Donnerstag, 22.11.2001

Menschen in finsteren Zeiten

Über“The Man who wasn’t there“ von Joel & Ethan Coen
Von Michael Girke

„It’s darker than you know in this complicated shadows“ Elvis Costello

Wirklich unbeliebt zu sein, das mußten in Deutschland nie Angehörige von Mehrheiten fürchten, also nie Nazis, Rassisten oder Kriegstreiber, sondern stets Angehörige von Minderheiten – Juden, Schwule, Behinderte, Kommunisten und: Intellektuelle. Mehr als alles lieben Deutsche ihre Gewohnheiten, also wird bis heute jeder nicht unmittelbar eingängige Gedanke als verkopft oder unverständlich denunziert.

Kritiker beispielsweise erwähnen bei jedem Film der Brüder Coen dessen zitierenden Charakter. Aber jeder Gedanke darüber, wie ein Coen-Film sich verhält zu den von ihm zitierten Filmen, oder den Zeiten, in denen diese entstanden, unterbleibt – aus Unvermögen oder weil man verdienen will an einem Publikum ohne jeden Verstand. Nicht nur an ihrem Umgang mit Film kann man erkennen: Die hiesige Öffentlichkeit ist eine ohne Gedächtnis und historisches Bewußtsein, ist so stillgestellt, borniert und bleiern, wie man es der Adenauerwelt der 50er immer nachsagt.

40er und frühe 50er, das war die Blütezeit des Film Noir, jener Detektivfilme, deren bekannteste die mit Humphrey Bogart sind. „The Man who wasn’t there“ steckt nicht nur voller Verweise auf deren Licht- und Schattenspiele, es ist ein neuer Film Noir. Einer, der sich Scherze erlaubt gegenüber den Konventionen des Genres und zugleich Hochachtung für dessen Poesie ausdrückt, das heißt für die spezifische Art dieses Genres die Realität zu thematisieren und zu kommentieren.

Humphrey Bogarts Detektiv ist der erfolgloseste Aufklärer der Geschichte. Einer, der die Ränke der Mächtigen nie wirklich durchschaut, der in einer Welt aus Konkurrenz, Korruption und Gier gerade so überlebt. Auf der Tonspur aber darf er mit zynischen, also zutreffenden Gesellschafts- und Menschenbeschreibungen triumphieren. Bekanntlich machte Bogarts verführerisch herausgeputzte Ohnmacht ihn nicht nur zum Star, sondern brachte Scheitern den Glanz einer coolen Sache ein. Wie kitschig das war, kann man nun in „The Man“ sehen.

Kann sein, die Coens übertragen den Film Noir, dessen Schauplatz die Großstadt ist, auf ein provinzielles Amerika und verändern dadurch das Genre. Kann sein, sie wollen den Film Noir ohne dessen Romantik und Heroismus zeigen. Was als „The Man“ dabei heraus kommt, ist ein ganz und gar unamerikanischer Blick auf Amerika: Der Off-Kommentar ist nicht cool, er ist wie die Hauptfigur, äußerst schlicht; Individualität erscheint, anders als es heutiger Ideologie entspräche, nicht als Stärke und Unabhängigkeit, sondern als nicht zu erreichendes Ideal, als Armseligkeit und als Witz. Westliches Leben, wie die Coens es sehen, ist banal, schmerzhaft und absurd. Gleichzeitig. Mit anderen Worten: Der Blick der Coens nähert sich dem Kafkas immer mehr an.

Cineasten zählen gern all die Bezüge eines Coen-Films zu Filmgeschichte und Theorie auf und schreiben Texte, die vor allem die Aufgabe haben, die Cineasten gut aussehen zu lassen. Aber wer Filme behandelt wie ästhetische Spielereien, der will Leinwandgeschehen als Illusion, befreit von lästigen Gedanken an die Lebenswelt. Dann wäre der Mann, der nicht da ist eine Analogie für Filmkunst, die nicht da ist. Die zwar auf der Leinwand läuft, deren Schönheit und Tiefe aber nicht erkannt wird. In Filmen stecken entweder Bestandteile jener Schönheit, jenes Schreckens, die der Wahrheit eigen sind, oder sie sind so spannend und wichtig wie bunte Farbflecke.

Was haben Menschen wie du und ich zu tun mit einem Friseur, der auf einer Leinwand lebt? Dessen Job ihm die meisten Gefühle und Ambitionen austreibt? In dessen Inneren sich murrend ein Fehlen von Intensität bemerkbar macht? Dem entweder eine unsichtbare, sprachlose Gewalt oder ein düsterer Zauber die Angst tief in seine Eingeweide treibt, die ihn in seiner Lage gefangen hält, und der, da echte Schläue nicht in seiner Natur liegt, und niemand auftaucht, der all das beheben könnte, nie den Schlüssel findet, der heraushilft aus seinem Gefängnis? Der sich vollkommen isoliert fühlt im Wortstrom all der Mitmenschen, Verkäufer, Anwälte, Polizisten, da die Worte nicht ihn meinen, sondern die Leute bis zum Erbrechen ihr routinemäßiges Geschwätz, die Früchte ihrer geistigen Armut wiederholen, die gruseligen Kosten-Nutzen-Kalkulationen, die sie als Welt im Kopf haben. Was hat unsere Wirklichkeit gemein mit einer Leinwandwelt, in der Konkurrenz, ein betriebsames Streiten um Lebensmöglichkeiten stattfindet, in der jeder eine auf sich selbst bezogene Einheit bildet, die sich gegen andere Wahrnehmungen abdichtet? In der die Geschichte, die ganze endlose Kette der hellsichtigen Analysen, Gedanken, Utopien, Hoffnungen gerade mal den Wert einer Halluzination hat, unausweichlich dazu verurteilt zu vergehen, keine zählbaren Spuren zu hinterlassen? In der jede echte Alternative zu diesem entweder zu Tode determinierten oder schrottplatzhaften, zufälligen Leben erstickt wird? Der Mann, der nicht da ist, ist es nicht als Mensch. Er ist es als Funktion, als Rad im Getriebe. Und als Mißverständnis.

Sind Filme so, weil ihre Macher es verstehen all den Stimmen zu lauschen, die kein Gehör, keine Repräsentation finden in der politischen Ordnung, die draußen bleiben müssen aus den standardisierten Wirklichkeitsdarstellungen der Medien oder sind Filme so, weil Künstler halt zu surrealen Scherzen und anderem Spinnkram neigen?

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