MORE, ein Film von 1969, zum ersten Mal gesehen am 15.7.2004.
Ich wusste nur: der Score stammt von Pink Floyd und das Cover der Soundtrack-LP, zu meinen Teenager-Tagen in jeder zweiten Plattensammlung zu finden, zierte eine mediterran aussehende klapprige Windmühle.
Vier Überraschungen:
I
Der Score beutet keinen Pop-Ruhm aus. Er ist sparsam eingesetzt und distanziert, als wäre ein Ethnologe auf der Suche nach zeittypischen Geräuschen fündig geworden.
II
Der Vorspann weist Nestor Almendros als Kameramann aus. Mit der Filmgeschichte im Rücken lässt sich sagen: Almendros ist der Star im Ensemble. Der Kubaner hat einige der besten Filme der französischen Nouvelle Vague fotografiert, später auch in Hollywood gearbeitet – und in seiner „Werk-Autobiographie“ Barbet Schroeder als einen seiner Lieblingsregisseure bezeichnet, weil dieser Kino wirklich als Teamarbeit auffasse.
III
Keine Spur von hippieskem Geschnörkel, Gewabere oder sonstigem ästhetischen Geraune. Die Erzählung von MORE geht sehr geradlinig und gleichzeitig mit erstaunlichen Ellipsen vor. Sie beginnt auf einer Autobahn-Landschaft im nass-grauen Mittel-Europa und landet gleich in einem Sommer-Paris. Nur kurze Zeit später springt sie mit der Leichtigkeit eines Kinderspiels und der Kühnheit eines Manifests im 24stel einer Sekunde ins nachsaisonale Ibiza.
Bunt und kalt defilieren Zeichen einer Realität vorüber, verwandeln sich für einen kurzen Moment in böse Orakel, bevor sie wieder behaupten, nichts weiter als die banale Abbildung von Gegenständen und Vorgängen zu bedeuten: ein Tramper im Regen, die Tätowierung eines Lkw-Fahrers, eine Pokerpartie, der Beginn einer Männerfreundschaft (möglicherweise), der nächtliche Einbruch in einem Luxusappartement, eine Party in einer kleinen Wohnung (Alkohol), die geheimnisvolle Blonde; Hasch, Sex, ein Schiff; verschwiegene Hotel-Rezeptionisten, ein Alt-Nazi, dessen SS-Dolch und seine ungeklärte Beziehung zu der jungen Frau; deren Freundin; eine ausschweifende Party in einer Villa (ganz viel Hasch, Percussion und Sex); entwendetes Heroin, ein einsam gelegenes Haus; eine Felsküste mit wogender Brandung; Sonnenaufgänge; ein Sterben im schwarzen Tunnel Richtung Meer.
Gesten des Dokumentarfilms unterstützen die große Lakonie. Vage Motive, undeutliche Antriebskräfte, rudimentäre, nichts erklärende Herkünfte – regredierende Agonie zweier verzogener Gören, die alt genug sind, um Sex und vor allem Drogen als zentrale Vorrichtungen ihrer Existenz durchsetzen zu können.
Die beiden Hauptfiguren produzieren nichts. Sie werden in ihrer Süchtigen-Wesentlichkeit immer leerer. Das klagt der Film nicht an. Er registriert es präzise und führt es in unsentimentaler Weise auf. Seine zentrale Bild- und Verbal-Metapher ist das Verbrennen. Verbrennen ist die etymologische Grundlage von Konsum.
IV
Ich habe Barbet Schroeder immer für einen frankophilen Amerikaner gehalten. Wir sprechen über den Film und es stellt sich heraus: Schroeder ist Deutscher (wie der männliche Protagonist von MORE). Ab jetzt wundert es mich, dass eine Figur mit derartigem Parcours in der deutschsprachigen Cinephilie nicht präsenter ist.
(Stefan Pethke)