Samstag, 10.11.2012

Verstellte Optik

Ein Coffee Table Book für Kinder, ein Kakao Table Book.

Auszug aus dem Register: Alligatorfrosch, Brillenpinguin, Chamäleon, Doppeltier, Eule, Flamingo, Gespensterheuschrecke, Hackennatter, Igel, Krauskopfpelikan, Laternenträger, Mähnenschaf, Nilpferd, Ordensband, Pangolin, Rüsselkäfer, Schlanklori, Totenkopfschwärmer, Urson, Venuskörbchen, Wollaffe, Zwergflusspferd.

Heino Jaeger schaut Dich an. Eine gute Überschrift für Volker Hummels tollen Text über Gerd Kroskes neuen Film. Der in Köln in keinem Kino läuft. Was mich frostig stimmt.

Um die Three Stooges der Farrelly Brüder zu sehen, fuhr ich raus mit der S-Bahn nach Leverkusen. Vier Elfjährige saßen in der letzten Reihe des ansonsten leeren Kinosaals und lachten sehr viel. Im Abspann wurde erklärt, wie gefährlich es ist, einem Spielkameraden die Finger in die Augen zu stoßen. Die kleine Reise hatte sich gelohnt.

Weil ich nicht nach Oostende fuhr, als dort vor Wochen im Cinema Rialto am Nachmittag The Greatest Show on Earth (1952 Cecil B. DeMille) zu sehen war, komme ich seitdem immer mal wieder, in Gedanken, aus dem Kino raus und gehe am Casino vorbei die paar Meter bis zum Strand…

Was sagt die Wahrscheinlichkeitsrechnung dazu? Innerhalb von 48 Stunden sah ich: Fraktus (2012) mit Jacques Palminger als asymmetrisch frisierter Optiker Wand; W.C.Fields als Optiker Bisbee in You’re Telling Me (1934); eine kurze Optikerszene im unendlich langen Abel-Gance-Film La Roue (1923), und Cronenbergs Videodrome (1983) mit Les Carlson als beängstigendem Optiker, der aussieht wie Frank Schirrmacher. Vier Filme, vier Optiker! Geradezu gruselig. In welchem filmgeschichtlichen Nachschlagewerk finde ich ein Berufsregister (mit der Zahl) der Optiker im Kino?

Am Anfang von Stanley Donens Op-Art-Thriller Arabesque wird ein Mann beim Optiker (oder vom Augenarzt?) mit Augentropfen ermordet. Berühmt ist natürlich der Optiker Coppola in Hoffmanns Erzählungen, auch bekannt als der Sandmann, gespielt von Robert Helpmann im Film von Powell & Pressburger, dem gemeinsamen Lieblingsfilm von Scorsese und Romero.

Der, wenn man mich fragt, beste Optiker aller Zeiten ist Andreas Kunze in Johnny Flash (1986 Werner Nekes). Kunze berät Helge Schneider, er zeigt ihm „ein etwas sportlicheres Modell aus Titan“ und stellt nach gründlicher Untersuchung die besorgte Frage: „Mein Gott, hatten sie früher mal eine ganz schlimme Krankheit?“ Im Hintergrund ein Brillenregal in Brillenform.


Gary Cooper in North West Mounted Police (1940 Cecil B. DeMille)

Ein Engel in Leder, das sei er, sagt ihm eine Frau. Der ganze Film handelt von den Farben und Assesoirs der Männerkleidung, von schützenden Mützen und schmückenden Münzen, noch im Sterben geht es einem kanadischen General um das Rot der Uniformen. Für Oberflächlichkeit könnte man halten, was DeMille wirklich und ehrlich das Wichtigste war.

Das aufklappbare Biologieposter macht Cooper neugierig, bis ihm die Organe entgegen flattern.


Ein Spiegel aus poliertem Metall, eine Attraktion in der Wildnis.

Als Calamity Jane (Jean Arthur) die kriegsbemalten Indianer auf der Türschwelle der Blockhütte sieht, spielt sie die gutgelaunte Gastgeberin: „Come on in fellas, don’t be afraid.“ Dem Häuptling schenkt sie einen modischen Federhut.


The Plainsman (1936 Cecil B. DeMille)

Per Post über den Atlantik bekamen Powell und Pressburger nach The Tales of Hoffmann (1951) Lob von allerhöchster Stelle. „Wir waren sehr stolz darauf. Zu diesem Zeitpunkt drehte DeMille The Greatest Show on Earth. Der ganze Briefkopf war farbig, mit dem Zirkus, dem Himmel und allem darauf… Ich sagte zu Emeric: Was ist das? und dann las ich unten: Cecil B. DeMille. Donnerwetter!“ (Michael Powell, 1981 in Positif)


Die beste Brille aller Zeiten trägt Anthony Quinn in The Savage Innocents (1960 Nicholas Ray).

Come all without. Come all within.
You’ll not see nothing like the Mighty Quinn.

„…wenn du mit grauenhaftem Scharfsinn behauptetest, dass es nur der Geist sei, der sehe, höre, fühle, der Tat und Begebenheit fasse, und dass also auch sich wirklich das begeben, was er dafür anerkenne, so vergaßest du, dass die Außenwelt den in den Körper gebannten Geist zu jenen Funktionen der Wahrnehmung zwingt nach Willkür.“ (E.T.A. Hoffmann: Die Serapions-Brüder)


Heino Jäger: Muschelessen

Das Schaurige in Hoffmanns „Sandmann“, sei „gerade darum entsetzlich, weil es zugleich komisch ist,“ schreibt Ricarda Huch.

Man sagt auch: Dass Hoffmanns Ambitionen der Musik galten – viel mehr als der Literatur, das habe sein Schreiben beflügelt.

Den Blick trüben Erwartungen. Und alles Erzählen wird geschärft durch Bedenkenlosigkeit.

Schade, dass den Spielraum von Studio Braun in Fraktus (2012 Lars Jessen) ein Zeppo Marx (Devid Striesow) vierkantig verringert.

„Aber noch eigentümlicher erregt es uns, wenn wir hören, dass Hoffmann auf einem Balle den Einfall hatte, sich sein Ich durch ein Vervielfältigungsglas zu denken und alle Gestalten, die sich um ihn herum bewegten, als seine Ichs zu sehen, über deren Tun und Lassen er sich wie über sein eigenes ärgerte.“ (Ricarda Huch: Die Romantik)

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