Filme der Fünfziger (XLIII): …und führe uns nicht in Versuchung (1957)
„Ich bring sie um“, möchte der Stationsvorsteher Hudetz (Gerhard Riedmann) denken, als ihn seine Frau wieder einmal mit ihrer Eifersucht quält. „Wenn ich den Sonderzug abgefertigt habe, komm ich rauf“, ruft er seiner 13 Jahre älteren Else (Heidemarie Hatheyer) zu. „Ja, aber dann wirst Du über Deinen Büchern sitzen und kein Wort mit mir reden.“ Der „Herr Stationsvorsteher“ studiert nebenbei auf Ingenieur, er will raus aus seiner engen Welt. „Von der Schule in den Krieg, vom Krieg ins Lager, vom Lager in deine Gefangenschaft – nie war ich mein eigener Herr“, wirft er Else an den Kopf. „Gib mich frei“. Nein, das tut sie nicht, auf keinen Fall. Gegen die Hatheyer kommt Riedmann nicht an.
Gerhard Riedmann kannten die Kinogänger bislang nur als singenden Hallodri aus Operetten- und Heimatfilmen wie etwa dem „Vetter aus Dingsda“ (1958; Regie: Karl Anton) oder der „Fischerin vom Bodensee“ (1956; R: Harald Reinl). 1957 stand er auf Platz 8 in der Riege der beliebtesten Schauspieler und spielte in acht Filmen – ein enormes Arbeitspensum. Aber was heißt schon spielen? Als Stationsvorsteher stellt er die Weichen, hält steif und stumm die Signalkelle hoch und pfeift auf der Trillerpfeife. Sein Gesicht bleibt in allen Situationen leer und unbewegt.
Das Annerl (Johanna Matz) liebt den Hudetz, stellt ihm nach, raubt ihm einen Kuß und schon hat er das Signalstellen ganz vergessen. Ein Personenzug rast vorbei, stößt mit einem entgegenkommenden Zug zusammen. Nachträglich korrigiert Hudetz schnell noch das Signal und wird vor Gericht aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Das Annerl hat für ihn Zeugnis abgelegt; seine Frau, von Eifersucht getrieben, sagt vor Gericht gegen ihn aus. Es glaubt ihr keiner. Hudetz nimmt sie in Schutz: „Meine Frau ist krank“. Wir befinden uns im Genre des Problemfilms.
„Der Hudetz war im Krieg einer meiner besten Leute – ein anständiger, immer hilfsbereiter Kamerad. Deswegen hab ich ihn auch hierhergebracht“, bemerkt der Herr Baron (Rudolf Forster). Wie kann der Kamerad, der sich im Krieg mit Anstand bewährt hat, schuldig sein? Wer ist Schuld am moralischen Debakel des Hudetz – der Krieg, die Zeit, die Frauen? Nicht der liebe Gott, so sagt die Exegese, führt in die Versuchung, sondern unsere eigene Schwäche. Das ist dem Film aber zu kompliziert. Der Altersunterschied der Eheleute wird mehrfach thematisiert. Das kann doch nicht gut gehen.
Hudetz zieht in die Stadt, arbeitet bei der Bahn im Ersatzteillager. Seine Frau will ihn zurück; er sträubt sich – große Auseinandersetzung – die Frau stirbt. Sie hatte es doch immer, wie ein Arzt sagt, am Herzen. Frau Hudetz hinterlässt einen Brief an das Gericht, indem sie ihre belastende Aussage widerruft. Alles könnte nun gut werden. „Ich will vergessen und leben“, sagt Hudetz zu Annerl.
Aber das Gewissen quält die beiden, immerzu nagen Betrug und uneingestandene Schuld an ihrem Glück. Da tut es gut, dass es in der Bundesrepublik Institutionen gibt, die Erlösung versprechen. Erst heiraten Annerl
und Hudetz und dann gehen sie zusammen zum Staatsanwalt, um ihre Schuld anzuzeigen. Immer stelle ich mir fälschlicherweise vor, dass sie beim Staatsanwalt durch zwei getrennte Türen gehen – eine für Frauen und eine für Männer. So wie es auch früher in der Kirch’n war. Aber darüber ist die böse Zeit schon lang hinweg. Es bleibt der Bußgang als Erlösungsphantasie.
Johanna Matz wollte, so der Verleih, das Image des „Hannerl“ abschütteln; dass sie hier den Namen Annerl trägt, hat ihr dabei sicher nicht geholfen. Im Jahr darauf verliebt sie sich als bürgerliche Lixie Härtl im Film „Im Prater blüh’n wieder die Bäume“ (1958; R: Hans Wolff) in den Erzherzog Peter Ferdinand (Gerhard Riedmann). Ganz so wie die „Sissie“; und der Riedmann schaut auch immer so ernst drein wie der Böhm. Wurd’ aber nix mit dem neuen Traumpaar. Annie Rosar spielt mit Lust und Können „die Leimgruberin“, die böse Klatschbase – Willy Rösner, nach eigenen Angaben seit 1916 beim
Film, wohltuend routiniert den Vater des Annerl. Regie führte Rolf Hansen, wieder begleitet von seinem Team Franz Weihmayr (Kamera), Robert Herlth (Bauten) und Mark Lothar (Musik). Lothar machte es sich leicht und übernahm gleich einige Melodiebögen aus seinem letzten Film „Die Letzten werden die Ersten sein“. Merkt eh’ keiner. Bei Franz Weihmayr allerdings kann man weinen, dass er keine besseren Stoffe hatte. Seine in schwarz-weiß gedrehten Bilder haben bisweilen eine ganz düstere, geheimnisvolle Atmosphäre.
Der Film entstand nach Ödon von Horvaths Stück „Der jüngste Tag“. Dr. Franz Höllering, Übersetzer und Dramaturg, bearbeitete, nein, korrigierte die Vorlage. „Die bei Horvarth sich verwirrenden Fäden sind hier wieder geordnet, hellere Farben lockern die lastende Atmosphäre auf und ihre größere Plastizität, die klar geordnete Exposition führt ohne Verschnörkelung zum Konflikt, die Gestalten erscheinen menschlicher und der Filmschluß wirkt lebensnäher und begreiflicher als die visionäre Apotheose, in der das Stück bei Horvarth endet.“ (Presseheft) Eine Romanversion erschien zum Erscheinen des Films in der „Star-Revue“. Vielleicht ist das auch ein Standard bei der Horvarth Rezeption in den 50ern – erledigt durch hellere Farben und philologisch in Ordnung gebracht.
Keine DVD