Filme der Fünfziger (XLIV): Kommen Sie am ersten …! (1951)
Anfang der 50er war die bundesrepublikanische Gesellschaft in einem kaum mehr nachvollziehbarem Ausmaß von Spießigkeit, Intoleranz und Angst vor kommunistischer = russischer Agitation durchsetzt. Wolfgang Staudtes „Der Untertan“ wurde in der Filmpresse als „Film gegen Deutschland“ denunziert, Staudte als „Kommunist“ zur Hetzjagd freigegeben.
Seit Anfang 1951 wartete die Real-Film Hamburg monatelang auf die Bewilligung einer Bürgschaft für den Film „Engel auf Abwegen“. Erst Monate später stellte sich heraus, dass der Grund für die Verzögerung nicht in der Qualität des Antrags lag, sondern in der Person des Real-Film Chefs Walter Koppel. Koppel war früher Mitglied der DKP und 1947 aus der Partei ausgetreten; aber war er nicht noch links und konnte es nicht sein, dass er mit seinen Filmen das Bewusstsein der bundesdeutschen Bevölkerung untergraben wollte? Also gab es erst mal keine Bundesbürgschaft. Erst Mitte 1952 wurde Koppel rehabilitiert. Inzwischen hielt die Real-Film ihren Betrieb mit Ateliervermietungen aufrecht und der Hamburger Senat beschloss, die Produktion mit Landesbürgschaften zu unterstützen.
In dieser Atmosphäre entstand der Film „Kommen Sie am ersten…“, und er sieht ganz so aus als solle mit ihm gute bürgerliche Gesinnung demonstriert werden. Inge Imhof (Hannelore Schroth) verliert ihre Stellung im Textilgeschäft von Herrn Kolbe (Hermann Pfeiffer), weil viele Kunden ihre Rechnungen nicht bezahlt haben. Also macht sich Inge daran, die offenen Schulden einzutreiben. Sie geht in alltagsgrauen Aufnahmen (Kamera: Albert Benitz) durch die Straßen Hamburgs, die Viertel der Mietshäuser, die Treppen zur U-Bahn hinab oder die Treppen zu einer höhergelegenen Straße hinauf. Es geht um den willkürlich verzögerten Geldverkehr, der Geschlechterbeziehung, Ehefrieden, und soziale Sicherheit bedroht und sich auch auf die Beziehung der Generationen auswirkt. Als Inge einmal erfolgreich Geld eingetrieben hat, nimmt ihr Vater (Josef Sieber) ihr es gleich wie selbstverständlich ab. Inge guckt zwar überrascht, aber ihr Vater hat auch Schulden; da muss das so sein.
In dem Haus des säumigen Kunden und jungen Komponisten Bruno Freyberg (Ernst Lothar) trifft Inge auf Gustav Schäfer (Günther Lüders), einen professionellen Schuldeneintreiber, der sie in die Tricks seines Gewerbes einweiht. „Das Klingeln ist die Seele des Kassierens – nach einer Weile klingelt man melodisch und im Takt. Der „Donauwalzer“ zum Beispiel wirkt verheerend.“ So geht es in die Wohnungen der Schuldner, auch in die Ehe von Gustav Schäfer, niemals aber in die Wohnung von Inge und ihrem Vater.
Der Komponist Bruno lebt mit seinem Textdichter (Joachim Teege) in einer Junggesellenwohnung – volle Aschenbecher, Schnapsflaschen auf dem Tisch, Kunstdrucke an der Wand und natürlich ein Klavier. Bruno ist immer zu spät, lebt auf Pump und hat Löcher in den Strümpfen; dabei ist er begabt und erfolgreich. Gleich hören wir einen von ihm komponierten Slowfox „Das Schicksal hat ja gesagt“ in der Tanzbar „Paradiso“ und im Radio. Ein anderes Stück singt er übers Telefon seinem Musikverleger vor, der es natürlich gleich kauft. Noch am selben Abend erklingt die Neukomposition flott arrangiert in der Tanzbar. Eigentlich, sagen Regie und Buch, gehören alle zu einer Familie; das Leben in dieser Familiengesellschaft könnte so einfach sein, aber erst muss Inge kommen und Ordnung schaffen. Denn Bruno hat nicht nur Schulden, sondern auch ein Verhältnis mit der Frau von Gustav Schäfer, der seinerseits das durchhängende Eheglück von Minnie und Dr. Brand (Inge Meysel und Robert Meyn) wieder ins Lot bringt. Minnie kauft sich immer neue Sachen, die sie nicht bezahlen kann, um ihrem Mann zu gefallen. Der aber merkt es nicht und ist auch noch Psychologe – das ist mal richtig lustig. Inge schleicht sich regelmäßig in die Wohnung von Bruno; so bekommt sie schließlich das Geld und ihre Anstellung bei Kolbe zurück. Sie führt Bruno auch auf den Weg der Tugend zurück. „Man kann“, so ermahnt sie ihn zu seinem Verhältnis mit Frau Schäfer, „nicht immer nur nehmen und nehmen ohne zu fragen, was es kostet.“ Bruno verliebt sich in die strenge Inge und nimmt sie, ohne lange zu fragen, zur Braut. Die entpuppt sich vor dem Verlobungsessen als wahre Lustbremse. Was sollen sie bei der Verlobung essen? „Was meine Frau am liebsten ist“, meint Bruno. Und ganz im Sinne der einwandfreien Geldmoral antwortet Inge: „Bezahltes Essen“.
Gedreht wurde, weil die Real-Film-Studios vermietet waren, in einem Behelfssatelier der Graf-Goltz-Kaserne in Hamburg-Rahlstedt; gleich nebenan waren die Synchronstudios der Eagle-Lion-Film, einer Tochtergesellschaft der britischen Rank-Film, die den Verleih von „Kommen Sie am ersten…“ übernahm. Noch während der Dreharbeiten zogen die ersten Soldaten des Bundesgrenzschutzes ein; im August musste die Produktion dem Militär weichen und wechselte auf das Gelände der Dynamit-Nobel in Geesthacht etwa 30 Kilometer von der Hamburger Innenstadt entfernt. Diese Provisorien sind wahrscheinlich dafür verantwortlich, dass die Showeinlagen im „Paradiso“ etwas ärmlich wirken.
Erich Engel inszenierte den Film wie eine Boulevardkomödie; die Schuldeneintreiber benutzen das Treppenhaus, während der Komponist mit der untreuen Ehefrau im Fahrstul entschwindet. Michael Jary komponierte die Musik, die im selben Jahr auch auf Schallplatte erschien, und Axel von Ambesser spricht einen selbstverfassten Kommentar, den man seinerzeit launig und charmant nannte. „Der wichtigste Körperteil der Frau ist die Handtasche. Eine Frau kann vielleicht den Kopf verlieren, die Nerven verlieren, die Unschuld verlieren – das ist alles halb so schlimm. Aber die Handtasche, das ist schlecht.“ Gut war das auch nicht; der Film kam bis auf Platz 31 der Bestenliste 1951/52.
Kein DVD, aber auf https://www.youtube.com/watch?v=JWOl7ejzpsI&t=4s
Ergänzungen und Präzisierungen zu filmportal:
Mit Josef Sieber (Vater Imhof), Tanzpaar Ninowa und Milos.
Standphotograph: Peter Michael Michaelis. Dreharbeiten von Ende Juli bis Ende August 1951 in den Behelfsateliers Hamburg-Rahlstedt und Geesthacht.
Dank an Volker Reißmann und die Zeitschrift „Hamburger Flimmern“