Freitag, 16.01.2015

Lügenpresse

Das durch Nazigebrauch stigmatisierte Wort darf also nicht mehr auf eine Presse angewandt werden, die von einem Tag auf den andern aufgehört hat, Neonazis Neonazis zu nennen, als die zu Ministern und Generalstaatsanwalt ernannt wurden (ich spreche von der Ukraine); die nicht mehr auf die Maidan-Ereignisse beim Umsturz in Kiew zurückkommen wollte (die hatte jener Generalstaatsanwalt in Verwahrung genommen) und die Toten allein auf die eine (für sie richtige) Seite schaufelte; die auch den Besuch von Vize Joe Biden in Kiew im April 2014 im folgenden zu erwähnen ‚vergass’ (drei Tage vorher war der CIA-Chef dagewesen), obschon doch die provisorische ukrainische Regierung sich auf ‚amerikanische Rückendeckung’ berief, als sie daraufhin ihre Armee gegen die Separatisten in Marsch setzte; die Bilder fälschte und auf Bilderfälschung hereinfiel (bei der angeblichen ‚Schändung’ der Absturzstelle des Flugzeugs der Malaysia Airlines MH17). Etc.
Ich verwende also das Wort ‚Lügenpresse’ nicht und sage einfach: unsere politische Presse (inklusive TV-Nachrichten und Magazine) hat einseitig berichtet, immer wieder ein bisschen ‚nachgeholfen’, taktisch verschwiegen, hie und da (zum Beispiel in Talk-Shows) auch ganz schön ‚gewütet’ wie der ukrainische Ministerpräsident Jazenjuk vor versammelten Journalisten (so etwas wie die US-amerikanische Interessenvertretung in der Ukraine übernehmend, damit der Konflikt nicht etwa abkühle).

13 Kommentare zu “Lügenpresse”

  1. knoerer schreibt:

    Feine Sache, New Filmkritik jetzt als Pegida-Ableger. Was immer Sie an Presse zu sich genommen haben, lieber Herr Beringer, ich kann Sie zur vorurteilsbewahrenden Selektivität Ihrer Lektüren nur beglückwünschen.

  2. Johannes Beringer schreibt:

    Worin soll dieses Vorurteil bestehen?

  3. knoerer schreibt:

    Darin, dass über die Ukraine systematisch vorurteilsbehaftet berichtet werde.

  4. Johannes Beringer schreibt:

    Gut, ich wollte ohnedies ein bisschen ergänzen, sonst lande ich wie Pegida gleich in der Schublade. ‚Selektiv‘ ist gebont, darum kommt man kaum herum.
    Ich sehe regelmässig die ‚Tagesschau‘ – und wenn ich da z.B. höre ‚Tote auf beiden Seiten‘ (während des Umsturzes in Kiew) und kurz danach die über 80 Toten nur noch von einer Seite sind, macht mich das misstrauisch. (Die Nationalgardisten haben also erst geschossen und sind dann übergelaufen.) Ich könnte jetzt wirklich noch Etliches anführen, was ebenso dubios ist. (Der Brand des Gewerkschaftshauses in Odessa z.B. ist halt erstmal – wenigstens so halb – der anderen Seite in die Schuhe geschoben worden.)
    In der Presse, die ich querbeet gelesen habe (was halt im AGB-Lesesaal so da ist), herrschte ein merkwürdig uniformer Ton vor … Also habe ich ein bisschen im Internet geguckt, bis hin zu Willy Wimmer.
    Das Merkwürdigste allerdings: richtige Informationen – Informationen, die ich als richtig empfand (die mich aufklärten) – kamen im TV eher am Rande durch: in ‚Die Anstalt‘ z.B. oder in ‚Aspekte‘ – dort sind (im Dezember, glaube ich) die vollständigen Filmausschnitte von der Absturzstelle der MH17 und vom angeblich isoliert dasitzenden Putin in Sidney gezeigt worden.
    Ziemlich folgenlos, kann ich da nur sagen.

  5. Johannes Beringer schreibt:

    Jetzt habe ich eben in der ZDF-Mediathek nachgeschaut, um den Beitrag (die Filmausschnitte) in ‚Aspekte‘ (vom 12.12.2014) zu verifizieren. An der betreffenden Stelle heisst es: „Der Beitrag kann aus Rechtsgründen online nicht gezeigt werden. Es folgt der nächste …“

  6. knoerer schreibt:

    Gegen konkrete Kritik ist ja nun nichts zu sagen, da wäre ich der letzte, der einzelne Medien in jedem Fall verteidigt. Das ist dann aber eben selektiv – und daraus lässt sich nur mittels entweder Vorurteil oder genaueren Untersuchungen ein allgemeines Urteil bauen. Noch etwas anderes wäre es, sich die Schilderungen und Versionen, die in Russland oder auf RT deutsch verbreitet werden, zu eigen zu machen – wer Lügenpresse will, nämlich eine, die ihre eigenen Behauptungen nicht hinterfragt, muss sich vertrauensvoll in diese Richtung wenden.

    Ich kann längst nicht mehr unterscheiden, was ich wann wo gesehen habe, aber ich erlebe eine außerordentliche Vielfalt der Informationen, der Kritik und Gegenkritik in den mir täglich zugänglichen Medien. Die Putin-in-Sidney-Sache zum Beispiel war in meiner Facebook- und Twitter-Timeline binnen fünf Minuten aufgedeckt und lächerlich gemacht. Lange Diskussionen las ich über den möglichen (und de facto wohl eher geringen) Einfluss der Rechten, als sie Minister wurden. Wobei Facebook- und Twitter-Timeline ja nur heißt: Medien von hier, da, überall, weiß ich längst nicht mehr, wiewowas. In Talkshows saßen russische Botschafter und Russlandverteidiger aller Couleur – und gingen im übrigen in der Regel auf keines der Argumente der Gegenseite ein. Sämtliche der von Ihnen im Text völlig ohne Beleg genannten Beispiele habe ich als solche entweder schon genauso zigfach in der Presse (incl. TV und Magazinen) inkriminiert oder sehr kritisch hinterfragt bis tendenziell widerlegt gefunden. (Ja, auch die Frage danach, wer auf dem Majdan geschossen hat. Es ist, wie ich wiederum der Presse entnehme, nicht geklärt und unter den aktuellen Umständen wohl auch nicht klärbar.) Und nur noch ein Beispiel: Was der Spiegel mit Correctiv in der Rekonstruktion des MH 17- Abschusses jüngst geleistet hat, finde ich mehr als vorbildlich. Auch Lügenpresse?

  7. Johannes Beringer schreibt:

    Ich soll also Belege bringen und Sie argumentieren mit Facebook- und Twitter-Timeline. Tut mir leid, ich muss mich schon ein bisschen auf mein Gedächtnis verlassen, wenn ich von in der ‚Tagesschau‘ Gesehenem rede.
    Dann: weshalb soll ich nicht genauso kritisch, und nicht „vertrauensvoll“ wie Sie meinen, in die andere Richtung schauen (Russland und RT) – nur weil ich das Wort ‚Lügenpresse‘ hingesetzt und auch wieder eingeschränkt habe?
    Die Frage, was auf dem Maidan passiert ist, wäre natürlich sehr wohl zu klären und nicht erst am Sankt-Nimmerleinstag.
    Eine Hauptfrage (für mich) möchte ich doch noch stellen: Glauben Sie nicht, dass Biden oder das State Department (oder wer immer), als sie zum Einsatz der Armee rieten, schon damit gerechnet haben, dass sie Putin zum Eingreifen zwingen? (Er konnte ja wohl kaum einfach zuschauen, wie die ukrainische Armee Separatisten und russischsprachige Zivilisten zusammenschiesst.) Eine klassische Falle … (die auch die Medien hierzulande haben zuschnappen lassen).

  8. simon rothöhler schreibt:

    „dass sie Putin zum Eingreifen zwingen“ – hätte nie gedacht so einen blogpost je auf new filmkritik lesen zu müssen. beispiele für differenzierte berichterstattung wie die correctiv-recherchen zu mh17 mit dem satz „ich muss mich schon ein bisschen auf mein Gedächtnis verlassen“ zu beantworten ist dann allerdings vor dem hintergrund des dumpfen medienressentiments endgültig nur noch als satire rezipierbar.

  9. Johannes Beringer schreibt:

    Ich habe keineswegs die „differenzierte berichterstattung wie die correctiv-recherchen zu mh17 mit dem satz ‚ich muss mich schon ein bisschen auf mein Gedächtnis verlassen’” beantwortet.

  10. Stefan Ripplinger schreibt:

    Am „dumpfen Medienressentiment“ ist nur zu kritisieren, dass es immer noch ein Sentiment ist, welches die „Medien“ am wenigsten verdient haben, die aus traurigen Tagelöhnern bestehen, von niemandem ernst genommen außer von ihresgleichen. Wenn sie dafür bezahlt werden oder bezahlt zu werden hoffen, halten sie Europa oder die USA für das Reich der Freiheit und den „Spiegel“ für vorbildlich. Die Klügeren unter ihnen glauben selbst nicht an das, was sie schreiben zu müssen glauben.

  11. knoerer schreibt:

    Ich bin hier raus, staune aber, wie tief man da sinken kann, wo man links zu sein glaubt.

  12. Stefan Ripplinger schreibt:

    Vom Hochsitz einer europäischen Zeitschrift für deutsches Denken aus muss einer alle andern immer nur sinken oder kriechen sehen. Das mag angehen, solange er sie nicht für zum Abschuss freigegeben hält.

  13. Johannes Beringer schreibt:

    Ich bin ebenfalls raus. Bon Dieu, was war ich naiv: ich habe gedacht, es sei hier so etwas wie Dialog und Auseinandersetzung möglich – und bin jetzt eines Besseren (= Schlechteren) belehrt.

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