Filme der Fünfziger XXXV: Waldwinter (1956)
Über 90 Filme hat Wolfgang Liebeneiner seit 1937 inszeniert. An vielen hat er als Drehbuchautor mitgewirkt, in einigen seiner Regiefilme ist er auch als Schauspieler aufgetreten; von 1931 bis 1937 war er im Film nur als Schauspieler präsent. Man könnte einen Autorenfilmer vermuten, aber kann ein Multi-Funktionär ein Autorenfilmer sein? Liebeneiner war im „Dritten Reich“ im Aufsichtsrat der Terra, Leiter der künstlerischen Fakultät der Filmakademie Babelsberg, Leiter der Fachschaft Film der Reichsfilmkammer und … und … und Produktionschef der Ufa, sogar Professor von Goebbels Gnaden. Man sieht seinen Filmen den Kenner und Könner an und man kann neben den bekannten Propagandaschoten „Bismarck“ (1940), „Ich klage an“ (1941) und „Die Entlassung“ (1942) durchaus Filme entdecken, die viel vom Alltag im „Dritten Reich“ vermitteln. Liebeneiner war ein Alleskönner: Realist, Melodramatiker, Gesellschaftskritiker, Komödiant, was auch immer. Nur politisch war er nach eigener Aussage nie. Ein Konformist, ein Opportunist, gar Parteigänger jeglicher Partei? Vielleicht eher ein Chamäleon – stets in der ersten Reihe und doch nie erkennbar.
Nun also „Waldwinter“ aus dem Jahr 1956, Liebeneiners dritter Heimatfilm nach „… und ewig bleibt die Liebe“ und der schaurigen „Schönen Müllerin“, beide 1954. Liebeneiner hat dem Film in etwas holpriger Diktion einige grundsätzliche Überlegungen beigegeben. „Wenn man dem ‚Heimatfilm’ das Unechte und Kitschige nimmt, wenn man ihn ohne Sentimentalität und ohne heuchlerische Spekulation auf intimste Erinnerungswerte herstellt, dann tritt eines der wesentlichsten und wichtigsten Probleme unseres Daseins hervor: die Frage nach dem Wesen und dem Wert der Heimat, die uns alle angeht. … Hier ist eine Fülle von Konflikten möglich, die Fragen unserer Zeit anschneiden und die die Antwort nicht aufdrängen, sondern es dem Zuschauer überlassen, aus dem Geschehen seine Schlüsse zu ziehen und sich mit der Liebe und dem Hass, mit den Leiden und Freuden der Mitmenschen auf der Leinwand zu identifizieren. Darum ist ein echter ‚Heimatfilm’ aktuell und spannend und ein wahres Kind unserer Zeit.“
Schlesien, tief eingeschneite Felder, ein Rehkitz und dazu das schlesische Volkslied „In dem Schneegebirge“ mit den Zeilen „Ade, mein Schatz, ich scheide. Ade, mein Schätzelein! Wann kommst du denn doch wieder, Herzallerliebste mein?“ Baron Malte (Rudolf Forster) ist mit dem Dorf zu Weihnachten in der Dorfkirche. In einem Kübelwagen kommt Enkel Martin (Claus Holm) gefahren und warnt den Baron, dass das Dorf in wenigen Tagen vom Krieg überrannt wird. Gut, dass es noch das Jagdschloss im Bayerischen Wald gibt. Hast Du nicht gesehen, sind wir mit allen Dorfbewohnern rund 10 Jahre später im Bayerischen Wald.
Dort will der Baron eine Glashütte aufbauen, aber sein Gut ist verschuldet und sein Wald zu einem beträchtlichen Teil schon abgeholzt. Der Verwalter Stengle (Willy A. Kleinau) drängt darauf, das Jagdschloss an einen Hotelier zu verkaufen. Aber Onkel Malte will „seine Schlesier“ nicht im Stich lassen. „Ich habe die Leute herausgebracht, ich muss dafür sorgen, dass sie zurecht kommen.“
Enkel Martin ist Geschäftsmann, gerade in Paris im Modesalon seiner Geliebten Simone (Erica Beer). Eigentlich will er mit Simone nach Ägypten und wird jetzt von „grand-maman und grand-pere“ nach Falkenberg gerufen. Martin hat eine einfache Lösung für die finanziellen Probleme; die Großeltern sollen das Gut verkaufen, sich eine nette Drei-Zimmer-Wohnung mieten und ins Theater und in Konzerte gehen. Da bekommt er es aber mit Marianne (Sabine Bethmann in dezenten Blau- und Pastelltönen mit Halsschleifchen) zu tun, der angenommenen Tochter des Barons. Sie spricht von Pflicht und Verantwortung und der Heimat, die sie sich aufgebaut haben; er nennt sie Kindchen und Kleines. Ach, seufzt die Frau Baronin, wie soll Martin sein Leben durchstehen ohne Familie, ohne Heimat. Er weiß doch gar nicht, was das ist. Da läutet die Kirchenglocke; Marianne führt Martin durch den Schnee ins Dorf, wo die Kinder Schlitten fahren und unter „O Tannenbaum“ Gesang Krippenfiguren anmalen. Marianne zeigt Martin auch den Weg in den tiefverschneiten Wald, wo das Rehkitz aus dem Vorspann wohnt. Ist es womöglich auch aus Schlesien geflohen? Marianne ruft es „Hansi“, Hansili“ und „Hansilein“ und Martin wird’s ganz wunderlich im Gemüt, wie er Marianne und Hansilein engumschlungen sieht.
Der Verwalter Stengle ist ein Gauner; er hat dem Baron Geld gestohlen – deswegen die finanziellen Nöte – und steht unter dem Pantoffel seiner modebewußten, ehrgeizigen Frau (Ilse Steppat). Als Martin das herausbekommt, will Stengle ihn erschießen. Aber Martin wird nur verletzt, Stengle gefasst und jetzt werden Martin und Marianne das Gut samt Glashütte, Verantwortung und Heimatpflege übernehmen. Der Förster (Gerd Fröbe als Rübezahl-Figur) hat es schon vorher gewußt. „Nu bleibts beim Alten“.
„Der Baron“, so heißt es einmal, „will sich nicht an die neuen Zeiten gewöhnen.“ Die Paarungen der neuen Zeit sind Geschäft ohne soziale Verantwortung und Kriminalität, die große ferne Stadt und französische Mode, kommunistische Parolen und irre Blicke (Klaus Kinski an der Zither!). Die Integration der vertriebenen Schlesier dagegen ist nur eine Arabeske. Es geht um Martin, einen „der vielen, die ihre Heimat verloren haben oder sie nicht finden können.“ An ihm liegt es, ob die Gegenwart die idyllische Variante der Vergangenheit werden kann. Komm zurück, Martin! Und Martin antwortet im Ton eines abgelaufenen Kalenderblatts „Das ist ja großartig“.
Nicht auf DVD. YouTube: https://www.youtube.com/watch?v=arFpNhG5Qwc
Ergänzungen zu Filmportal:
Kassiererin: Elsa Cialowicz; Produktionsseketärin: Herta Hirsch; Ateliersekretärin: Irmgard Brahmann; Presse- und Porträtfotograf: Roman Stempka (Cinepress); Presse: Peter Kühn, Hans J. Wiechers (Cinepress)
Dreharbeiten: 19. 12. 1955 – 13.1. 1956 in den Ateliers Tempelhof; Aussenaufnahmen bis 4. 3. 1956 in Viechtach/Bayerischer Wald