November 2009

Montag, 30.11.2009

Rom, 1972.

»Rom, 1972. Vor einer Mauer ein Springbrunnen, steinernes Gesicht, aus dem Mund läuft Wasser, Geräusche des Wassers. Jean-Marie Straub auf einer Terrasse, rückliegend Häuser Roms, raucht und spricht von Arnold Schönberg. Geladen 1923 vom Maler Kandinsky nach Weimar, ein künstlerisch-geistiges Zentrum gründen zu helfen, antijüdische Gesinnung steht vor, Schönberg antwortet sich weigernd in zwei Briefen. Gelesen werden sie in einem Tonstudio, punktuell beleuchtet, weithin finster, von Günter Peter Straschek, gebeugt hinter ein Pult, hart stockend im Sprechgang, ihn forcierend: Es kann nicht sein. Denn was ich im letzten Jahre zu lernen gezwungen wurde, das habe ich nun endlich kapiert und werde es nicht wieder vergessen. Die lange Aufnahme, harrend, gewahr, wird unterbrochen von mehrmals Schwarzfilm, einem Titel mit Datierungen der Briefe, dann setzt die Begleitmusik ein und bleibt bis zum Ende. […]«

[Stefan Flach: Einleitung zu Arnold Schoenbergs Begleitmusik zu einer Lichtspielscene, abgedruckt in einer Sammlung von Texten, »Texte zu Filmen und anderem, 1993-2006«, die, zu einem A4-Konvolut gebunden, bei Stefan Flach gegen eine Schutzgebühr von 15 Euro bezogen werden kann: S.F. / Oldenburger Straße 31 / 10551 Berlin, email: honestwithme [at] web.de]

Freitag, 27.11.2009

Peripheres Vokabular

ESC-Cut [i’skeipkat, ‚i’skeipkœt] der; -s, -s : nach der Esc[ape]-Taste einer Computer-Tastatur. Vermutl. aus der Werbebranche stammender Begriff, der eine spezielle, ausschließlich für Testscreenings erstellte Schnittfassung eines Films od. Clips bezeichnet. Der E. enthält vorsätzlich Einstellungen und Szenen, die in der endgültigen Fassung nicht enthalten sein sollen, von denen aber erwartet wird, dass sie auf Kritik stoßen. Zweck des E. ist es, ohne Eingriff in die intendierte Endfassung Korrekturen vornehmen zu können, um so Auftraggeber/inn/en, (auch Produzent/inn/en, Redakteur/inn/en, Filmhochschulprofessor/inn/en o.ä.) im Gefühl zu bestärken, dass sie mit ihren Einwänden wirksam sind.

Vgl. Hornberger System für den Casting-Bereich.

Donnerstag, 26.11.2009

Günter Peter Straschek

Geboren am 23. Juli 1942 in Graz, gestorben 29. September 2009 in Wien.
Eine Kurzbiographie in „Handbuch wider das Kino“ (Suhrkamp, Ffm. 1975) lautet:
„Tramps durch Europa, Kleinasien, Amerika. 1963 – 74 in Berlin (West) ansässig. Regiestudium an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin GmbH. (relegiert). Filme: Hurra für Frau E. (1967), Ein Western für den SDS (1968), Zum Begriff des ‚kritischen Kommunismus‘ bei Antonio Labriola (1843 – 1904) (1970); Die deutschsprachige Filmemigration (TV 1975); Texte: Filmkritik 8/74.

Ein Versuch, etwas über diese dürren Daten hinaus von der Person mitzuteilen, wird folgen.

Mittwoch, 25.11.2009

Leserbrief

Zum Beitrag EDITORIAL, in dem es unter anderem um die Turbulenzen bei der Zeitschrift „film“ Ende der 60er Jahre ging, schickt uns Werner Kließ, seinerzeit Chefredakteur und zum Jahreswechsel 1969/70 entlassen, einige Anmerkungen.

Sonntag, 22.11.2009

20.000 Meilen unter dem Meer

»Der letzte der Idealstaaten – die ›Nautilus‹ des Kapitän Nemo in 20,000 Leagues under the sea (Regie: Richard Fleischer, 1954). Sie lebt durch die ›geheime treibende Kraft des Universums‹, die Nemo entdeckt hat. Wie viele Idealstaaten ist auch dieser letzte eine Insel, doch schwimmende und verborgene Insel, und wirklich ein Staat nur mehr für einen einzigen Menschen, Nemo selbst, und ein Staat, der nicht in seinem Frieden lebt für sich, sondern im Kampf gegen die zerstörerische Weltherrschaft des Geldes. Er unterliegt.«

[Helmut Färber: Über eine Tragik im Werk von Walt Disney, in: Text, No. 5/2007; geschrieben Mai/Juni 2006 für ›Trafic – Revue de Cinéma‹, Paris, und dort erschienen in Nr. 59, Automne 2006, übersetzt von Pierre Rusch. (H.F.)]

Freitag, 20.11.2009

Ersatzmosphäre

Der Raketenbeschuss wirbelte es auf, Spektrometer konnten es erkennen. Das Eis unter der Oberfläche des Mondes wurde gesucht, weil für einen längeren Aufenthalt Wasser von Nöten wäre. Man kennt aus Western das Wegwerfen leerer Feldflaschen.
Dass die Astronauten auf dem Mond nicht weit herumgekommen sind, verdeutlicht ein Plan. Die Fußwege von Armstrong und Aldrin passen auf ein Fußballfeld. Der Eintrag auf strange maps trägt die Überschrift: you’ll never moonwalk alone.

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Schön ist Armstrongs Alleingang bis zum gegnerischen Strafraum.

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Paul Mantee, notgelandet, 1964

Anfangs geht es um Luft und Wasser und Einsamkeit auf dem roten Planeten. Dann fällt Schnee. Gefilmt wurde Byron Haskins ROBINSON CRUSOE ON MARS im Death Valley in Scope und Technicolor von John Fords Farbfilmkameramann Winton Hoch. Der war 1934 als Chemiker zur Technicolor Company gegangen und hatte während des zweiten Weltkriegs für die Navy gefilmt, laut Wikipedia: „many top secret activities including work at the atomic testing factilities at Los Alamos.“ 1966 wurde er der Kameramann der TV-Serie TIME TUNNEL. »Bei den ersten Versuchen am bedeutendsten und geheimsten Projekt Amerikas, dem Zeittunnel, gehen zwei amerikanische Wissenschaftler immer wieder im wirbelnden Strom vergangener und zukünftiger Zeitalter verloren.“

In Wilkie Collins‘ Roman „Der Monddiamant“ gibt es jemanden, der, wann immer er Trost und Rat sucht, sein Lieblingsbuch aufschlägt: “Kaum 5 Minuten hatte ich in diesem hervorragenden Buch gelesen, als ich auf Seite einhunderteinundsechzig folgende erstaunliche Feststellung fand: Die Furcht vor der Gefahr ist tausendmal schrecklicher als die Gefahr selbst, wenn wir ihr schließlich Auge in Auge gegenüberstehen. Und wir tragen viel schwerer an der Last der Angst als an dem Übel, vor dem wir uns fürchten.“ In diesem hervorragenden Buch ist übrigens ein einzelner menschlicher Fußabdruck die Ursache von Robinson Crusoes Angst.

Man kennt die fotografierten Fußabdrücke der Astronauten. Die eigenen Spuren im Mondstaub fanden sie interessanter als Gesteinsproben. Und sie ließen Allerlei auf dem Mond zurück: Medaillons, Fahnen, Mondfahrzeuge, sogar ein Stück Lava von der Erde. Im Wunsch diese Beweise der eigenen Existenz zu hinterlassen, steckt schon eine Ahnung von dem Argwohn derer, die im Internet die Mondlandungen als Inszenierungen zu enttarnen wünschen.

“Übrigens ist mir alles verhasst, was mich bloß belehrt, ohne meine Thätigkeit zu vermehren, oder unmittelbar zu beleben.” Das sind Worte von Goethe, mit denen Nietzsche 1873 seine unzeitgemäßen Betrachtungen (“Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben”) einleitet. Jacob Burckhardt, Nietzsches Freund und Kollege, besorgte sich „unter einer Art von magischem Kaufzwang“ bei den Händlern in der Via Condotti und an den Quais du Louvre fast 10.000 Fotografien von Skulpturen und Gemälden, von Kirchen und Palästen. „Kunstmorast“ nannte er seine Sammlung und hoffte: „Es kann ja wieder einmal eine verarmte, einfach gewordene, nicht mehr nervöse, übergelehrte großstädtische Menschheit aufwachsen, welche wieder von solchen Werken begeistert wird.“

Mich begeistern die miserablen Videobilder von den ersten Schritten auf dem Mond. Anhand des wenigen, was es da zu sehen und zu hören gibt, lassen sich, neben den Vor- und Nachteilen der ungeschnittenen Filmsequenz, auch die Schwierigkeiten des Improvisierens diskutieren. Armstrongs Patzer im berühmten Monolog – „for man“ statt „for a man“ gesagt zu haben – amüsiert und rührt mich.
Zur Ergänzung noch zwei andere Zeitreisen: Tiparillo-Werbclips, über deren Schöpfer ich gerne mehr erfahren würde. 1966 (Schnitte) und 1971 (Schwenks). Zäsuren oder Zusammenhänge. Was will die Welt? Wer weiß es selbst? Darüber, wie das Eis in den ewigen Schatten der Polkappenkrater des Mondes gelangte, gibt es auch nur Vermutungen.

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Tauchen und Rauchen, 1968

Mittwoch, 18.11.2009

27/100

Die Geschichte vom DFFB-Jahrgang von 1990, zu dem neben einer späteren Protagonistin der Berliner Schule und der Kamerafrau einer der meistgelobten amerikanischen TV-Serien auch die Schwester des amtierenden Präsidenten der USA gehörte, wie sich jeder unschwer zusammengoogeln kann.

Leerstelle

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Gestern im Radio: ein toller Essay, mit O-Tönen vom folgenreichen „Türkenstreik“ bei Ford im August 1973. Nachdem die sogenannten Gastarbeiter und Gastarbeiterinnen überall in Deutschland massenhaft die Arbeit niedergelegt und oft auch ohne Unterstützung der deutschen Gewerkschaften „wild“ gestreikt hatten, wurde von der linksliberalen Regierung, mit Verweis auf die Ölkrise, und mit Einverständnis des DGB, der Anwerbestopp verhängt. Gefürchteter kollektiver Kampf damals – vermisste individuelle Anpassungsleistung heute. Die ausgebliebene Solidarität ist der blinde Fleck des Integrationsdiskurses.
Das Manuskript von Peter Kessen ist nachzulesen (leider kein Podcast): „Und dann haben sie aufgehört zu arbeiten“ – Eine alternative Integrationsgeschichte.

Langtexthinweis

ITALIENREISE 1968. Eine Erinnerung von Johannes Beringer

Dienstag, 17.11.2009

IM ANDENKEN AN GERHARD FRIEDL

Am Samstag, den 21. November
Im Zeughaus Kino Berlin

Beginn 19 Uhr

HAT WOLFF VON AMERONGEN KONKURSDELIKTE BEGANGEN?
(D/A 2004, Regie/ Buch/ Schnitt/Kamera: Gerhard Benedikt Friedl. Farbe, 73′, dt. OF)

KNITTELFELD – STADT OHNE GESCHICHTE
(D 1997, R/B/S: Gerhard Benedikt Friedl, K: Rudolf Barmettler, 35′, dt. OF)

SHEDDING DETAILS
(D/USA 2009, Regie/ Buch/ Schnitt/Kamera: Gerhard Benedikt Friedl und Laura Horelli. Farbe, 25′, engl./serbokroatisch OmeU)

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