Aneignung
Es ist ein Gedicht über einen Dichter. Als schwarze Jugendliche gefragt werden, wer Muhammad Ali sei, antworten sie: „A poet, a Muslim, a champ“, in dieser Reihenfolge. William Kleins Film „Muhammad Ali. The Greatest“ (1974) würdigt die poetische Kraft des Künstlers in Sturm-expressionistischen Einstellungen. In Kleins stets um die Protagonisten tänzelndem Weitwinkelobjektiv erscheinen die selbsternannten „owner“ von Cassius Clay wie die Ankläger der Jeanne d’Arc, als Lemuren. W.L. Lyons-Brown, Besitzer der Brown-Foreman-Schnapsfabrik, Farmer und Ölmagnat, erklärt, seine Familie habe die Vorfahren Alis / Clays besessen und nun besitze er ihn. Sklavenhalter- und kapitalistische Ökonomie gehen nahtlos ineinander über, die Sklaven sind zu Waren geworden, die Sklavenhalter zu Kapitalisten.
Vor diesem Hintergrund entsteht Alis Dichtung, die sich auf keine Tradition berufen kann. Wie die anderen ihn und seine Leistung sich aneignen, so eignet er sich ihre Kultur an, er nimmt sich, was er braucht, aus der Welt von Werbeslogans, Rundfunkdurchsagen, Plakaten, Events, die Klein hinreißend hintereinanderschneidet, als wäre es eine Jazz-Improvisation. Ali dichtet in Slogans, er ist der „king of the ring“, „They said the best was Sugar Ray / That’s before we all saw Cassius Clay“, er setzt Superlativ auf Superlativ bis ins Phantastische, „I’ve wrestled with an alligator, / I’ve tussled with a whale. / I did handcuff lightning / And throw thunder in jail.“
Unversehens geht seine Dichtung in eine atemberaubende Philippika über: „Everything in america that has been made the greatest has been painted and colored WHITE like jesus is WHITE santa claus is WHITE tarzan king of the jungle he’s WHITE miss america is WHITE miss universe is WHITE miss world is WHITE when you go to heaven you walk on a milky WHITE way before you go to heaven you’re washed in lamb’s blood he’s WHITE as snow they say they teach you in tv commercials there’s WHITE owl cigars WHITE swan soap WHITE cloud tissue paper WHITE rain hair rinse WHITE tornado floor wax everything seems to be WHITE i’m dreaming of a WHITE christmas angel’s hair is WHITE angel food cake is WHITE and mary had a little lamb his fleece was WHITE as snow.“
Er rappt das, kurz nachdem er Stepin Fetchit getroffen hat, den er liebevoll „Step“ nennt; für mich der sentimentalste Moment des Films. Stepin Fetchit, der erste afroamerikanische Superstar, aber stets der Underdog, so auch hier. Wäre er Alis Gegner, Sonny Liston, gewesen, sagt Stepin Fetchit, dann hätte er gegen sich selbst gewettet. Muhammad Ali war einer der ersten Afroamerikaner, die auf sich selbst gesetzt und gewonnen haben.