Ich beneide jeden, der Zeit hat, etwas wie ein Buch fertig zu machen, sagte André Breton
Hans Wollschläger (1935 – 2007), Schriftsteller, Übersetzer, Kritiker; Autor auch für Petra und Uwe Nettelbecks »Die Republik«. Dieser Tage jährt sich sein Geburtstag zum 80sten Mal. Nicht unbedingt ein cinephiles Ereignis, des Erwähnens dennoch wert.
Typischer Wollschläger-Gedanke: »Es ist das ohnehin ein sehr weites Feld, die Frage, ob nicht die ganz schlichte Liebe zu einem Gegenstand ein außerordentlich wichtiges Erkenntnisinstrument ist, das ermöglicht, Dinge zu sehen, die der mehr mechanistischen Anwendung von vorgegebenen Interpretationsmustern verschlossen bleiben.«
»The dark and bloody grounds« – Titel einer grandios erzählten Amerikareise in Ws Karl-May-Biographie. Er wollte Mays (Spät-)Werk, welches er als Leser »schlicht liebte«, als das eines großen Schriftstellers rehabilitiert und etabliert wissen; gab deswegen etliche von dessen Texten erstmals vollständig heraus. Der notorisch gekürzte, verstümmelte oder auf Deutsches Wesen getrimmte May sollte endlich aus unseren Köpfen.
Monika Wollschläger, Ws Frau und Herausgeberin, sagt: Er lebte von seinen Übersetzungen ins Deutsche (James Joyce etc.). Eine Arbeit, die ihm, stets beklagt, Kraft und vor allem Zeit für Eigenes raubte (für das es kaum einmal ausreichend Geld gab). Eine Wunde, die sich nie schloss. Dafür ist dies Eigene aber ganz erstaunlich umfangreich und vielschichtig geraten.
Zumal auch angesichts Ws unausgesprochenem, jederzeit verwirklichten Credo: Jeder Satz, ob er nun Journalistischem, einer Rezension, einem Essay oder Roman zugedacht ist, verlangt den ganzen Schriftsteller, all seine Kunstfertigkeit und Passion. Eine literarische Hierarchie mit dem Roman in der Königsposition, wie sie heute (auch und gerade im sog. Literaturbetrieb) weithin gepflegt wird – für W unhaltbar, ein Treppenwitz. Von ihm verfasste Kritik (siehe »Von Sternen und Schnuppen«): nicht gewissen- und bewusstlos dahin geschluderter Service und Freizeit Tipp, schon gar keine sich selbst hochleben lassende Besserwisserei, sondern, ja, sowas gibt es: schöne Literatur, die sich erhellend neben andere schöne Literatur stellt.
Einige Abschnitte Ws, dachte ich vor langer Zeit beim allerersten Lesen, sind, na ja, ganz schön geschraubt. Zugleich ließ das Geschriebene nicht los. Und schließlich riss die Eleganz und Feinnervigkeit von Ws weitgespannten Satzperioden mich fort. Wo man ihn lesend anlangt? Nach dem Ausschreiten größerer Weltteile stets auch bei sich, bei eigenen Einstellungen, die, man vertue sich da ja nicht, die Gesellschaft mitformen, und die W radikal umzupflügen, durchzuarbeiten anregt (man lese etwa »Tiere sehen Dich an«).
Seine Kindheit und Jugend verbrachte W in Herford; verwandelte auch Etliches an diesem Ort (der auch meiner ist) Erlebtes in Poesie. Erinnerungen an W in Herford: keine, nirgends.