Für Hartmut
– von Rainer Gansera –
(Intro: … Ich muss mich entschuldigen, ich bin etwas vergrippt …
was mich an eine kleine Szene denken lässt:
WDR Köln, auf dem Gang vor dem Studio zur Sprachaufnahme.
Hartmut musste seinen Text einsprechen – und er hatte eine ordentliche Grippe.
In der Apotheke hatte er sich zuvor ein Nasenspray besorgt –
aber er zögerte noch, ins Studio zu gehen – und sagte:
Weißt du, wir müssen noch eine rauchen –
man muss die Grippe einfach wegrauchen!!)
Den Essayistischen Film hierzulande hat Hartmut wie kein anderer geprägt –
geprägt, definiert, erforscht, zerlegt, weiter ausgesponnen …
der Essayistische Film: Hartmuts Genre.
Die außerordentliche Bedeutung seines Werks wurde in den Feuilleton-Nachrufen gebührend gewürdigt –
ich darf also im Anekdotischen bleiben,
im Persönlichen,
im bisweilen märchenhaft Klingenden –
Es war einmal eine Zeit – manche von euch werden sich erinnern –
es war einmal eine Zeit, da konnten Sendungen der dritten TV-Programme mehr Zuschauer an sich ziehen als Sendungen im Ersten oder Zweiten TV …
das Dritte hatte da die besseren Quoten –
und bei Hartmuts FORD-Film war es so –
DAS KINO VON JOHN FORD (1976)
Werner Dütsch hat mir davon erzählt – man durfte staunen
Was war die Attraktion von Hartmuts Ford-Film??
… die Zitate aus den Ford-Filmen?
… der Wilde Westen … der Grand Canyon … die Kavallerie …?? –
Gewiß!! das schon …
aber eine Attraktion darf man – denke ich – nicht unterschätzen:
Hartmuts Stimme, seine Erzähler-Stimme –
keine Kommentator-Stimme, eine Erzähler-Stimme –
seine tiefe, resonanzreiche Stimme –
mit ihrem soghaften Wellengang, in den man gern eintauchen mochte,
von dem man sich tragen lassen konnte –
Hartmut – das ist in der Erinnerung zuerst seine Stimme –
deren Autorität, deren Sog und Anschmiegsamkeit …
Wenn wir Begegnungen mit ihm erinnern, hören wir sogleich diese Stimme –
und spüren die Aura, die sie erschaffen konnte –
An drei Orte und Zusammenhänge solcher Begegnungen möchte ich erinnern:
an die HFF München,
an die Redaktionssitzungen der Zeitschrift Filmkritik,
und an den WDR–Köln, Filmredaktion
Es war einmal die Zeit,
als die beiden Filmhochschulen gerade erst frisch gegründet waren,
die dffb in Berlin,
die HFF in München,
und schon gab es in Berlin – in dieser politisch sehr turbulenten Zeit rund um 68 –
die erste Relegation:
die dffb-Studenten Hartmut Bitomsky und Harun Farocki wurden – aus politischen Gründen natürlich – rausgeworfen!
und siehe da! –
die beiden wurden an die Münchner HFF berufen als Dozenten und Seminarleiter.
Wie war das möglich??
Das ging natürlich nur, weil wir als Studenten initiativ waren
– damals hatten wir HFF-Studenten noch eine erstaunliche Bestimmungshoheit, Durchsetzungsmöglichkeiten – damals, ganz am Anfang –
den offiziellen HFF-Chefs wäre so eine Berufung naturgemäß nicht eingefallen!
Und es ging gut mit den beiden in München –
… obwohl man sich politisch und ästhetisch keine größere Differenz hätte vorstellen können als die zwischen der dffb und der HFF –
In Berlin folgten die Studenten der Parole: Rote Fahnen sieht man besser –
und in München machten die HFF-A-Kurs-Studenten höchst eigenartige Filme,
keineswegs sozial sich engagierende, sondern – wie es heißt – ästhetisierende Filme …
Hommagen an amerikanische B-Pictures mittels Pop-Art-Ikonographie – könnte man sie nennen … Filme mit diesen ellenlangen Autofahrten,
mit Männern, die in ellenlangen Mänteln steckten und an Flipper-Automaten lehnten
(man denke an Hanns Zischler – Same Player Shoots Again)
Wie auch immer die politisch-ästhetischen Differenzen zwischen Berlin und München waren –
es ging gut mit Hartmut und Harun als HFF-Dozenten
und das hatte weniger mit theoretischen Harmonisierungen zu tun –
als mit persönlicher Sympathie –
Das Duo Hartmut-Harun war eine merkwürdige Erscheinung:
ein Duo, das zumindest zeitweise symbiotisch erschien – was sie alles zusammen machten: Filme, Texte, ihre Auftritte an Film- und Kunst-Hochschulen –
Harun (in: Zehn, zwanzig, dreißig, vierzig. Fragmente einer Autobiografie, S. 124) erinnerte sich so:
Wir trugen für alles, was wir taten oder versäumten, gemeinsam die Verantwortung. Wir hörten nicht auf das, was andere über uns sagten: dass Hartmut die Gedanken denke und ich den Lärm für die Werbung mache. Der eine, Hartmut: zuverlässig, aber etwas langweilig, der andere, ich: windig, aber amüsanter.
Bei unserer letzten Begegnung mit Hartmut in der Westendstrasse –
in dieser verdschungelt-märchenhaften Pippi-Langstrumpf-Villa – Westendstr. 221 A
(die übrigens BEINAHE dieselbe Hausnummer trägt,
wie Sherlock Holmes‘ Domizil in London: Baker Street 221 B) –
damals also – prächtig bewirtet von Melanie –
fragten wir Hartmut,
wie es eigentlich angefangen habe mit dem Duo Hartmut-Harun –
Wie gingen die beiden aufeinander zu an der dffb – wer machte die ersten Schritte?
Es war Harun, der die Zusammenarbeit wollte, weil er Hartmuts Filme so toll fand –
Zitat Harun:
… vor allem der letzte Film, den Hartmut an der dffb-Filmakademie gedreht hatte, bevor wir dort rausflogen: JOHNSON & CO. UND DER FELDZUG GEGEN DIE ARMUT hatte mich begeistert …
Hartmut und Harun fanden ihren Weg in die Redaktion der Zeitschrift Filmkritik –
und entscheidend war hier für Hartmut wieder ein persönlicher, freundschaftlicher Bezug:
der zu Eberhard –
Eberhard – dessen Grab hier ganz in der Nähe ist – war der Heftemacher und er hatte sich das alles erarbeitet: Kenntnisse der Typographie, der Umbruchgestaltung usf. … diese handwerklichen Fertigkeiten und seine Geschmacks- und Urteils-Sicherheit überzeugten Hartmut sofort –
und so konnte dann dieses weit über sachliche redaktionelle Zusammenarbeit hinausgehende Filmkritik-WIR entstehen.
Damals fanden Redaktionssitzungen auch mal in Berlin statt –
ich durfte dann bei Hartmut übernachten – und konnte da immer hübsche Dinge abstauben, zum Beispiel ein elegantes Nadelstreifenjackett,
das mir dann jahrelang Schutz und Schirm war.
Nun nach Köln.
Viele Filme Hartmuts entstanden in Zusammenarbeit mit der WDR Filmredaktion in Köln –
und auch hier war ein persönlicher Bezug für Hartmut entscheidend:
das Einverständnis, die Komplizenschaft mit Werner Dütsch,
„seinem“ Redakteur in der Filmredaktion –
Einmal hatten wir, Hartmut und ich, benachbarte Schneideräume im WDR-Hochhaus … wir sprachen über die bevorstehende Mischung seines Films –
und also brachte ich das Gespräch gleich auf Hartmuts eindrucksvolle Sprecher-Erzähler-Stimme –
Wir anderen mussten ja mühsam nach geeigneten Profi-Sprechern suchen …
und ich entwarf damals so eine Theorie, dass Hartmuts Texte ihre besondere Überzeugungskraft daraus gewinnen würden,
dass sie unmittelbar mit und aus der eigenen Stimme heraus entstanden.
Ja, ja, man darf sich die Stimme nicht nehmen lassen, man darf sich die Zunge nicht abschneiden lassen, sagte Hartmut, und zitierte aus Andersens Märchen von der Kleinen Meerjungfrau die Passage, in der die Heldin ihre Stimme opfern muss –
Die kleine Meerjungfrau will den Prinzen gewinnen, sie will Menschen-Beine haben und eine ewige Seele –
deshalb muss sie ihre herrliche Stimme opfern,
und die Meerhexe schneidet ihr die Zunge ab.
In seinen Texten konnte Hartmut Filmszenen so detailgenau und eindringlich beschreiben … nacherzählen … – dass sie manchmal wunderbarer erschienen als sie filmisch waren.
So konnte er die Imagination in Gang setzen.
Mit vielen Themen hat er sich befasst, auseinandergesetzt, mit vielen historischen Phänomenen und Bezügen …
von der Polit-Ökonomie – wie unterscheiden sich Gebrauchswert und Tauschwert –
bis zum STAUB ging das –
von der Reichsautobahn über Langstreckenbomber bis zum Highway 40 West –
und immer wieder – selbstverständlich – galten seine Überlegungen der Kinematographie:
von ihren Anfängen bei Lumière bis zur heutigen Digitalisierung …
und in einem seiner letzten Filmkritik-Texte (FK Juni 1980 / 272)
gewidmet Hitchcocks VERTIGO – AUS DEM REICH DER TOTEN
findet sich der Satz:
… seine Überlegungen zur Kinematographie schlossen damit, dass von nun der Tod aufhören werde, ewig zu sein.
*
(Manuskript der Rede zu Hartmut Bitomskys Beisetzung am 16.10.2025, Alter Waldfriedhof München)