Lieber Jan,
ich war, vor allem vom 2. Teil unseres Gesprächs zu Deinem WINDTALKERS-Text in film-epd 8/2002, so angeregt, daß ich auf einer anschließenden Zugfahrt Notizen machte, die ich nun maile. Zugleich war ich am Telefon etwas überfahren. Das, weil ich feststelle, zunehmend langsamer zu denken, leider viel Zeit zu benötigen, damit sich zum Film auch nur annähernd das einstellt, was man Klarheit nennen könnte. So vermochte ich zu Windtalkers nichts als Flüchtiges, Angedachtes, Fetzen beizutragen. Wenn das, wie Du sagst, „voll auf Linie liegt“, dann möchte ich hiermit von dieser Linie aus einige vorsichtige „Anstöße“ zu einer irgendwann zu führenden Windtalkers- Debatte (die sich hoffentlich nicht in der Diskussion ausgerechnet dieses Films erschöpft) schon liefern.
Um nicht von zu vielem zu reden: Windtalkers beginnt und endet mit Bildern des Monumental-Valley. Das sind Bilder aus einer überdeterminierten Ikonographie, die ich nur als Verweise auf eben diese Ikonographie lesen kann.
Hieraus ergibt sich m.E. ein dominantes Thema des Films: Wie Figuren dieser Ikonographie (die Indianer) auf Figuren aus einer anderen Ikonographie treffen (die amerikanischen Soldaten) und was sich daraus ergibt. Anders formuliert: Wie läßt sich das Markenzeichen John Woo in diesen Ikonographien plazieren und etablieren?
Zudem betont der Film an vielen Stellen bestimmte Blicke: Den von Joe Enders auf Yahzee, den von Yahzee auf Enders. Die „objektive“, nachvollziehbare (Kriegs-)Handlung scheint mir gegen diese Dramaturgie der Blicke zweitrangig. So ist der Film nur sehr sehr bedingt lesbar als einer über den 2. Weltkrieg. Zumindest mir will es nicht gelingen, die Verweise und den Gestus des Films zu lesen als „Es ist Krieg!“ Was ich sehe, kann man, verkürzt, nennen: „Es ist Kunst“.
Ist das nicht ein Unterschied ums Ganze? Zum Beispiel zu Nachrichtenbildern oder denen von Guido Knoop? Zu Inszenierungen also, die eben jene Ausrufezeichen setzen: „Es ist Realismus“ und also „Es ist Krieg!“ Ist nicht ein nervendes Problem – von den Promotionsabteilungen der Filmfirmen, von gängigen Betrachtungsweisen und der Mainstream-Filmkritik genauen Lesarten (was man so nennt) und vor allem auch Filmen selber aufgehalst – daß man sich bis heute herumschlagen muss mit Wahrnehmungen von Filmen, die Realismus selbst da hinein lesen, wo Filme dies nicht nur nicht nahelegen, sondern offen ausstellen, dass sie ganz und gar nicht auf Realismus aus sind? In der Tat, Filme wie „Wir waren Helden“ wirken auf mich, als hätten sie sich zum Ziel gesetzt, die Erfüllung all der als Filmkritiken getarnten Wünsche zu sein, die ich vor 4 Jahren in meinem Text zu „Soldat James Ryan-“ zitiert habe, also die angemaßte Realisierung des Phantasmas, es ließen sich objektive, authentische Bilder (und damit Erlebnisweisen) des Krieges mit (Spiel-)Filmmitteln herstellen.
In Windtalkers aber geht es in etwa so um Erinnerung, wirkliche Geschichte oder Wahrscheinlichkeit, wie es in einem Film von Joseph von Sternberg mit dem Titel „Scarlet Empress/Die große Katharina“ um die wirkliche geschichtliche Figur der Zarin Katharina geht.
Wo es in Windtalkers um wirkliche geschichtliche Aspekte geht, gibt es einen augenfälligen Bruch, gerät der „John Woo-Film“ in Widerspruch zu „seiner“ Geschichte, liefert er andere Bilder. Das sind die eineinhalb Szenen, in denen sich der Film um das Versprechen kümmert, das der Filmtitel auch gibt, nämlich sich für die Codesprecher als solche zu interessieren und damit für die kriegsentscheidende Bedeutung von Codes, von Technologie und wie sie den Krieg verändert und die Stellung der Person in ihm.
Wenn der kleine Nicolas Cage-Trupp die Ausrichtung des Geschützfeuers verändern muß, werden die Codes wichtig und ihre Folgen, die aus den Rohren der Riesengeschütze der Schlachtschiffe erwachsen. Man kann die Bilder der durch ihr eigenes Tun plötzlich sehr klein und sehr bedeutungslos werdenden Hauptfiguren kritisieren, weil sie diesem maßlosen Feldherrenblick so entsprechen, der einzelne Menschen zu bedeutungslosen Statisten großer geschichtlicher Ereignisse (oder imposanten Bildern davon) macht. Gleichwohl ergeben diese Bilder einen seltsamen, inkohärenten Film im Film, den ich bemerkenswert finde, weil das, was er visualisiert, so gar nicht aufgeht in der Geschichte dieses Films oder Geschichten, die man erzählt über ein seit Jahren laufendes Kriegsfilmprojekt Hollywoods. Und: Weil dieser Film im Film zu Windtalkers gehört, das heißt, mit den anderen Bildern zusammen gedacht, jeden leicht ermittelbaren, somit leicht verfügbaren Sinn dieses Films (sowie eine abgeschlossene Beurteilung) in Frage stellt.
Man kann in Windtalkers einen bestimmten Stilwillen beobachten. Einen, der offen ausstellt, dass er nicht historisch oder geographisch rekonstruiert, der auf anderes aus ist. Wenn man diesem Stilwillen, verkürzt gesagt, anmaßenden und schlechten Realismus („Es ist Krieg“) vorwirft, ist das nicht so, als werfe man der Kunst vor, Kunst zu sein?
Fragen: Kann man Enders (und schließlich Yahzee) nicht, neben anderem, als Varianten der Kapitän Ahab-Figur betrachten? Und, vorausgesetzt das trifft zu, macht Kapitän Ahab hier nicht einen Lernprozess durch, tritt er nicht auch neben seinen Wahn (der keinesfalls nur verständlich und legitimiert, sondern auch als Motor einer Katastrophe im Bild ist: Der Katastrophe des vom Soldatischen strukturierten, unerträglich engen und brutalen Raumes, der der Liebe nicht mehr zugänglich ist)? Entwickelt er nicht einen Blick, der Unterscheidungen möglich macht und spaltet sich darüber auf – und wird so fähig Teil eines Gemeinwesens, einer Familie, einer Liebe zu sein? Anders gefragt: Ist Windtalkers nicht auch Wiederholung, Variante und milde Kritik von „The Searchers“? Und was war die tiefere Motivation von „The Searchers“, was ist der (historische) Gehalt dieses Films?
Wie die Windtalkers-Bilder korrespondieren mit der Romanvorlage und dem Drehbuch des Films;
wie Motive, Einstellungen, Konflikte (und ihre Auflösungen) dieses Films korrespondieren mit anderem Material der Filmgeschichte, mit gegenwärtigen Kriegsfilmen (kann man die „Nah-Dran-Einstellungen“ bei Explosionen nicht neben anderem auch als Production Values betrachten, als State of the Art filmischen Designs, daß man in Hollywood benutzt und benutzen muss, woraus aber noch nicht das Projekt des jeweiligen Films abzuleiten wäre?) oder mit Bildern anderer Filme des John Woo;
wie die Themen, Konflikte (und ihre Auflösungen) korrespondieren mit Gesetzmäßigkeiten von Genres und mit (amerikanischen) Mythen (alten, ewigen oder gegenwärtigen);
vor allem: In welcher Relation einzelne Filme oder filmische Werke zu dem stehen, was man Realität nennt – aus all dem mag sich ergeben, ob es sinnfällig ist, beim Regisseur von Windtalkers von einem Autor zu reden.
„Einmal mehr ist der Krieg im Kino nicht nur ein Ort, an dem die Probleme kulminieren, sondern auch der Modus ihrer Auflösung“ schreibst Du in Deinem Windtalkers-Text. Wenn man das „im Kino“ ersetzt durch „in der Filmkritik“ macht der Satz auch Sinn. Und aus dem, was der veränderte Satz markiert, ergibt sich mein Diskussionsbedarf.
Was sich aber monumentaler und melodramatischer anhört, als es gemeint ist. Ich bin sicher, Dir nichts Neues und darüber hinaus eher Schlichtes mitzuteilen. Es geht mir um die Diskussion von drei Gedanken: Filme der gegenwärtigen Blockbuster- und Kriegsfilmwelt lassen sich mannigfaltig unterscheiden.
Die Kategorie des Autors kann – überhaupt, aber auch in der Blockbuster- und Kriegsfilmwelt (allerdings nach einer Klärung ihrer Voraussetzungen, zu der es in der Mainstream-Filmkritik nie wirklich kommt – mit grotesken Folgen) – kein Qualitätsmerkmal, aber durchaus angemessen und praktikabel sein.
Durch welche Gesten und Verfahren werden Filmkritiker wahrnehmbar und wichtig (zu Autoren)?
Viele Grüße,
Michael Girke
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Lieber Michael,
mir ging es auch so: Bei unserem ja ziemlich langen, zweigeteilten Telefonat fehlte mir trotzdem die Zeit, all das zu sagen, was da irgendwie hinaus mußte. Das hängt, denke ich, damit zusammen, dass wir eigentlich (oder zumindest ich) ständig parallel zum Film auch über die prinzipielle Frage nach der Autorenschaft im populären Kino redeten – dass da zwei Themen, die vielleicht auch gar nicht voneinander zu trennen sind, auf ein Mal bearbeitet sein wollten, und noch dazu von Zweien, die (so war jedenfalls mein Eindruck damals) unterschiedlich mit der Frage nach dem auteur umgehen. Gerade darum finde ich Deine Idee, ein paar Gedanken dazu schriftlich und quasi in einem Rutsch anzugehen, inzwischen (nach Bedenken, keine Zeit zu haben & doch eigentlich den direkten Dialog zu bevorzugen) klasse. Ich nehme einfach mal Deine Anmerkungen als Ausgangspunkte.
Ja, die Monumental-Valley-Szenen sehe ich ähnlich wie Du als Teil einer, wie Du schreibst, „überdeterminierten Ikonographie“. Ich wäre nur dafür, sie nicht gleich als „Verweise“ auf ihre eigene Bild-Geschichte zu akzeptieren, sondern sie zuerst eben als Teil dieser Ikonographie zu beobachten. Als stereotype Repräsentationsmuster mit einer eigenen Geschichte von Identifikation und Repression; als Bilder, die uns verständlich „Indianer“, „Ursprung“ und „Natürlichkeit“ sagen sollen und die inzwischen natürlich auch den Untergang oder die Bedrohung dieses „Anderen“ mitsprechen.
Die dominanten Fiktionen zu „US-Soldaten“ und zu „Indianern“, die sich in WINDTALKERS zeigen, sehen nicht nur anders aus, sind auch in ihrer Entstehungsgeschichte und in ihren Integrations- und Ausschlußverfahren voneinander unterschieden. Insofern (und das scheint mir ein Problem des Films im Umgang mit diesen Bildertraditionen zu sein) ist es dann auch nicht überraschend, dass die Gruppe „der Soldaten“ heterogener ist als die „der Indianer“, deren Inszenierung traditionell immer schon auch eine geschlossene, ursprüngliche Form von Gemeinschaft behauptet.
Auch dieses Verhältnis von Hetero- und Homogenität ist ein historisch gewachsenes. Es gehört zu der „überdeterminierten Ikonographie“, von der Du sprichst – ich kann nur einen „Verweis“ darauf, also eine ausgestellt bewußte (vielleicht sogar kritisches) Beziehung des Films dazu, kaum entdecken. Wo ist der Punkt, von wo aus hier gezeigt, verwiesen wird? Noch dazu: Wenn wir uns einig sind, dass wir es hier mit Stereotypen zu tun haben, dann ist es im Sinne des möglichen Verweises doch auch interessant, dass beide Stereotypen am Ende (jedenfalls aus meiner Sicht) ungebrochen sind und – auf ihre Art – bestätigt werden. Allenfalls hat die Armee und der Krieg die Kameraden über alle (auch inneren) Widerstände hinweg zueinander gebracht. Zwischen den Waffengängen ein kleines Konzert, WhiteHorse an der Indianer-Flöte, Henderson an der Westerner-Mundharmonika. Selbst der einzige Rassist in der Kompanie wird bekehrt, und wenn Nicolas Cage am Ende sagt: „We saved a lot of marines today“, dann ist das nicht nur ein Genre-Ritual, sondern auch innerhalb der Logik des Films schlicht „richtig“.
Ich will damit nicht sagen, dass WINDTALKERS dominante Fiktionen bruchlos fortführe – schon deshalb nicht, weil ich nicht glaube, dass ein von so vielen für so viele konstruiertes Kulturprodukt/Kunstwerk so einfach funktioniert. Du hast recht, dass es in WINDTALKERS auch darum geht, wie man sich anschaut. Und genau das hätte auch ein Thema werden können, das die, wie Du schreibst “ „objektive“, nachvollziehbare (Kriegs-)Handlung“ in den Hintergrund rückt. Mir scheint es nur so zu sein, dass diese Frage der Blicke aufeinander sehr stark innerhalb der Kriegsfilmgeschichte verhaftet bleibt – sowohl in der des Films als auch in der des Genres. Die Dramaturgie zielt ja auch darauf, offensichtlich rassistische Klischees (ein paar Mal wird Yazeeh „Wilder“ genannt“ und die Frage nach dem Feind auch in Bezug auf Yazeeh gestellt) aufzulösen und auch darauf, dass sich Enders und Yazeeh letztlich als Kameraden und Freunde blutend und fast wie ein Liebespaar in den Armen liegen. (Zu der Tradition dieser Arm-in-Arm-Ikonographie des Kriegsfilms hat John Newsinger mal geschrieben: „The experience of battle is shown as binding men together in a way that no other experience can and, of course, it is an experience that only other men can share. Men die in other man-s arms, combat is what being a man, being a warrior, is all about.“) Wenn wir also sagen wollten, dass WINDTALKERS auf Stereotypen verweist, dann tut er das – mal ganz grob und über alle Widersprüchlichkeiten hinweg gesprochen – bis zum Ende und erfüllt sie auch mit der letzten Szene, wenn wir wieder im Monument Valley, wieder in der „Indianer-Kultur“ sind und Yazeeh den erfolgreichen Abschluß der Mission, binding men together, bestätigt: „If you want to tell a story about him, tell he was a friend.“ Anders gesagt: Ein Verweis auf etwas hat für mich immer etwas mit einer Distanz zu tun, mit einem Standpunkt, von dem aus man auf etwas anderes verweist. Und meiner Meinung nach gelingen WINDTALKERS in diesem Sinne kaum Verweise, sondern vor allem Affirmationen, weil er immer schon drin steckt in der Ikonographie.
Darum würde ich bei Deiner Unterscheidung „Es ist Krieg!“ (also „Realismus“ – wer auch immer das entscheidet) vs. „Es ist Kunst!“ ( oder „Stilwille“) erstmal diesen Kunst-Aspekt betonen und befragen: Woraus speist sich dieser Stil, was macht ihn aus, worauf beruft er sich, was blendet er aus, wo will er hin und was geschieht dabei mit mir? Ist es nicht so, dass WINDTALKERS in den Gefecht-Szenen etwas von dem inszenatorischen Gestus der beweglichen Frontschweinkamera hat, die in der Rezeption von SAVING PRIVATE RYAN und anderen Kriegsfilmen ziemlich häufig als „beklemmend authentisch“ als größtmögliche Nähe zur „Wahrheit des Gemetzels“, als „the nature of war“ usw. übersetzt worden sind?
Ganz sicher hast Du recht damit, dass die „“Nah-Dran-Einstellungen“ bei Explosionen (…) auch als Production Values (…), als State of the Art filmischen Designs“ betrachtet werden können. So sieht Action und Krieg halt heute (immer öfter) aus, könnte man vielleicht sagen. Und mir geht es auch gar nicht darum, daraus „das Projekt des jeweiligen Films abzuleiten“. Ich entdecke aber Übereinstimmungen und Ähnlichkeiten zu zeitgenössischen und historischen Kriegsfilmen – und selbst wenn wir diese Mittendrin-statt-nur-dabei-Ästehtik als Production Value sehen: Hat dies nicht einen Effekt auf das, was mit diesem Production Value erzählt wird? Kann man sagen, dass diese Inszenierung von Krieg eine eigene Kriegsgeschichte (und Kinogeschichte und Filmkritikgeschichte) erzählt, die inzwischen so etwas wie konsensfähig ist und gerade als Production Value andere Bilder verhindert, die unser intuitives Verständins von „so sieht Krieg aus“ stören könnte? Deshalb hatte ich in meiner Kritik das ziemlich nebulöse Wort „langweilig“ gebraucht – weil ich diese point-of-view-combat-Ästhetik in Verbindung mit dem leidenden Soldaten in den Klauen der „Bestie Krieg“ nicht mehr sehen will. Mich macht das wütend und erinnert mich in der behaupteten Allgemeingültigkeit von Kriegs-Bildern an Rudolf Scharping und die Bild-Zeitung, deren Fotos aus Jugoslawien („Wir dürfen nicht wegsehen!“; „Sie treiben sie ins KZ!“) den NATO-Kriegseinsatz hierzulande für eine breite Öffentlichkeit intuitiv verständlich und notwendig erscheinen lassen sollten.
Ich merke gerade, dass ich endlos weiter über viele Punkte schreiben könnte, die Du in Deinen Anmerkungen nennst, und die ich alle sehr wichtig und bemerkenswert finde. Dazu gehören auch die Bezüge zu Ahab und Ford, wobei Ahab uns auch direkt zu PLATOON führen würde. Weil das aber alles zu lang wird, will ich mich auf eins beschränken, das mich schon lange umtreibt & das dann auch die WINDTALKERS-Debatte (vorläufig) verlässt. Ich möchte die Diskussion aufnehmen, die Du zum Verhältnis von Film, Autor und Filmkritik anregst; genau diese Debatte, in der die Frage nach Autorität und ihrer Konstruktion vielleicht im Zentrum stehen könnte, scheint mir extrem nötig.
Du schreibst von den „gängigen Betrachtungsweisen und der Mainstream-Filmkritik“ und setzt dagegen u.a. die Frage, wie sich das Markenzeichen John Woo in diesen Ikonographien plazieren und etablieren ließe. In unserem Telefonat war das noch deutlicher gewesen, als Du von John Woos Perspektive gesprochen hattest, mit der sich Woo als Nicht-Amerikaner den US-Themen/-Genres zuwendet. Gegen das Reden vom „Realismus“ (was ich auch ziemlich bescheuert finde) setzt Du „Kunst“ und einen „bestimmten Stilwillen“ und fragst danach, wie hier eine Kategorie des Autors „angemessen und praktikabel“ angewandt werden kann.
Mein Problem ist erst einmal: Zu den „gängigen Betrachtungsweisen und der Mainstream-Filmkritik“ gehört nicht nur das Rekurrieren auf einen problematischen Realismus-Begriff, sondern auch und gerade die Suche nach dem Autor, bzw. dem auteur. Seit Jahren wird John Woo als „action auteur“ gehandelt und fast jede Filmkritik, die ich zu WINDTALKERS gelesen habe, arbeitet sich daran ab. Um als Filmkritiker seine Autorität unter Beweis zu stellen, werden traditionell Filmemacherautoritäten erkannt, benannt, diskutiert und etabliert. Und wenn ich dabei von Filmkritikern und Autoren spreche, und nicht von Filmkritikerinnen und Autorinnen, dann ist dies auch eine Reaktion darauf, dass dieses Verfahren des Spiels um Autorität seit der politique des auteurs traditionell eine Angelegenheit unter Männern ist, deren (implizite) Kategorien von Genie, starker Kreativität und künstlerischer Durchsetzungskraft eng an traditionelle Bilder spezifischer Männlichkeit gebunden ist.
Ich würde darum gerne zunächst von der Suche nach dem auteur als einer kommerziellen Strategie reden und von der ideengeschichtlichen Tradition dieser Konstruktion des „Manns hinter dem Film“, die auch meine Kinosozialisation stark geprägt hat. Darum ging es auch in meiner Filmkritik zu WINDTALKERS: Durchaus trotzig zu sagen, dass ich bei diesem Entdeckungsspielchen (wo steckt denn der Meister?) erstmal einfach nicht mitmachen will und gleichzeitig davon reden, dass dies zu WINDTALKERS (auch zur PR des Films) dazugehört. Ich weiß, dass die Kategorie des Autors durchaus spannende Fragen an den Film stellen könnte. Mir scheint es nur gerade im Augenblick wichtig, auf die Implikationen und Bedingungen dieser doppelten Autoritätsstiftung (Kritiker und Filmemacher versichern sich gegenseitig ihrer Autorität, siehe z.B. die Interviews zu WINDTALKERS) hinzuweisen, um anders vom auteur zu reden. Nämlich als vor allem nachträgliche Konstruktion unseres Blicks, mit dem wir dem Gesehenen und Gehörten (das ja von sehr vielen verschiedenen Kräften produziert worden ist) „Sinn“ geben. Bei der Produktion von Bedeutung spielt unsere Arbeit als Publikum ja eine ungeheure Rolle, und eben diese Arbeit nachträglich auf das Regie-Subjekt zurückzuführen, scheint mir falsch. Noch dazu, weil die historischen Produktionsprozesse sehr oft diesem Master-Plan widersprechen.
Ich denke, dass wir damit gar nicht weit auseinander liegen. Welche Rolle spielen dominante Fiktionen sowohl in Filmen als auch in Filmkritiken? Wie funktioniert „Verstehen“ in diesem Zusammenhang? Du fragst: „Durch welche Gesten und Verfahren werden Filmkritiker wahrnehmbar und wichtig (zu Autoren)?“ Dazu gäbe es sehr viel zu sagen – auch, dass spätestens seit Mitte der 50er Jahre, als Truffaut, Godard und die anderen als Filmkritiker Hitchcock und Hawks als Künstler etablierten, die Entdeckung von Filmemacherautoritäten ein wesentlicher Teil dieser Gesten und Verfahren ist. Natürlich ist jeder veröffentlichte Beitrag potentiell eine Geste, mit der man sich einen Namen macht. Auch eine Kritik am auteurismus oder an Tendenzen der aktuellen Filmkritik kann dazu prima dienen. Bourdieu hat vorgemacht, wie man als dezidierter Kritiker von Autoritätskämpfen, des „Ringens um symbolisches Kapital“, selbst unbestrittene Autorität werden kann. Mir erscheint es als das beste, mit diesen Problemen und Fragen so transparent wie möglich umzugehen. Vielleicht könnte hier ja eine Diskussion darüber beginnen, wie das aussehen kann. Wie kommen wir in ein Verhältnis zum jeweiligen Film? Von wo aus sprechen wir? Und wie können wir beim Schreiben auch von unsere Bedingungen des Filmverstehens und Schreibens handeln?
Viele Grüße,
Jan Distelmeyer