Dienstag, 05.07.2011

Amerikanische Kinos (5)

Die Eingangstür zum Eckgebäude 2nd Ave/2nd St. ist aus Metall und ziemlich wuchtig. Immer, wenn jemand das zugige Foyer der Anthology Film Archives betritt, fällt sie mit einem lauten Knall zu und der Steinboden unter den Füßen bebt leicht. Gut möglich, dass die Kartenverkäufer in anderen Kinos binnen kürzester Zeit verrückt davon würden.

Narzisstischer Defätismus: Oft, wenn ich zu einer Veranstaltung wirklich hin möchte, male ich mir erstens aus, alle anderen wollten das auch und denke zweitens, dass es längst ausverkauft ist. Aber um zwanzig nach 6 ist noch nicht viel los, es ist kein Problem, eine Karte zu bekommen. Vor mir in der Schlange steht Luis Recoder, der Installationskünstler, dessen Filme ich zwei Wochen zuvor in New Orleans im Zeitgeist-Artspace gesehen hatte. Es dauert einen Augenblick, bis ich ihn erkenne, er hat sich in der Zwischenzeit den Bart abgenommen. Wir unterhalten uns kurz und tun so, als wäre es das Natürlichste der Welt, sich hier und jetzt wieder zu treffen, dann geht er seine Freundin abholen.

Heute abend stellt Michael Snow Dia-Arbeiten aus der Zeit um 1970 herum vor, es ist der Auftakt zu einer Reihe mit dem Titel „Single Frame“, „a new series focusing on the increasingly outmoded world of slide-based projection.“ Um 19.15 Uhr sind die knapp 70 Plätze des Maya Deren-Theaters ausverkauft, auch auf den Treppenstufen hocken Leute. Neben mir sitzt jemand, der mich fragt, ob ich schon mal was von Michael Snow gesehen hätte, und ich antworte nicht mit nein. Er selbst kenne gar nichts und sei von Amy Taubin hierher geschickt worden, bei der er gerade einen Filmkurs belegt. Amy Taubin hat außerdem erzählt, dass sie in der ursprünglichen Fassung von Wavelength eine Rolle spiele.

Bevor Michael Snow das Wort erteilt wird, gibt einer von den Anthology Film Archives einen kurzen Ausblick auf das Programm ab April; Bette Gordons Filme werden gezeigt, und Serge Bozon präsentiert neben LA FRANCE zwei Filme von Allan Dwan und Jacques Tourneur. Nach den Ankündigungen stellt der symphatische Anthology-Mensch noch kurz die Frage, ob Leute im Publikum seien, die etwas mit der Feuerwehr zu tun hätten. Wenn ja, dann entschuldige er sich hiermit für den überfüllten Saal, wenn nein: bitte nicht weitersagen. Während der Vorstellung läuft er manchmal nach links vorne, um die laut pustende Lüftung zu regulieren oder zum Schweigen zu bringen.

Drei Arbeiten von Snow werden gezeigt. Zuerst SLIDELENGTH, 80 Dias, die vom Filmemacher hinten im Saal durchgeklickt werden und je 15 Sekunden zu sehen sind. Als drittes SIDE SEAT PAINTINGS SLIDES SOUND FILM. Unangefochtener Höhepunkt des Abends: A CASING SHELVED. 45 Minuten lang ist ein einziges Dia zu sehen, darauf ein unaufgeräumtes Regal in Snows Atelier. Das Regal hat zehn Fächer. In der Mitte ist es durch eine vertikale Verstrebung getrennt, so dass symmetrisch links und rechts je 5 Fächer zu sehen sind. In diesem Regal erkennt man gebrauchte Farbtöpfe, Kisten, Stapel mit Papieren, nicht genau zuzuordnende Kabel, solche Dinge. Während das Dia unbewegt auf der Leinwand zu sehen ist, wird ein Audiotape abgespielt. Snow beschreibt, was zu sehen ist. Er beginnt systematisch oben links, schweift dann ab, weil er von einer Farbdose oben links an eine Farbdose unten rechts erinnert wird und dann da weitermacht. Auf diese Weise startet er immer wieder neue Anläufe zur Inventarisierung. Oft sucht er nach dem genauen Wort für eine Sache, erinnert sich, wofür er einen Gegenstand benutzt hat oder dass er etwas anderes immer benutzen wollte für eine Arbeit, es sich aber nie ergeben hat (bis jetzt, denn jetzt ist diese Sache ja Bestandteil dieses Dia-Films). A CASING SHELVED ist sehr simpel, aber es macht ungeheuren Spaß, die verschiedenen Methoden der Beschreibung zu verfolgen. Einmal fängt Snow an zu zählen: „There are one, two, three, four, five…“ bis ungefähr dreißig, und man hat keine Ahnung, wovon er spricht, bis er schließlich anfügt: „things made of plastic in this shelf“. Danach zählt er die Holz- und Metalldinge, dann alle schwarzen, roten, grünen und so weiter. Es könnte ewig so weitergehen.

„Fucking masterpiece“ denke ich begeistert und frustriert, als der Film vorbei ist.

[Donnerstag, 24. März 2011, Anthology Film Archives, 32 Second Avenue, New York, NY 10003]

Schreiben Sie einen Kommentar

Sie müssen angemeldet sein, um zu kommentieren. Ein neues Benutzerkonto erhalten Sie von uns, bitte dazu eine Email mit gewünschtem Username an redaktion(at)newfilmkritik.de.


atasehir escort atasehir escort kadikoy escort kartal escort bostanci escort