Staatsfeind Nummer zwei
Zwischen zwei Kriegen: Vor ein paar Monaten, in der Zeit nach dem Afghanistan- und vor dem Irakkrieg, warb die Dresdner Bank im Fernsehen mit einem technisch hochgerüsteten und inhaltlich konfusen Werbespot für ihren „Fondsmanager“: „Aus der Tiefe des Raumes“ (Karl Heinz Bohrer über Günter Netzer), in diesem Fall des Weltraumes, stößt da die Kamera blitzschnell auf ihr Ziel nieder, das durch ein fadenkreuzartiges Rechteck hindurch anvisiert wird. Das geschulte Auge erkennt auf Anhieb die Halbinsel Manhattan, drei Schnitte weiter läßt sich das markante Portal unweit von Ground Zero ausmachen. Schließlich folgt eine Nahaufnahme vom Eingang zum „New York Stock Exchange“ in der Wall Street, teilweise verdeckt von einer übergroßen Amerikaflagge.Günter Netzers Stimme – doch! er ist es tatsächlich – souffliert dazu aus dem Off: „Hier analysiert der dit chancenreiche Aktien.“ Die Sequenz dauert insgesamt knapp fünf Sekunden und ist von etwa 20 Schnitten zerhäckselt; eine Frequenz, die wohl deutlich machen soll, wie schwer es dem Kapital des Kunden fallen muß, mit einem derart wildgewordenen „Turbokapitalismus“ Schritt zu halten. Kein Wunder also, sondern Globalisierung, daß die nächsten fünf Sekunden schon – nach demselben Schema: per Satellitenbild gezielt, dann Zoom und Schnittmassaker – dem zweiten Finanzstandort London gewidmet sind. „Hier spricht der dit über Märkte der Zukunft“. In Frankfurt schließlich finden wir Netzer selbst vor der Börse zwischen den markanten Ochsen wieder. Dort darf er sein vorletztes Sätzlein nach schräg oben in die Kamera sprechen: „Hier sucht der dit Anleihen mit viel Rendite und wenig Risiko.“
Die Zeit wird knapp (und ist Geld). Denn in den verbleibenden fünf Sekunden muß nun noch die Verbindung zum Privatkunden hergestellt werden, an den sich die Werbung richtet. Der liegt als jungdynamisches, heterosexuelles Paar, wie wir jetzt sehen, sorglos im heimischen Garten und blickt überaus entspannt ins all-seeing-camera-eye. Netzer: „Und hier genießen Sie, daß Ihr Geld in professionellen Händen ist.“ Ein letzter Überschall-Zoom zurück ins All: Schluß.
Neben der aufdringlichen und technikverliebten Visualisierung von Geschwindigkeit und globaler Hektik, gegen die die Montage das Paar auf den Liegestühlen als vermeintlichen Ruhepol setzt, gibt es in den Werbebildern eine zweite Ebene. Eine Untiefe, die die tröstliche Nachricht (‚Wir kümmern uns um alles, machen Sie sich keine Sorgen‘) konterkariert.
Man muß nicht paranoid sein, um sich angesichts der düsteren Musik und der auffälligen Überwachungsästhetik eher unangenehme Fragen zu stellen: Aus wessen allmächtigem Auge sehen wir all dies? Steht an Stelle dessen, was in der Vergangenheit einmal das Auge Gottes gewesen sein mag, nun der Fußballgott Günter Netzer? Oder vielleicht eher das des weltumspannenden Kapitals? Und wie beruhigend soll ich es finden, daß sich die Fondsmanager via Satellitenschaltung nicht nur auf dem internationalen Finanzparkett, sondern auch in meinem gutgehegten heimischen Vorgarten ein bißchen genauer umschauen? Geld kennt keine Grenzen – das sagen die Bilder -, also auch nicht die zwischen öffentlichem und privatem Raum. Darin verhält es sich durchaus analog zum umfassenden System visueller Überwachung.
In ihrer Machart gleichen die Aufnahmen exakt den Überwachungssequenzen, mit denen Tony Scott 1998 seinen Spielfilm „Enemy of the State“ einleitete. Die dort im Vorspann gezeigten Machtzentralen – unter anderem das damals noch unbeschädigte Pentagon – sind hier lediglich gegen die Knotenpunkte des Aktienmarkts ausgetauscht. In Scotts Film gerät Will Smith wider Willen als „Staatsfeind Nummer 1“ in die Mühlen der Überwachungsmaschine aus CIA, NSA und FBI. Die Bildsequenzen, die sich ihrerseits an den hinlänglich bekannten Satellitenbildern aus dem ersten Golfkrieg orientierten, stehen dort für das allgegenwärtige Überwachungsauge des Staates, das einen technologischen Krieg gegen den Einzelnen führt.
Was sagt das über die Dresdner Bank aus? Falsch ist das, was im Spot implizit gezeigt wird, sicher nicht: Sollte es heute noch ein vereinheitlichendes Auge geben, nach dessen Blick sich die Welt ausrichtet, dann ist es wohl tatsächlich am ehesten das des Kapitalismus. Ob jedoch eine Bank in verblüffender Ehrlichkeit für die Kapitalisierung und Öffentlichmachung des Privatlebens – die immer auch mit Techniken der Überwachung einhergeht – werben kann, indem sie den Überblick über den Geldmarkt in Bildern darstellt, die an Überwachung und militärische Angriffe erinnern, ist zumindest fragwürdig.
Das letzte Bild des Werbeclips zeigt wieder die Erdkugel von außen und nimmt damit die Metapher vom globalen Kapitalismus beim Wort. Aber: Wenn wir gegenüber dem Finanzmarkt in der Rolle des unschuldig verfolgten Will Smith sind, wer wäre in diesem Film dann Gene Hackman, der uns da rausholt?