März 2002

Mittwoch, 06.03.2002

nach dem film

Art Historian’s Guide to the Movies

Neulich, nach SOGOBI von James Benning, zu dem hier unten und in den dortigen Kommentaren Hinweise zu finden sind, meinte B im Foyer des Arsenal Einwände vorbringen zu müssen, die die Geglücktheit des Benningschen Projekts betrafen. Es war zwar erst am späten Nachmittag, doch in meiner Erinnerung war der Himmel über dem Potsdamerplatz, den ich mir, dort unten im Arsenalfoyer stehend, dem Raum hinzudachte, bereits wolkenlos blauschwarz dunkel, fuhr bald schon die letzte S-Bahn, und ich hatte den ganzen Tag gearbeitet, und ich war müde davon, und der Film lief im kleineren der beiden Arsenalkinos, das annähernd ausverkauft zu vollbesetzt und hellhörig für Geräusche der Zuschauer war, und auf der Leinwand waren die Bilder des Films viel zu klein wie Diaprojektionen zu sehen – ein paar Gründe, dem Vorwurf Bs nicht nachzugehen.
Am anderen Tag bekam ich eine mail von B. Ich erinnerte mich wieder an seinen Vorwurf. In der Mitte des Films von Benning war zweieinhalb Minuten lang ein Tal zu sehen und im Hintergrund ein Wasserfall und wie B von diesem Bild unter anderem auf Stichworte wie “Idylle”, “Anthropomorphismus” und “falsch prozessierte Trauer” vorgestoßen ist, ist mir immer noch nicht klar, vielleicht kann er, wenn er das hier liest, in den Kommentaren etwas dazu schreiben. In Bs mail stand ein Zitat von Paul de Man:
Wahre “Trauer“ erliegt der Täuschung weniger. Das Äusserste, dessen sie fähig ist, ist das Nicht-Verstehen zu erlauben und nicht-anthropomorphische, nicht-elegische, nicht-rühmende, nichtlyrische, nichtpoetische und das heisst prosaische oder, besser historische Formen der sprachlichen Gewalt aufzuzählen.
Heute kann man SOGOBI im Fernsehen sehen, West 3, 23 Uhr, und an den beiden folgenden Mittwochen LOS und EL VALLEY CENTRO. Daran erinnert hat mich dieses Weblog, in dem sowohl das Verschwinden der Riffelblende in den Einspielfilmen von Aktenzeichen XY notiert ist, als auch eine Beobachtung beim Zugfahren nach Süddeutschland: “bunte, nicht mehr recht runde Plastikbälle, verschossen und nie wieder eingesammelt, auf Dächern, in Gräben, sogar auf dem freien Feld.”
Manchmal schäme ich mich dafür, so zu schreiben wie ich schreibe und ich sehe dann auch ein, dass das “Äußerste” wirklich wäre, historische Formen der (sprachlichen) Gewalt aufzuzählen, wie Flaubert und Melville es getan haben, und wie B als Modernist es von mir und von Filmen erwartet. Die California Trilogie von Benning sollte man sich auch deswegen anschauen.

Politischer Film.

Jetzt muss ich gleich zu einem Gespräch mit der Zeitung Ästhetik und Kommunikation. Das Thema wird sein „Politischer Film“ und natürlich sitze ich da mit dem Andreas Veiel und Romuald Karmakar.
Ein Stoff muß sich selbst behandeln, um behandelt zu sein. Ein Novalis Zitat, das der Peter Nau vor das Vorwort seines Buches Zur Kritik des Politischen Films gestellt hat.
Vor ein paar Tagen lief Missing von Costa Gavras auf Arte und ich schaute 20 Minuten zu und das ist schon ein wenig ekelhaft, den Jack Lemmon zu sehen, wie er hier eingesetzt ist, als der Durchschnittamerikaner, der durch die Handlung gestoßen wird und sich infiziert und aufgeklärt wird. Dem die Augen geöffnet werden. Sorgfältig und still und präzise wird der Film nur, wenn er das Politische verlässt. 25 Sekunden steht Lemmon allein in einer Totalen am Fenster seines Hotelzimmers, mit dem Rücken zu uns. Er wartet auf Sissy Spacek. Er weiß nicht, was er hier zu tun hat, nicht in Chile, sondern in diesem Film. Wie oft er in Filmen so dagestanden hat, der ewig Quirlige und Dauerredner und Rechtfertiger, wenn ihm dann die Luft und die Zuversicht ausgegangen ist, die Schultern wegsacken, wenn er das amerikanische Tempo nicht mehr mitging. Das war da zu sehen und zu spüren.
Vielleicht hat er im gegenüberliegenden Hotelzimmer Yves Montand gesehen, der schaute, wie in „Der Krieg ist aus“ und nicht wie in Z. Müde.
Vor ein paar Tagen THE DEEP END gesehen. Mit Tilda Swinton. Ein merkwürdig interesseloser Film. Ein wenig gleichgültig. Ich mag das ja. Bei Tschechow, der immer „Wie soll man leben?“ von Marc Aurel mit sich trug, da heißt Gleichgültigkeit „gleich gelten“: Das Böse. Das Gute. Die Liebe. Die Kälte. Die Wachheit und die Müdigkeit.
Eine Mutter versenkt eine Leiche in einem See, weil sie glaubt, ihr Sohn wäre der Mörder. Sie versucht ihn zu schützen.
In solchen Versenkungsfilmen, da taucht das Versenkte irgendwann auf, das Wasser gibt die Schweinereien, das Verdrängte, die Verbrechen wieder preis. In The House by the River gibt es den erfolglosen Schriftsteller, der das von ihm ermordete schöne Dienstmädchen versenkt hat und darüber wahnsinnig wird, denn der Fluss, vor dem er immer sitzt und schreibt, wütet. Hochwasser. Tierleichen. Strandgut. Auch die Mädchenleiche wird darunter sein (Das Mädchen, das hat er begehrt und als es sich widersetzte, da hat er es erwürgt. Das Begehren, da gab es ein schönes Bild: Das Mädchen badet, in der Badewanne der Herrin, der Frau des Schriftstellers, was es eigentlich nicht darf. Und als sie das Wasser ablässt, da hört es der Schriftsteller. Hört, wie das Wasser, in dem der nackte Körper des Mädchens gelegen hat, die Abwasserröhre hinunterrinnt. Und er legt seinen Kopf an die Röhre und schließt die Augen. So stelle ich mir enen Stoff vor, der sich selbst behandelt).
Der See, in dem Tilda Swinton die Leiche versenkt, ist gar nicht tief. Und ist ganz klar. Man hat überhaupt nie den Eindruck, als wolle sie oder der Film etwas verstecken. Auch der ganze Noir Plot, der ganze Suspense, ist überhaupt nicht tief. Und auch ganz klar. Polizisten, die an den Wagen treten, die haben keine Sonnenbrillen. Kein Misstrauen. Flößen keine Angst ein. Dass man den Film gerne schaut, trotz der doofen Musik (die eingesetzt worden ist, weil die Produzenten Angst vor der Interesselosigkeit bekommen haben) hat etwas mit Müttern und Söhnen zu tun. Die Väter sind merkwürdig weit weg. Herausgeschrieben aus der Geschichte. Irgendwelche Admiräle, die auf irgendwelchen Flugzeugträgern in irgendwelchen Meeren herummanövrieren. Nicht einmal eine Telefonstimme haben sie. Tilda Swinton ist die Mutter. Und alle Männer der Geschichte starren sie an. Die Schwulen im Club. Der Sohn. Der Freund des Sohnes, das spätere Opfer. Der Mafiosi. Sie wollen zurück zu ihr. In einem Kriegsfilm wäre sie die Krankenschwester mit dem gestärkten Kittel und die Söhne würden Mama schreien, im Lazarett und sie würde ihnen die Hand halten. Hier gibt es keinen Krieg. Keine Front, von der gesagt wird, dass man dort zum Mann wird und dann krepiert man dort. Die Söhne in dem Film suchen solche Fronten. Tilda Swinton erlöst sie.
Der Bitomski hat mal in einem Seminar an der DFFB gesagt, dass die meisten Filme eine Architektur ausstellen. Die Filme, die was taugen, sind die, die selbst Architektur sind. Ich denke, dass es sich so auch mit dem Politischen verhält.


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