorfplatz. Sonnenschein, warm, fast 20 Grad. Wir warten auf Wolken. NBC geht mit den Darstellern die Szenen durch. Hundegebell schallt abwechselnd aus allen Richtungen. Jugendliche aus dem Dorf amüsieren sich laut. Stimmengewitter hallig in der Senke. Jahrhundertealte Felswohungen mit vorgemauerten Anbauten, durcheinander, unübersichtlich. Gesammeltes, geschichtete Holz, ein vor sich hinrostendes Autowrack, halb ausgeschlachtet, ein zerbrochener Pferdewagen vor vertrocknetem Olivenbaum, rohe, unbearbeitete Steinmauern, davor zum Trocknen angehäuftes Holz, grobes Geäst, Müll, Plastik. Der Versuch dem harschen Ort eine Ordnung abzuringen. Filigran Gemauertes, ein Gemüsegarten, akkurat angelegt, wartet auf den Frühling. Nach einer Stunde wird ein Butterfly-Sonnensegel errichtet, um kein Sonnenlicht im Bildauschnitt zu haben. Die Kamera wird vor der Eingangstür der Wohnung aufgebaut.

Bild 17, eines der Anfangsbilder. Der Junge Ilyas, der Aydin vor der Schule beobachtet hat, dann einen Stein auf das Auto geworfen hat, dann geflüchtet ist, wird von Hidayet und Aydin nach Hause gebracht. Aydin wartet im Auto und Hidayet geht zu Eigangstür des Hauses, und wie das dann entwickelt wird, die Umsetzung des Drehbuchs, des Textes, an diesem und 2 weiteren Tagen, im dem Gespräch an der Tür beginnend, zwischen Hidayet und dem Vater Ismael eine Gewalt sich langsam aufbaut, abrupt entläd, wegen all der Demütungen, des verletzten Stolzes, und Hilf- und Ratlosigkeit sich äußern – das alles passiert in statischen Einstellungen, wenige Moment der Bewegung, wo die Kamera organisch der Szene folgt, wie immanent und durch den Schnitt später eine fließende Bewegung entsteht, die Szene in Echtzeit:

In der Totalen von oben das Dorf, ganz beiläufig, wie der Jeep reinfährt, dann unten auf dem Platz eine andere Totale, vor dem Landrover, alle steigen aus, der Junge rennt, Aydins Mantel fällt in den Sand, der Umschnitt, der Gegenschuss eine Totale wie einer Overshoulder zur vorigen Einstellung, der Junge rennt aufs Haus, Hidayet geht hinterher. Aydin bleibt am Auto, hebt den Mantel auf, klopft ihn ab, zieht ihn über. In dieser Bewegung der Gegenschuss, näher dazu, verbunden mit einer halbdiagonalen Zufahrt auf sein Gesicht, was er sieht, auf Hidayet am Haus, wie er wartet, und dann wieder Aydin, wie er sich umsieht, und gegengeschnitten mit einem Schwenk, wird gezeigt, was er sieht: den Müll, den Dreck, und dann hochguckt zu Hidayet, der vor der Haustür steht und wartet und sein Blick zu Aydin. Dann wendet er sich zur Tür, eine andere Achse wird festgelegt. Hidayets Blick auf die Tür, die sich öffnet, und eine Frau erscheint wieder, verschwindet und tritt dann zu Ismael, dem Vater des Jungen, aus der Tür und der Dialog beginnt zwischen ihm und Hidayet. In Schuss-Gegenschuss erzählt, und irgendwann der Blick von Ismael zu Aydin, sein Blick, sein POV, Aydin, wie er da steht, wie verlegen wegguckt in der Totalen vor dem Jeep, und dann im Schuss-Gegenschuss das sich gegenseitige Hochschaukeln zwischen Ismael und Hidayet, unterbrochen vom Blick Ismaels auf Aydin. POV Ismael auf den unruhiger werdenend wartenden Aydin.

Danach ein Ransprung an Ismael, der abgewendet durchs Fenster seinen Sohn ruft, sich eindreht, zu Aydin guckt, dann weiterdreht zu Hidayet, und sich dann wieder umdreht, und dabei einen Schritt zu Tür macht und die Kamera kaum merklich leicht mitfährt und dabei nach unten schwenkt und wo Ilyas aus der Tür ins Bild kommt, Ismael ansieht und nach unten guckt, und sein Vater ihn zur Rede stellt, ob er den Stein geworfen habe, leicht untersichtig dagegen, und dann wieder der Junge, der nichts sagt, den Blick eingefroren vor sich hin, beidseitiges Schweigen: Umschnitt auf Ismael, den Vater, der nichts sagt, dann nachfragt, dann wieder auf den Jungen, der vor sich hinguckt, der nicht antwortet, dann nickt, dann wieder Ismael, leicht untersichtig, sein Gesicht, wie es in ihm arbeitet, die Backenmuskeln. Dann auf Augenhöhe, aus der gleichen Achse, groß das Gesicht von Ilyas, der auf den Boden schaut, die Hand von Ismael, die ihm den Schlag ins Gesicht gibt, auf die rechte Backe, und wie leicht versetzt im Umschnitt wieder Ismael, der seinen Sohn anblickt, und der Iliays dagegengeschnitten, wie er zu seinem Vater hochblickt, sich abwendet und durch die Tür abgeht.

Dann eine leichte Zufahrt mit dem Zoom auf den Müll vor dem Haus und im Umschnitt Ismael, dessen Blick das war, der dann zu Boden guckt, dann zu Aydin und sich weiter umwendet zu Hidayet, der gerufen hat, dass das nicht nötig gewesen wäre, und im Umschnitt sieht man ihn, wie er sich erklärt.

Dann dagegen das Gesicht Ismaels, der zugehört hat und Hidayet anschaut, der zurückguckt, ein Duell der Blicke, und dann gerufen wird von Aydin, der aufbrechen will, zum Auto geht in einer Halbtotalen, im Umschnitt Hidayet, der nochmal zu Ismael schaut, sich dann wegdreht und abgeht in die Tiefe und zusammenzuckt, den Arm reflexartig vor den Kopf reißt, weil er in seinem Rücken ein lautes Splittern gehört hat.

Im Gegenschuss die Hand von Ismael, die er blutig aus der Scheibe zurückzieht, dann sein Gesicht nah vor dem Fenster, Ismael, der zu lachen beginnt und sich erklärt. Und dagegen Hidayet. Und dann wieder Ismael. Er fragt, ob es das sei, was sie wollten, und zu Aydin guckt, der inzwischen im Auto sitzt, was man halbnah sieht. Dann wieder auf Ismael in Richtung Hidayet und im Gegenschuss kommt Ismaels Bruder, der Iman, durch das Tor und die Kamera schwenkt leicht mit und endet in einer Zweier. Der Iman Hamdi neben Hidayet, der fragt, was hier los sei. Dann wieder auf Ismael, verärgert , dass es ohnen ums Geld für die Scheibe ginge und dabei laut wird, und Hidayet dagegen das verneint, und der zuhörende Hamdi neben ihm. Und dann Ismael, der langsam näher kommt zu den beiden, in einer leichten Vorherfahrt und Hamdi im Umschnitt ihn dann zurückhält, dazwischen geht, und ein Wort das andere gibt.

Und Hidayet zu laufen beginnt Richtung Landrover, und im Vordergrund Hamdi den wütenden Ismael kaum zurückhalten kann, das wird ausgleichend mitgeschwenkt. Aus der Achse dann auf Aydin, der all das aus dem Auto beobachtet, dann sein POV durch die gesplitterte Scheibe aus dem Auto total auf die sich eskalierende Situation, mit Hidayet, der zurückweicht, vor dem wütenden, kaum zu haltenden Ismael, der vonHamdi langsam in Richtung Haus zurückgedrängt wird, und Hidayet, wie er schnellen Schrittes auf das Auto zuläuft. Im Umschnitt Aydin im Auto halbnah, wie er Hidayet mit den Händen bedeutet, dass dieser sich beeilen soll. Danach Aydins POV aus dem Auto, total aufs Haus, wo Hamdi Hismal durch die Tür aus dem Bild drängt.

Hidayet und Aydin im Landrover, und das Auto springt nicht an, halbtotal und danach ein Rücksprung in die Anfangstotale von oben auf das Dorf, das orangene Auto, die Fahrertür öffnet sich und Hidayet steigt aus, wieder frontal zum Wagen , öffnet die Motorhaube, sucht den Fehler, guckt zum Haus,wo Hamdi heraus kommt und auf sie zuläuft.

Dann seitlich vor dem Landrover, Hidayet, der die Haube wieder schließt und zur Tür geht, mitgeschwenkt einsteigen will, während Hamdi von links ins Bild tritt, sich an der geöffeneten Fahrertür festhält und auf ihn einredet, sich zu erklären versucht und Hidayet antwortet und ganz links im Bild, hinter der Scheibe Aydin auf seinem Platz.

Dann durch die zersplitterte Scheibe der Seitentür vorne links Aydin, mittig leicht versetzt Hidayet, und rechts draußen vor dem Wagen an der geöffneten Fahrertür Hamdi, der weiterredet, der die Scheibe ersetzen will, die austehenden Mieten bezahlen, dabei ausholt, alles erkären will, und Gegenschuss auf Hidayet, und Aydin, der loswill. Und Hidayet, der kurz aussteigt, auf Hamdi zutritt, zurückgerufen wird, um dann im Gegenschuss, wieder durch die geborstene Scheibe, den Wagen zu starten, die Tür zuschlägt, während Hamdi lauter werdend auf die beiden einredet. Der Land Rover fährt langsam rückwärts aus dem Bild und Hamdi verabschiedet sich gestenreich.
Im Umschnitt, total , fährt der Land Rover in die Tiefe und Hamdi guckt ihm hinterher und dreht sich dann nach links ins Bild, um fluchend aufs Haus zuzugehen, und die Kamera schwenkt mit.

All das dauert 10 min und die Auflösung ist von bestechender Klarheit und Einfachheit.
Erinnerung an -zig Western, die Bewegung der Kamera, die Kadragen, die Blicke und wie das angeordnet wird, das Narrativ der Unausweichlichkeit und wie das aufgebaut wird. Die Komposition der Szene in beeindruckender Kongruenz von Inhalt und Form. Schnörkelloses klassisches Erzählen in Perfektion, ohne darin zu erstarren.

Die Umsetzung der Ausseinandersetzung, das Geschiebe, das Gedränge, das Zurückhalten des Bruders geschieht ohne Adrenalin, es wird gekämpft wie gesprochen wird. Der Schweiß auf der Stirn der Darsteller wegen körperlichen Anstrengung und nicht wegen irgendwelcher emotionalen Aufgeregtheiten.

Gesten: wie Aydin dem durchnässten Ilyas den Mantel überwirft, Schutz für das Kind, das mit dem Stein nach ihm geworfen hat.

12.3.
Einige Tage später. Der Iman wird mit seinem Neffen Ilyas Aydin aufsuchen. Der Junge soll sich entschuldigen und Aydin die Hand küssen. Archaische Geste der Abbitte, des Respekts.
Ilyas weigert sich. Hamdi, der Iman redet in einer immer lauter werdenden Tirade auf Ilyas ein,
endlich aufzustehen, sich vor Adyn zu verbeugen, um dessen Hand mit dem Mund zu berühren. Aydin streckt die Hand in Richtung des Jungen. Am Küchentisch sitzend verfolgen Aydins Frau Nihal und seine Schwester Necla dieses Bild, was wie ein Bühne ist. Eine Totale gegen das Fenster im Hotel, Aydin auf dem Sofa, Hamdi und der Junge ihm gegenüber. Necla und Nihal, die Zuschauer. Aus dem Tableau heraus die Blicke des Jungen auf Nihal, die ihn anlächelt, dann angewidert zu Aydin guckt, der das weglächeln will. Und dann der Junge, der nur da steht, und der all das nicht versteht, was aus verschiedenen Mündern auf ihn eingeredet wird und der irgendwann die Augen verdreht, umfällt, zusammenbricht und damit seine Ohnmacht wortlos darstellt, während Nihal erschreckt auffährt, im Gegenschuss ihr Entsetzen. Brechung vom Tragischen ins Komische.
Die Hälfte der Drehzeit ist vorbei. Die Innnenaufnahmen mit den noch ausstehenenden Dialogbildern in Aydins Büro/Höhle, dem Zimmer seiner Frau, im Hof von Suavi, Hamdis Haus, werden in einem Studio stattfinden. Das ist Neuland, auch für NBC.

Dass wir jetzt fast 1000 km in den höhergelegenen Osten fahren müssen, um dem Schnee zu folgen, ahnte bei Drehbeginn niemand. Das kleine Team wird noch kleiner, in einem Minibus werden die Verbleibenden nach Kars gebracht. Auf der Fahrt dorthin an einem Pass dann irgendwann alles weiss. Pause und Photos mit Smartphones, Herumtollen, Schneeballschlacht.

16.3. Kars
Orhan Pamuk, Schnee. Aber hier liegt keiner. Für einen Augenblick falle ich aus den Dreharbeiten zu NBCs Film KIS UYKUSU in Pamuks Roman SCHNEE und bin versucht, abends die leeren Straßen abzugehen und die Orte aufzusuchen, wo Ka sich aufgehalten hat.

Tägliches Ausschwirren und Herumfahren auf der Suche nach Schnee in der Landschaft. Das russisch Geprägte der Dörfer. Motiv Suavis Haus außen. Es taut. Schneenmatsch, Geröll am Hang, Birken hinter dem Haus im Schmelzwasser, tauende Eiszapfen. Auf der Terrasse davor eine Einstellung in der Dämmerung, wie Hidayet seine Frau Fatma anruft, und er ihr mitteilt, wo er sei.
Der verlassene stillgelegte Bahnhof tags zuvor, ein Tschechov Ort, wie geschaffen für NBC. Der Zug, der nicht mehr fährt, das Warten davor in der Bahnhofshalle mit dem Kanonenofen, und die Entscheidung Aydins mit dem Auto weiterzufahren, zu Suavi, seinem bestem Freund, der irgendwo im Nichts wohnt, und um dann dort auf die Jagd zu gehen, die kurios enden wird, werden wie eine Folie für die noch offenen Dialogszenen. Das Suchen nach Schnee scheint wie zielloses Suchen nach Schneeresten, es ensteht eine merkwürdige Koinzidenz mit dem suchenden Herumfahren von Hidayet und Aydin.

18.3.
Der selbstlose Einsatz der türkischen Mitarbeiter, die am Straßenrand, versuchen einen Wegweiser in den gefrorenen Schnee zu stemmen.

Im kalten Sturm. Autofahrten. Der Wind pfeift bei fast 17 Grad minus durch die Plane des Landrovers Die Kamera wieder hinter den beiden auf der Ladefläche. Kurzer Dialog. Hidayet soll anhalten, zurückfahren, Aydin hat den Wegweiser gesehen. Hidayet fährt zurück, hält an. Und dann der Blick auf das eingeschneite Dorf, unten im Tal, in dem die Schule liegt, der geholfen werden soll, durch Nihals Spendenaktion. Und seitlich durchs Fenster auf Aydin, “Fahr weiter”, versetzt in der Tiefe Hidayet, der Gas gibt. Und nach Abreise eines weiteren Teils des Teams aus Kars bleiben noch der Regisseur Kamera- und Tonmann mit Hidayet und seinem Land Rover, um das fahrende Auto im Schnee, in einer anderen Landschaft ohne Sonne zu zeigen, irgendwo im Dreieck Kars, Ezurum und Richtung Van. Nach 2 Tagen beschließt NBC dann, das zu beenden.

21.3. Istanbul
Schwitzend neben pensionierten Gymnsiallehrern, die sich über ihre Studienreisen beim Warten aufs Boarding (“ein halbes Jahr in Sparta, zuletzt Altgriechisch-Kurse”) austauschen, während bei mir langsam das Anstrengende, von Ort zu Ort Ermüdende, nach und nach erlischt. 4 Tage Pause.

Das Flugzeug nach Berlin hat 30 min Verspätung. Vor dem Gate, auf der Bank neben mir zeigt ein Engländer auf dem Smartphone scrollend einer Asiatin, die eine Nerdbrille trägt, Bilder aus Auschwitz, die unverwechselbaren Ziegelgebäude, die Stufen ins Nichts im Grün von Birkenau …
Später Blicke auf Neuschwanstein, Paris, Montparnasse, die blaue Moschee, Istanbul.

26.3. Istanbul
Und dann ist man doch überrascht, angesichts des Studios, von außen wie eine hellgetünchte Fabrikhalle an einer Ausfallstrasse in Kagithane, einem Randbezirk, mit viel verarbeitendem Gewerbe bei schlechter Luft, in einem Tal, mit nach Abwasser riechendem Zufluss ins Goldene Horn.
Was für ein Kontrast am ersten Tag in dieser Halle, wo sonst Playbackshows fürs türkische Fernsehen aufgezeichnet werden und wo jetzt die dunklen Höhlenräume Kapadokiens nachgebaut dastehen. Mit flexibeln Wänden, um variabler leuchten zu können, um Kamerastandpunkte mit verschiedenen Brennweiten zu ermöglichen. Und um Räume zu verändern fürs Bild, was in Uchisar nur eingeschränkt möglich gewesen wäre, dort in den kleinen Räumen mit niedrigen Decken, und dem ganzen Verbauten, das der Höhlenstruktur folgen muss. Hier wirkt alles großzügig, von jeder Seite begehbar, nach oben hin offen, als gäbe es über den Platz zum Arbeiten hinaus noch den Raum für die die erratischen Dialoge, die hir stattfinden werden. Den Raum, den sie brauchen, um sich nicht in all ihren Verästelungen zu verheddern. Für die nächsten zwei Wochen in Aydins Büro.
Am ersten Drehtag dann Aydin allein, das sich Reinfinden, das Aneignen des Ortes, der Dinge, sein Schreibtisch, der Laptop, der Lehnstuhl, die Bücher, die warmen Lampen. Ein gegenseitiges Ausprobieren. Es ist, als untersuchen NBC und Haluk Bilinger/Ayin den Raum auf seine Möglichkeiten. Der erste Kamerastandpunkt aber ist längst festgelegt, gestern während des Technikaufbaus. Aydin an seinem Schreibtisch, halbnah.

In nächsten Tagen kommt dann Demet dazu, die Necla spielt. Hinten auf der Chaiselonge liegend unter einem Plaid, ihren Bruder herausfordernd, sich manchmal aufsetztend. Aydin, der auf seinem Stuhl am Schreibtisch thront. Ein Zwiegespräch das an 4 Tagen gedreht wird. Das Licht völlig runtergedimmt. NBC irgendwo in der Ecke vor seinem Monitor. Gökan an der Kamera auf einem Stuhl sitzend, Etienne mit dem Boom, sich irgendwie abstützend, Tuncay mit dem 2. Boom und alle irgendwo im Dunkeln, auf und um die Darsteller Lichtpunkte. Dann, gleich einer Schachpartie, die Eröffnung von Necla. Aydin, der weiterschreibt, sich nicht umdreht. Die Szene, die dann in einer Totalen mehrmal wiederholt wird und fast 20 min dauert, und Aydin sich eindreht zu seiner Schwester, die sich aufsetzt, und wieder zurücklehnt, wird nach und nach in ihren Gesten reduziert: die Schauspieler, die es nicht gewohnt sind, wenig zu machen. Durchs Wiederholen der Tableaus auch Ermüdung und NBC, der immer mehr will, Besseres sieht und fordert. Tags darauf die Atmosphäre zwischen Aydin und Necla, irgendwie außerhalb der Zeit, ganz der Illusion verschrieben, wie vergraben unter Schnee, hinter dicken Wänden und wärmenden Feuer.

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Crew call: 8.30 h Frühstück in einem Nebenraum. Gegen 9.20 h taucht Nuri auf. Mit stand-in werden die Bilder entwickelt, gebaut. Gegen 11.00 h kommt Haluk. Er ist der Letzte. Der Dreh beginnt dann meist eine Stunde später. Dann 2 Stunden Drehen. Mittagspause. Danach bis zum Abend. Die Ausstattung arbeitet nachts, um Räume im Studio zu verändern.

7.4. Drehtag 53
NBC wie ein Instrukteur, Bewegung für Bewegung, Satz für Satz durchgehend.

16.4. Drehtag 56
C. Reygadas besucht NBC. Ist einfach irgendwann da, beim Mittagessen. Später auch in der Dekoration dabei, neben dem Monitor. Das Schlussbild wird gedreht. Hoch aufgelöst. Aydin alleine, nachdem seine Schwester den Raum verlassen hat. Er geht zum Fenster, schaut raus. Die sonnenlose Landschaft, das Zerklüftete. Leichte Fahrt. Die ganze Geschichte nochmal als Nachhall in seinem Gesicht. Der befreundete Regisseur verlässt irgendwann den Set.

21.4. Drehtag 61
NBC hat die Position von Ismael eingenommen, steht Melisa, gegenüber, die müde noch von anderern parallelen Dreharbeiten jetzt eine Erschöpfung zeigt, die auch der Rolle Nihal entspricht. Sie erarbeiten ihre Reaktion aufs Feuer, das Entsetzten, die Verzweifelung, ihre Bewegungen, die sie dabei machen wird. Es geht um Blicke, die Genauigkeit, dass das stimmt.

Die letzten Wochen vergehen ausschließlich mit der Arbeit mit den Schauspielern. Die aufzeichnende Kamera wie völlig in den Hintergrund getreten. NBC vor seinen Monitor. Wie ein geduldiger, immer weiter suchender Zuseher und Zuhörer, der selten eingreift, aber wiederholen lässt. Nach jedem Take korrigiert, Nuancen ändert. In seiner überdimensionierten Höhle, in der er rumprobieren, spielen kann. Dieses tägliche Eintauchen in das Abgedunkelte schafft den Raum für das Ausblenden der realen Zeit, bis zu 4 Stunden, fast ohne große Unterbrechungen. Die Dialoge erschließen, in fast serieller Wiederholung, bis zu 30 mal, in verschiedenen Einstellungsgrößen.

Vergessen der Fluglärm, Strassenlärm der nach wie vor durch Lüftungsschächte, offen gelassene Türen manchmal eindringt. Als habe NBC, den auch sie Effendi = Herr/Gebieter nennen, über all dem ein unsichtbares Kokon gespannt, das alles abschirmt und man denkt, dass die langen Gespräche (“Wie soll man leben”) nur in diesen Höhlenwohnungen im Winter möglich sind.

Die weinende Nihal im Auto durch die Nacht. Der Blick der Kamera frontal durch die Frontscheibe. Das Geräusch des Scheibenwischermotors, das Klappern der Scheibenwischer zusammen mit ihrem zunehmenden Schluchzen. Scheinwerferreflektionen auf ihrem Gesicht. Ein Scheinwerfer auf einer Schiene imaginiert vorbeifahrende Autos. Erzeugt die Iluision der Fahrbewegung. Nihals Auto steht im Studio. Rings um das Auto dunkel. Schwarz. Später in der Postproduktion wird Schnnee und Regen digital ins Bild eingearbeitet. Es wird ohne Probe, ohne Ansagen einmal gedreht. Nach 5 min, der Scheinerfer ist einige Male am Auto vorbeigefahren, ein weiterer sich auf einem Stativ sich kreisförmig drehender wird später den Eindruck karger Strassenbeleuchtung erzeugen. Dann ist der Take beendet. Die Studiolichter gehen an, Applaus. Die letzte Einstellung ist aufgezeichnet. Ende nach 75 Drehtagen.

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