Sonntag, 28.04.2019

Filme der Fünfziger XLIX: 08/15 (1954)

Das Publikum der frühen Bundesrepublik war neugierig auf Nachrichten, neugierig auf die große Welt und auf Sensationen aus der großen Welt. Dies alles boten die Illustrierten; Funkzeitschriften waren der Leitfaden durch den Dschungel der Radiosendungen. 1954, das Fernsehen war noch in seinen Anfängen, hatten die vierzehn größten Illustrierten und sechs größten Funkzeitschriften zusammen eine wöchentliche Auflage von rund 11 Millionen Exemplaren. Damit ihre Leser nicht zur Konkurrenz wechselten, publizierte jede Wochenzeitschrift einen Fortsetzungsroman oder eine Serie mit einem aufregenden Sachthema oder beides zusammen. Im Januar 1954 begann die „Neue Illustrierte“ mit dem Abdruck des Romans „08/15“ des Filmkritikers und Romanautors Hans Helmut Kirst und konnte damit ihre Auflage beträchtlich steigern. Der Roman löste Kontroversen aus, die unter anderem der damalige Minister für Sonderaufgaben Franz-Josef Strauß initiierte. Er sprach von dem Buch als einem „wehrzersetzenden Pamphlet“ und von Kirst als einem Soldaten, den man in den letzten Tagen des Weltkriegs buchstäblich überwachen musste, damit er nicht “zu sinnlosem Widerstand gegen die anrückenden Amerikaner aufputsche.“ Die Bundesregierung fürchtete um die Akzeptanz ihrer noch geheimen Pläne zur Wiederaufrüstung und forderte die Buchhändler auf, den Ende März 1954 in Buchform erschienen Roman zu boykottieren. Je mehr die Politik gegen das Buch und den Fortsetzungsroman polemisierte, um so besser verkauften sich Buch und Illustrierte. Im Mai betrug die Buchauflage bereits 120.000 Exemplare. Die Divina, die Produktionsfirma des Gloria-Filmverleihs, der eigentlich auf sonnige Heimatfilme und gemütvolle Romanzen abonniert war, hatte sich die Rechte gesichert, mietete die alten Ateliers von Arno Breker in Baldham für die Filmaufnahmen und zeigte sich ungewohnt risikofreudig. Regisseur Paul May wollte den Film vor allem mit unbekannten Schauspielern besetzen, „weil ein Gefreiter oder Kanonier für Millionen Gefreite oder Kanoniere zu stehen hatte, was mit Filmstars unmöglich gewesen wäre.“ Elf Schauspieler und Schauspielerinnen debütierten im Kino, darunter Mario Adorf, Paul Bösiger, Peter Carsten, Wolfgang Wahl und Joachim Fuchsberger. Für die Frauen sollte der Film „eine Mitteilungsform über die damalige Zeit sein“. Nach den pathetischen Erzählungen der Männer von prachtvoller Kameradschaft oder ihren Klagen über sinnlosen Drill, die den Frauen schon aus den Ohren rauskamen, wollte May im Nachhinein in einer Inszenierung „mit dokumentarischem Charakter“ den Wahrheitsbeweis antreten. Das wurde jetzt mal für eine Saison zur Aufgabe des Kinos erklärt.

Emmerich Schrenk und Hans-Christian Blech

„Überall und zu allen Zeiten ist die Mauer ein Sinnbild der Abgeschlossenheit. Wo Mauern stehen, umschließen sie eine Welt innerhalb der Welt; sie umgrenzen einen Staat innerhalb des Staates, eine besondere Ordnung innerhalb der gewöhnlichen Ordnung. Sie scheiden Gut nicht von Böse und Freud nicht von Leid, sondern Menschen von Menschen. Und deshalb sollten sie niemals unübersteigbar sein.“ Den Off-Kommentar illustrieren Ansichten von grauen Mauerfluchten; bei den letzten Worten hebt sich die Kamera über eine Mauer, fährt über den Boden entlang und endet bei zackig zusammengeschlagenen Schaftstiefeln. Wir sind im Kasernenhof mit dem dumm-bösartigen Hauptwachmeister Schulz (Emmerich Schrenk), seinem Opfer, dem Kanonier Vierbein (Paul Bösiger) und dem neunmalklugen Gefreiten Asch (Joachim Fuchsberger). Lore Schulz (Helen Vita), die frustrierte Frau des Hauptwachmeisters, geht als Fantasiebeute über den Hof. Sie betrügt ihren Mann mit den Soldaten, er schäkert lieber mit

Joachim Fuchsberger im Hemd, Hans- Christian Blech als Schattenpinkler

der Kantinenbedienung Elisabeth (Eva Ingeborg Scholz), der Freundin von Asch. Vierbein verliebt sich in die Schwester von Asch (Gundula Korte), einem begeisterten BDM-Mädchen, und stiehlt aus ihrem Fotoalbum ein Pin-Up Bild. Dieses Sozialbild aus Verlierern und Opfern, Amouren und Eifersüchteleien kulminiert in der Militaristen-Karikatur des überdimensionalen Schattenpinklers Platzek (Hans Christian Blech). Ihm gegenüber steht der Gefreite Asch im Hemd und ohne Hose – der kultivierte Zivilist gegen den riesigen grobschlächtigen Militär. Das ist die Ausgangskonstellation.
Platzek lässt die Gefreiten im Matsch robben und schleift sie bis zur Erschöpfung. Seine Kommandos „auf – runter“ sind mit Hall und dumpfen Trommelwirbel hinterlegt; Vierbein, völlig am Boden, will sich umbringen; Asch richtet ihn moralisch wieder auf und widersetzt sich spitzbübisch den Unteroffizieren. Die feiern eine Sauforgie, tanzen mit heruntergelassenen Hosen auf den Bänken und grinsen besoffen aus ihren speckglänzenden Gesichtern. Major Luschke (Wilfried Seyferth) rettet schließlich, die militärische Tradition zitierend, die Moral der Truppe.

Major Luschke (Wilfried Seyferth)

Nein, das war kein Film, der die Wehrmacht kritisiert; er führt nur die Kleinbürger in Uniform vor, die zur Macht gekommen, von der Demütigung ihrer Untergebenen zehren. Die Majore und Leutnants aber sind gebildete und kultivierte Menschen, merken jeden Fehler und raunen sich ihre Sorgen über die Zukunft Deutschlands zu. Der widerspenstige Gefreite Asch ist mächtig stolz, als er vom Major zum Unteroffizier befördert wird.
Der Film spielt, man merkt es erst zum Schluss an den vielen, zum Gruß hochgerissenen Armen, im Dritten Reich. Aber ohne d sonstigen Zeitbezug, vermeidet und verliert der Stoff die Orientierung. Es bleiben vom Militärbetrieb nicht viel mehr als optisch und akustisch interessant aufgeputzte „Lausbubengeschichten“ und die leere Drohung der Vorgesetzten „Wir sprechen uns noch“. Es ist als spräche der Lehrer Unrath noch durch die Unteroffiziere zu seinen renitenten Schülern.

In der Saison 1954/55 war „08/15“ der bestbesuchte Film in der Bundesrepublik. Ob die Frauen die Militärzeit ihrer Männer nach Ansicht des Films wohl besser verstehen konnten? Ich kann es mir nicht vorstellen.

 

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