Filme der Fünfziger (XXXIV): Heisse Ernte (1956)
Es liegt nahe, in „Heisse Ernte“ von Hans H. König eine deutsche Variante von „Bitterer Reis“ (1949; R: Giuseppe de Santis) zu sehen. Da gibt es Parallelen wie die überfüllten Eisenbahnabteile, die Barackenunterkünfte der Erntearbeiterinnen, die Gemeinheiten und Gaunereien; aber dann ist bei König doch einiges, ja vieles ganz anders.
Die Produktion gibt Rätsel auf; als Drehbuchautorin wird neben Johannes Kai zunächst die völlig unbekannte Ingrid Thauer genannt; an ihre Stelle tritt im Vorspann und in allen Filmografien der ehemalige amerikanische Filmoffizier Carl Winston. Mit Komparserie und Ausstattung wurde ein enormer Aufwand betrieben (auf der filmportal-Seite kann man einige Kostümskizzen sehen); in Tettnang baute man wegen der schlechten Wetterverhältnisse sogar zwei Säle zu Behelfsateliers um. Und schließlich ist der Film offensichtlich in zwei unterschiedlichen Versionen gelaufen.
Edith Mill kommt als Auschra mit vielen Saisonarbeiterinnen zur Hopfenernte in den Film. Auschra ist aus dem Memelland geflüchtet und nun will es der Zufall oder besser gesagt das Schicksal, dass Konrad Stammer (Erik Schumann), der Sohn des Grossbauern, als Soldat bei Auschra einquartiert war. Konrad spaziert in Schaftstiefeln und mit einem Schäferhund über sein Anwesen; das soll Kraft und Autorität ausstrahlen, geht aber nicht ganz auf, weil der Herrn dem temperamentvollen Schäferhund eher hinterherstolpert. Konrad ist mit Sybille Scharfenberg (Hanna Rucker), der Tochter des Nachbarbauern, verlobt. Er fährt ein schickes VW Cabrio, Sybille ein NSU-Fiat Neckar Sport Cabriolet, das 1955 die stolze Summe von 11.000 DM kostete. Auschra fährt mit vielen anderen Frauen im Pferdewagen. Da geht es sehr simpel um Klassenunterschiede und ihre Auflösung. Sybille rauscht rücksichtslos mit ihren Neckar Sport am Pferdegespann vorbei, die Pferde brechen aus und Auschra fällt vom Wagen. Sie hat sich den Arm ausgekugelt. Gut, dass Konrad gleich zur Stelle ist; er renkt den Arm wieder ein, kümmert sich und, ja, verliebt sich in die stille, charakterstarke, bescheidene und fleißige Auschra, die unverschuldet ins Subproletariat gefallen ist.
Wo es solches Glück gibt im Leben wie im Liederschatz („Wer das Leben liebt, so wie ich und Du,/ ja, dem fliegt das Glück nur zu“), da gibt es auch Neid und Missgunst. Stanislaus (Helmut Schmid), Auschras Großknecht aus Ostpreussen, dampft den Schwefelgeruch des Teufels und hat es auf die tapfere Auschra abgesehen. Kameramann Kurt Hasse umgibt Helmut Schmid mit Lichteffekten als ob dieser das Böse permanent ausschwitzen würde. Diese Radikalisierung hätte man sich auch für andere Figuren gewünscht. Auch Sybille ist gemein zu Auschra – sie bietet ihr Geld, damit Auschra Konrad freigibt. Die Dynamik des Barackenlebens führt derweil zu Frauenkämpfen, nächtlichem Nacktbaden, Lagerfeuer-Romantik, Unterwäsche-Erotik und Top-Shots auf dekolletierte Tänzerinnen.
Stanislaus will Auschra mit Gewalt zurückerobern und wird dabei von Sybille und ihrem Gehilfen Inspektor Schleinitz (Robert Freytag) unterstützt. Aus Habgier bringt Stanilaus Schleinitz um und wirft Auschra von der Dachkammer einer Hopfen-Darre in die Tiefe. In der ersten, auch eine Zeit lang im Kino gezeigten Version, stirbt Auschra, in der zweiten Fassung erhebt sie sich wunderbarer Weise wie nach einem kleinen Stolpersturz. Diese Version lief im Fernsehen und wurde auch 1995 als Video unter dem Titel „Der Gutsherr und das Mädchen“ veröffentlicht.
Natürlich sind Eltern und Schwiegereltern nicht glücklich über die Auflösung der Verlobung von Konrad und Sybille („Soviel Arbeit und jetzt auch noch das!“), aber das spielt in der zweiten Fassung keine Rolle mehr, denn Auschra hat einen Todessturz überlebt. Und so näselt Vater Stammer (Friedrich Domin) der ungewollten Schwiegertochter die Worte „Du bist jetzt zu Hause“ ins Ohr, womit auch die ungerechten Klassenunterschiede wieder ins Lot gerückt sind.
Zeitgleich produzierte Richard König mit teilweise identischer Besetzung nach einer Idee von Hans König die Komödie „Zwei Bayern in St. Pauli“ (Regie: Hermann Kugelstadt). Das sieht ganz danach aus, als wollte der Produzent die gewagtere Produktion „Heiße Ernte“ mit einer Klamotte wirtschaftlich absichern. Es ist ziemlich unwahrscheinlich, dass die ursprüngliche Fassung von „Heiße Ernte“ sich auch noch in weiteren Teilen als dem Ende von der verfügbaren Fassung unterscheidet. Aber sicher wird man natürlich erst sein, wenn die erste Fassung wieder auftaucht. Und auch das ist ziemlich unwahrscheinlich, denn wer sollte sich schon auf die Suche nach einem Heimatfilm von Hans H. König aus den 1950ern begeben? Das wäre vielleicht ein Fall für das Werkstattkino in München.