Mittwoch, 23.09.2009

Augen-Kamera

Als ich begeistert von meiner bisherigen Lektüre des  Romans „Der Kantakt“ von Giwi Margwelaschwili erzähle, fragt mich S. , ob das ganze Unternehmen eine Art von Medientheorie sei, was ich – nach kurzem Zögern – bejahe. Das Buch beschäftigt sich mit den Freuden und Gefahren des Lesens von Büchern und mit den Leserplätzen in der Literatur, auf eine oft sehr komische Weise. „Schon an der Tür des Kinos brauchte ich auf die Frage ‚Was wollen Sie denn hier? Wer sind Sie überhaupt?’ nur zu bedeuten: ‚Ich bin der Leser.’ Sofort wurden mir die Tore wie nach einem Zauberspruch ohne Zögern aufgetan.“ Es findet sich aber auch folgende Szene aus dem eigenen Bestand: „Nun gibt es leider Situationen, die Leben und Lesen für immer auseinanderreißen, Situationen, in denen der Gebrauch von Kameras, der diesen brutalen Riß wenigstens künstlich beheben… könnte, nicht gestattet ist…Dann hat der bloße Blick die Funktion einer Kamera zu übernehmen. Dann mußt du mit deinen Augen fotographieren, was du später erinnern, dir als verlesestofflichte Bildvorstellung vorführen willst, wenn das geht, wenn du überhaupt noch einen Leserplatz hast auf dieser Erde. Als sowjetische Soldaten mich aus jenem Zimmer führten, in das sie uns über Nacht eingesperrt hatten, rief mein Vater laut meinen Namen. Ich drehte mich nach ihm um, und es traf mich noch einmal sein Blick, krampfhaft fixierend, photographierend, bis die Tür von den Bewachern zugeschlagen wurde und diese kurze Verlesestofflichung zu Ende war.“

Giwi Margwelaschwili, Der Kantakt, Verbrecher Verlag, Berlin, 2009, 800 S., 36 €

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