Samstag, 22.12.2018

Filme der Fünfziger XLVI: Toxi (1952)

Für die amerikanischen Soldaten, die 1945 mit den Alliierten den Krieg beendeten und nach Deutschland kamen, galt offiziell das Fraternisierungsverbot, aber natürlich kam es zu Liebesbeziehungen zwischen GI’s und deutschen Fräuleins. Es entstanden Kinder, darunter mehrere tausend schwarze Babys, die ab 1952 schulpflichtig wurden. Wie sollte die bundesdeutsche Gesellschaft damit umgehen, wie sollte sie sich verhalten gegenüber den „Neger-, Mulatten- oder Mohrenkindern“, wie sie genannt wurden. Das war die Fragestellung von Robert A. Stemmle’s Film „Toxi“, gedreht nach einem Drehbuch von Marie Osten Sacken und Peter Francke, zwei weitgehend ambitionslosen, aber erfolgreichen Drehbuch-Profis. Walter Koppel bereitete für die Hamburger Real-Film die Verfilmung vor, verkaufte die Rechte dann aber wegen der Querelen mit dem Bundesinnenministerium und der fehlenden Bürgschaftsaussichten an Dr. Hermann Schwerin von der Fono-Film. Der Drehstab zeigt noch deutliche Spuren der Vorarbeit; von Ton über Ausstattung bis zum Schnitt werden Real-Mitarbeiter genannt.

Geburtstagsfeier im Haus Rose, Großmutter Helene (Johanna Hofer) wird 50. Am gedeckten Tisch sitzen der Großvater, die Töchter mit Schwiegersohn und Verlobtem, als Gäste der Hausarzt und das Ehepaar Übelhack. In der Küche schimpft die ältere Wirtschafterin mit der jungen: „Kochen musste können sonst kriegste nie nen Mann“ – „Und Sie, Sie können kochen und haben auch keinen.“ Dr. Carsten erwähnt in seiner Rede auf die Großmutter „die schwere Zeit, die wir hinter uns haben“ und „das Wohnungsamt kann Dir gar nichts mehr anhaben – Eindringlinge haben hier keinen Platz“, da klingelt es. Draußen steht Toxi (Elfie Fiegert), ein schwarzes Kind mit einem Blumenstrauß in der Hand. Wie nett, sie gratuliert der Großmutter mit einem Gedicht. Dann entdeckt der Großvater (Paul Bildt) einen kleinen Koffer vor der Tür. Eine Kindesaussetzung! Polizei und Fürsorge sind die ersten Gedanken. „Ein so liebes Kind kann ansteckende Krankheiten anschleppen.“ Das Kind ist gesund. Vor wenigen Minuten hatte Vater Jenrich (Wilfried Seyferth) noch gesagt: „Unvorhergesehenes gibt es nicht, ich will Ordnung in unserem Leben haben.“ Jetzt gerät alles durcheinander, es gibt Lauferei, Türenschlagen, große Aufregung, Schreierei. Der Großvater will das Kind aufnehmen und holt es zurück aus dem Heim, die Kinder wollen Toxi ebenfalls behalten, aber Vater Jenrich ist strikt dagegen. Warum? „Ich meine das Rassenproblem“. Bei diesen Worten hält der Film förmlich den Atem an, es wird still, in der Halbnahen werden die einzelnen Gruppen gezeigt. Nachdenkliche, auch erschrockene Gesichter. Frau Übelhack (Erika von Thellmann) legt nach: “Es ist ein Kind der Schande.“

Toxi Schokolade

Fast bricht die Familie auseinander, Vater Jenrich will Toxi jetzt selbst ins Heim bringen. Aber sein Auto streikt unterwegs, er verliert das Kind aus den Augen. Große Suchaktion mit Zeitungen und Peterwagen; fast wäre Toxi von fahrendem Volk mitgenommen worden. Als Vater Jenrich Toxi wieder in die Arme nehmen kann, sind alle glücklich und erleichtert. Toxi kann jetzt bleiben, an Weihnachten spielt sie mit in einem Krippenspiel. Da kommt, wie der Weihnachtsmann aus dem Himmel, der Vater aus Amerika und will Toxi mitnehmen. Und Toxi? Sie kann schon ein paar Worte englisch; Großaufnahme des Kindes; an die Wange des Vaters geschmiegt, sagt es: „One, two, three…“. Musik und Ende.

Das ist ja noch mal gut gegangen. Fast die ganze Geschichte spielt in dem Haus, in dem diese nicht arme, aber auch nicht reiche Alltagsfamilie wohnt; ihre Mitglieder und Gäste

„Sie braucht keinen Mohrenkopf – ist ja selber einer“

sind Prototypen der Gesellschaft, das Drehbuch spielt die Meinungsvarianten geschickt an. Selbst einige der Kinder zeigen bei einem Kindergeburtstag offen ihre Vorurteile gegenüber Toxi. Es ist ein magisches Haus, Gerschirr wird zerdeppert, Teller fallen von der Wand, doch die Familie bleibt trotz aller Auseinandersetzungen intakt. Alle, bis auf die komische reiche Tante Wally (Elisabeth Flickenschild), die zweimal empört das Haus verlässt, halten letzten Endes zusammen. Die Außenwelt ist verlockend, ein bequemer Ausweg, aber auch gefährlich und gefährdend. Und was denkt die junge Generation, verkörpert von den Verlobten Hertha Rose (Ingeborg Körner) und Robert Peters (Rainer Penkert)? Sie überlegen, Toxi zu adoptieren und als Werbemodell aufzubauen. Toxi-Schokolade, der Hit!
Robert Stemmle hat die Geschichte mit vielen komischen und anrührenden Elementen ausgestattet; zusammengehalten wird sie von der exzellenten Kamera Igor Oberbergs. In langen Takes fährt die Kamera um Tische herum, verfolgt die Figuren im Treppenhaus mühelos und elegant von der ersten Etage bis zur Eingangstür eines Zimmers im Parterre. Oft zeigt sie die Gruppenkonstellationen aus leichter Untersicht vom Scheitel bis zur Sohle, nimmt gelegentlich auch die Position der Erwachsenen gegenüber dem Kind ein. In keiner Phase stellt sie ihre Brillanz aus, wie selbstverständlich ist ihre Meisterschaft. Selbst das Licht, gelegentlich auf dämonische Effekte getrimmt, fügt sich in das Gesamtbild eines wohltemperierten Gemütsfilms. Normalerweise habe ein Film, so die Cutterin Alice Ludwig, 300 bis 500 Schnitte. Dieser habe nur 110.
Bruno Balz textete das „Toxi“-Lied zur Musik von Lothar Olias, das von Toxi und im Waisenhaus von allen Kindern gesungen wird als sei es die Hymne aller Waisenkinder: „Ich möcht so gern nach Hause geh’n, ay,ay,ay/Die Heimat möcht‘ ich wiederseh’n, ay, ay, ay/Ich find‘ allein nicht einen Schritt, ay, ay, ay/ Wer hat mich lieb und nimmt mich mit, ay, ay, ay.“ Noten und Text sollten die Kinobesitzer zum Einstudieren für die Kinderchöre an die Volksschulen geben. Toxi-Schokolade gab es nicht.
Toxi wurde in der Bundesrepublik für eine Zeit lang zu einem Begriff für „süsse“ schwarze Kinder; Elfie Fiegert, die Darstellerin der Toxi, hatte noch mehrere kleine Rollen in Spielfilmen und ging 1977 nach Mallorca.
Bei Anette Brauerhoch (Fräulein und GIs, Stroemfeld 2006) Heide Fehrenbach (Race after Hitler, Princeton 2005), Davidson/Hake (Framing the fifties, Berghahn 2008), Maja Figge (Deutschsein wieder-herstellen, transcript 2015) und einigen anderen Büchern kann man mehr über „Toxi“ lesen.

Nicht auf DVD, aber auf https://www.youtube.com/playlist?list=PLEXmvkCeGT5hsIQH1e3lb10GH77fphfIu in bescheidener Qualität und etwas mühsam in neun Teilen

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