2002

Sonntag, 05.05.2002

INDEX

Angesichts der wieder einmal kursierenden „Gewalt in den Medien“-Debatte und der in diesem Zusammenhang zu erwartenden Schnellschüsse lohnt sich ein Blick auf die Liste der zur Zeit bereits indizierten Filme. Darunter befinden sich u.a. Arbeiten von Pasolini, Cronenberg, Frankenheimer, Friedkin, Eastwood, Warhol/Morrissey, De Palma, Carpenter, Verhoeven, John Woo, Peter Jackson und ein erheblicher Teil der Werke von Tobe Hooper, Sam Raimi, Dario Argento, George Romero und Abel Ferrara. In Kürze wird man wohl wieder eine Petition für den Fortbestand des sehr geschätzten „Videodrom“ aufsetzen müssen. ( Die Liste der zur Zeit indizierten Filme ist einzusehen unter: www.indizierte-filme.de)

Heute, Sonntag 5. Mai 2002, allerletzter Tag:
Bill Viola: Going Forth by Day.
Für alle die Sonntags nicht in die Kirche gehen. Eine Videoinstallationsoper die in ihrer Evidenz und Lakonie sämtliche Inszenierungen Bob Wilsons und die grossen Diatapeten von Jeff Wall in den Schatten stellt. 5 Projektionen auf vier Wänden in einem grossen schwarzen Raum. Die Zuschauer sitzen auf dem Boden andächtig wie in einer gotischen Kathedrale. Dann bricht die Sintflut herein. Metaphysik. Grossartig. 35 Minuten. Dann treten sie wieder hinaus in das Tageslicht der Strasse Unter den Linden.
Berliner Guggenheim, geöffnet von 11– 20 Uhr.

Freitag, 03.05.2002

Jean-Luc Godard: Einführung in eine wahre Geschichte des Kinos.
Bei http://textz.com/

Donnerstag, 02.05.2002

Hinweis:

Edward Yang-Retrospektive im Arsenal (2.5-25.5). Von Montag dem 6.5 an ist Edward Yang auch Gast der DFFB, wo er seine Filme den Studenten zeigt. Näheres ( Vorführ-Termine, usw.) ist bei Bodo Knappheide (DFFB) zu erfragen. Auch „Taipeh Story“ (1985), in dem Hou Hsiao-Hsien (demnächst mehr über HHH) eine Hauptrolle spielt und der für die sogenannte „New Wave“ des taiwanesischen Kinos sehr einflußreiche „Terrorizer“ (1986) werden sowohl im Arsenal, als auch an der DFFB zu sehen sein. Zu „YIYI“ gibt es eine schöne Website: yiyi.themovie.com.

Für diejenigen, die etwas langfristiger planen möchten: Der kürzlich angekündigte „Counterstrike“ von André Heller. Aus einer Presse-Meldung: „André Heller will als Kulturverantwortlicher der WM 2006 ein sinnliches Bild von Deutschland zeichnen. Lange vor der WM-Eröffnungsfeier sollen bereits Ausstellungen, Filme, Symposien, sowie Musik- und Theaterereignisse Deutschland ironisch und heiterer als gemeinhin angenommen darstellen.“ Klingt beängstigend.

Zweimal Konservenbüchsen

Büchse 1: PASSE MONTAGNE aufrollen vom Stellenwert, den Essen in diesem Film hat. Was in Erinnerung bleibt, ist die haptische Qualität, die Stévenin dem Öffnen einer Konserve (wahrscheinlich handelt es sich um Thunfisch) verleiht. Halbieren eines Brötchens; Öffnen der Dose; mit dem Taschenmesser wird der Fisch im Brötchen verteilt; Öl aus der Dose nachgießen, damit das Brötchen nicht so trocken bleibt; Reinbeißen; für den Mund eigentlich zu groß, aber es geht schon; die Hände schmutzig; von Erde bist Du genommen, zu Erde sollst Du werden. Der Film spricht nicht von Körperlichkeit sondern von Leiblichkeit. Ist durch und durch irdisch. Selbst die Fluggeräte bleiben auf dem Boden. Es genügt, wenn man eine Vision hat. Kein Sex. Die Delikatesse von Frauen wird beschworen, dabei bleibt es. Dafür wissen beide Protagonisten eine Zwiebel nebenbei zu würfeln, so wie Humphrey Bogart eine Zigarette halten kann. Alle Dinge sind immer gleichzeitig anwesend, was zu Unordnung führt, die aber nur höhere Ordnung ist. Was der Film ausstellt ist wohlwollende Verwunderung. Wir befinden uns in einer Passage, nicht wissend, woher wir kommen, und hoffentlich werden wir nicht ankommen, damit das Abenteuer Bestand hat. Staunen als höchste Erkenntnisform und Gnade. Ja, die Haltung des Films ist gnädig. Die ganze Natur und damit jeder Idiot soll hier in sein Recht gesetzt werden. Laut wird Stévenin nur einmal, als es um die Verteidigung des verschrobenen Rezitators geht. – Über Gnade hat einmal Mitsuko Uchida (Pianistin) sehr schön im Zusammenhang mit dem letzten Klavierkonzert Mozarts gesprochen (Klavierkonzert B-Dur, KV 595) und vielleicht kann man in dieser Musik eine Entsprechung finden – nur ein Vorschlag. – Als Zeitgenosse war meine Kritik diesem Lebensgefühl gegenüber harsch: Es tummelt sich auf den Territorien, auf denen sich Fuchs und Hase „Gute Nacht“ sagen. Was aber, wenn der Fuchs das Licht ausknipst? – Mit der Zeit wird man gnädiger. „Es war doch nicht alles falsch, was wir früher gemacht haben,“ unterbricht ein Eindringling die beiden Männer beim Essen. Dieser Satz fällt auf Deutsch. Drei Jahre später sagt Stévenin diesen Satz als einzigen deutschen Dialogbeitrag in Rivettes PONT DU NORD und stellt damit das Geschehen urplötzlich in einen terroristischen Zusammenhang, ohne je konkreter zu werden. Weitere zehn Jahre danach darf der Matrose Max Reichpietsch in NAVY CUT davon sprechen, dass nicht alles falsch war, was wir damals gemacht haben. Kurz darauf wird er erschossen.

Büchse 2: Sarah packt den täglichen Einkauf auf dem Küchentisch aus. Die Küche ist zum Living hin geöffnet. Wir sind in USA. Eddie läuft im Hintergrund auf und ab. Eddie und Sarah streiten währenddessen über Ehrgeiz, Trunksucht, Liebe. Diese Szene ereignet sich in Robert Rossens THE HUSTLER. Im Verlauf der Auseinandersetzung beginnt Sarah damit, die Deckel der gekauften Konservendosen mit einem Tuch abzuwischen. Diese Geste haut mich um. Innerhalb eines extrem gerichteten amerikanischen Dramas, in dem die Hindernisse nach konventionell logischer Konsequenz angeordnet sind, bis endlich Liebe sie überwinden kann, weist das Putzen der Dosendeckel auf einen Zusammenhag von purer Alltäglichkeit hin, für den die gestauchte Konfliktdichte ansonsten keinen Platz lässt. Konservenbüchsen zu säubern hat den Sinn, die Lebensmittel beim Öffnen der Dose nicht zu verschmutzen. Nun werden die Dosen aber im weiteren Verlauf weder geöffnet noch deren Inhalt verspeist. Das Putzen legt aber nahe, dass sie verbraucht werden sollen. Vielleicht liegt die Subversion darin davon zu künden, dass der Konflikt über einer materiellen Basis abläuft, die ihr Recht fordert, auch wenn noch so moralische Werte verhandelt werden, oder dass es überhaupt ein Geschehen geben kann neben Bildersog und Handlungsstrang. Auf jeden Fall – jemand am Set wusste etwas von Haushaltsarbeit.

Die Travestieaktrice Camelia Light nannte eines ihrer Programme: Ich war eine Dose. Zu den weitreichenden Folgerungen des damit aufgerissenen Interpretationsspektrums jetzt nichts mehr.

Sonntag, 28.04.2002

Wirkungsgeschichte. Über einen Satz von Danièle Huillet.

Am Ende seines Studiums an der Filmakademie – die Abschlussarbeit war bereits fertiggestellt – besuchte der Filmstudent ein Seminar, das von Straub/Huillet geleitet wurde. Der Status der beiden Filmemacher innerhalb der filminteressierten Gemeinde reizte ihn dazu, sie mit seiner Abschlussarbeit, einem 15minütigen 35 mm-Kurzfilm, zu konfrontieren. Nur widerwillig folgten Straub/Huillet seinem Wunsch. Er musste sie quasi nötigen, seinen Film anzusehen. Ziel des Unternehmens war natürlich, einen Kommentar oder eine Kritik zu erhalten, mit der man weiterarbeiten konnte. Doch alles, was er den beiden entlockte, war dieser Satz von Danièle Huillet: „Sie arbeiten mit Wirkung.“ So weit die überbrachte Erzählung.
Was wie die kryptische Aufgabe eines erfahrenen Zen-Meisters an seinen Schüler daherkommt, hat mich seither beschäftigt, obwohl ich weder der Student der Erzählung bin, noch überhaupt zugegen war und Straub/Huillet nie als meine Überväter ansah.
Irrt hier ein Gott? – Wenn ich vulgär-etymologisch davon ausgehe, dass „Wirken“ mit dem Verschränken von zumindest zwei unabhängigen Fäden zu tun hat, dann liegt es im Wesen eines zumindest aus zwei Einstellungen bestehenden Films, gewirkt worden zu sein. An seiner Erarbeitung war Wirkung zwangsläufig beteiligt. Film ist schlechthin Wirkung. Doch hielt ich die Aussage nie für eine tautologische Äußerung als vielmehr für offene Kritik.
In dem Bemühen, der Einstellung gerecht zu werden und dem Schock des Schnitts ins Gesicht zu sehen, kommen Straub/Huillet ja nicht umhin, Wirkung zu erzielen. Es muss also etwas anderes gemeint gewesen sein.
Wirkungsgeschichte und Rezeptionsgeschichte werden ja quasi synonym verwandt, und vielleicht kommt man der Sache näher, wenn man die von Huillet angeführte Wirkung als Rezeptionsorientierung, Suggestion oder Zuschauerbeeinflussung liest. Dem stände eine Objektorientierung bei Straub/Huillet gegenüber. Das gefilmte Objekt gibt den Atem vor, dem es nachzulauschen gilt, damit er zum Atem des Films wird. Da spielt sicher auch die Sache mit der Architektur hinein, die der Film selbst ist oder die er nur ausstellt, wie Christian Petzold weiter unten unter Bezug auf Bitomsky ausführt. Es ist Sitte der Götter, ihren Schöpfungen Atem einzuhauchen. Der Filmemacher hat die Möglichkeit, ihn in den Film hineinzuwirken, wenn er denn der Gefahr entgeht, ihn zu verwirken. Spitzfindig. Kleiner Versuch über Wirkung.

Kein Film. Hier jetzt kein Film.

Warum der Vergleich, der Aufbau einer Beziehung, die Reihenbildung von TWO-LANE BLACKTOP mit Melvilles BARTLEBY nicht gefällt, mich unzufrieden zurücklässt, ungelöste Reste erzeugt, die ja ihrerseits wieder produktiv werden können? (s. den Text von Bert Rebhandl weiter unten) Natürlich ist es legitim, jeden Text zu jedwedem Film in Beziehung zu setzen. Dabei besteht aber die Gefahr, dass Konturen zu Gunsten von Ähnlichkeiten verschliffen werden. Zumindest möchte ich eine Präzisierung vorschlagen, die die Dinge wieder auseinanderrückt und die Reibung erhöht.

Ist es wirklich der Geist von BARTLEBY, der als Brise und Fahrtwind verkleidet, den Protagonisten von TWO-LANE BLACKTOP ins Gesicht schlägt? Meine Befürchtung ist, dass in dieser Gegenüberstellung ähnliche Kategorien vorschnell für identisch erklärt werden. Bartlebys Verweigerungskonzept schien mir zunächst dem zu entsprechen, was ich mir unter britischer Exzentrik vorstelle, obwohl sich die Geschichte in New York zuträgt: – Der Versuch eben, innerhalb einer äußerst formierten Gesellschaft, die kein Ausbrechen erlaubt, durch Implosion eine Blase privaten Wahnsinns herzustellen, die in ihrer Einzigartigkeit und Abgegrenztheit dann wieder gesellschaftlich sanktioniert wird – soweit ein hinreichendes Funktionieren des Exzentrikers gewährleistet ist. Soviel Versöhnlichkeit liegt hier aber nicht vor. Denn Bartlebys Verweigerung geht weiter und lässt sich als Spleen nicht fassen, will gar nicht mehr funktionieren, will einfach nur „nicht“. In seinem Buch „Hand an sich legen“ trifft Jean Améry die Unterscheidung von „nicht“ und „nichts“. Derjenige, der Hand an sich legt, will nicht etwa nichts. Soviel Gegenständlichkeit entspricht der Situation schon lange nicht mehr. Er will einfach nur nicht. Das Verhältnis von „nicht“ und „nichts“ scheint mir auch das Verhältnis von BARTLEBY und TWO-LANE BLACKTOP zu charakterisieren. Bartlebys Autismus, sich in vorgegebene Strukturen hineinfallen zu lassen (selbst das hat noch zu viel Willen; er fällt einfach nur) ohne dort selbst noch als „ich“ vorkommen zu müssen, geht in seiner radikalen Hermetik über die immerhin noch nonverbal expressiv sein wollenden Protagonisten von TWO-LANE BLACKTOP weit hinaus. Sie wollen durchaus wirken und gesellschaftlichen Gegenentwurf liefern. Dabei bildet das Mädchen die Ausnahme, die die hoffnungslose Gefangenschaft der Männer noch als erste transzendiert, wenn auch nur mit Hilfe eines Mannes. So könnte am Ende von TWO-LANE BLACKTOP stehen, die Zukunft des Mannes sei die Frau; am Ende von BARTLEBY – jenseits aller geschlechtlicher Differenzierung – steht gar nicht.

Habe ich schon bedauert, dass die Arbeit an Text und Film dazu verleitet, von der Physis des Films abzusehen? Wo sind die Veranstaltungen, die die Hand, die die Sprache auf den Film legt, in ihre Schranken weist?
„… die Stimme gegen die Macht der Sprache …“ wird Godard in einem Aufsatz von Helmut Färber zitiert, auf den hier hinzuweisen ist. (Architektur, Dekoration, Zerstörung. Etliches über Kinematographie und äußere Wirklichkeit.; in: Kreimeier[Hrsg.]: Die Metaphysik des Dekors, Marburg 1994; S. 100-117) Dank an Bert Rebhandl für die Lenkung der Aufmerksamkeit.

Freitag, 26.04.2002

Bartleby und Two-Lane Blacktop aufeinander zu beziehen, das ist natürlich eine willkürliche Assoziation. Und doch erscheint mir die Erzählung von Melville wie ein Urtext, von dem Monte Hellman einen (durch viele historische Schichten und solche des Unbewußten hindurch veränderten) „Abkömmling“ hergestellt hat, in einer anderen Epoche, in einem anderen Medien, aber immer noch nach der Formel: Ich möchte lieber nicht. Bartlebys Entschluß, das Kopieren (von Gesetzestexten) aufzugeben, und das Anstößige, das sich in seinem Todestrieb äußert (den sogar Deleuze nur als prophetische Magersucht deuten kann), sind entscheidend. Auch der Fahrer und der Mechaniker geben das Kopieren auf, indem sie ihr Auto (das dem klassischen Abschreibprozeß des 20. Jahrhundert entstammt, der fordistischen Produktion) wieder individuell machen, durch Bauteile, derentwegen sie bis Columbus, Ohio fahren würden. Auch der GTO träumt ständig davon, „one of those Detroit machines“ so umzubauen, daß sie seinen Größenphantasien besser entspricht. „A clean machine, homegrown“, sagt James Taylor einmal über das Auto eines Konkurrenten, als wäre der ein lächerlicher Biobauer, aber die Idee des Nonkonformen teilt er natürlich, unausdrücklich und introvertiert zwar. Das Gesetz, das von Melville bis Hellman gilt, ist das der Kopie, und es ist kein Zufall, daß die Kollegen von Bartleby allesamt Originale sind, aber widerspruchslose Abschreiber, während Bartleby eine Null ist, mit der sich nichts mulitplizieren läßt. Die Zweckentfremdung des Automobils in Two-Lane Blacktop wendet sich auch gegen das Gesetz: Ausdrücklich dort, wo die Highway Patrols verhöhnt werden, viel wichtiger aber insofern, als das Auto so „überdeterminiert“ wird, daß man damit gar nicht mehr richtig vom Fleck kommt. Bartleys träumerisches Verweilen vor einer Feuermauer und James Taylors Blick nach vorn durch die Windschutzscheibe sind verwandt: Es ist ein nicht-gegenständliches Sehen, aus dem der Fahrer nur herausgerissen wird, wenn es einen Unfall zu vermeiden gilt, das sich am Ende aber tatsächlich erfüllt, wenn das Bild selbst einen Unfall erleidet und mit seinem Betrachter, dem Lenker, identisch und abstrakt wird. Bartleby bekommt von Melville am Ende noch einen Tod und eine Vorgeschichte, der Fahrer aber wird zu reiner kinetischer Energie, woraus sich kein religiöser Gewinn mehr ergibt, aber auch kein Verweigerungspathos, das sich so einfach politisieren läßt, wie Hardt und Negri in Empire Bartleby für ihre Globalisierungskritik reklamieren. Bartlebys Formel hat sich in Two-Lane Blacktop zerstreut, sie hat ihre Dringlichkeit verloren, und ist nur noch in Echos zu vernehmen: That don’t hardly matter to me, sagt ein Anhalter mit Stetson, der ähnlich von sich selbst abzusehen scheint wie Bartleby auch. No good, sagt das Mädchen, bevor es sich aus dem Film davonmacht, ohne noch den Beutel mitzunehmen. Die Menschen, die den Film durchkreuzen, tragen alle ein Moment dieser Verweigerung in sich, aber in einer Welt, die tatsächlich „vaterlos“ ist, wie Deleuze schrieb, wird die Differenz zwischen Original und Kopie unwichtig, und deswegen kann der Fahrer nicht sterben, sondern muß frontal in das Medium krachen.

Mittwoch, 24.04.2002

Kino-Hinweis

Two Lane Blacktop, von Monte Hellman, USA 1971
Donnerstag, 25.4., 19 Uhr, im Arsenal, Berlin.
2LB ist schon häufiger auf diesen Seiten vorgekommen, als geheime, fast untergründige Referenz. Seit Bert Rebhandl mir vor 1 Monat erzählte, er würde den Film im Arsenal vorstellen, in Kombination mit Herman Melvilles “Bartleby”, fiebere ich der Sache entgegen. “Bartleby” –hier kann man die Erzählung lesen- hat eine ähnlich untergründige Wirkungsgeschichte wie der Film von Hellman (George Perecs Erzählung “Un homme qui dort” und sein gleichnamiger Film beruhen darauf; Jay Leyda, amerikanischer Assistent Eisensteins und Melvilleforscher, hat ein Opernlibretto zu “Bartleby” geschrieben; und Deleuze und Agamben in den 90er Jahren lesenwerte, bei Merve auf Deutsch veröffentlichte Texte). Ich erinnere mich jetzt auch viel zu wenig an Hellmans Film, nur an Eindrücke von Weite und Offenheit. Und daran, dass diese Weiten und Offenheiten etwas Beklemmendes, de-euphorisierendes haben. Wenn “Two Lane Blacktop” noch ein “Road Movie” ist, dann eines, dass die Linearität der Erzählung nicht mit dem Versprechen des auf ein Ziel hin gerichteten Unterwegsseins verbindet. Es wird dem Film, trotzdem er zum Ende in Flammen aufgehen wird, sehr viel Liebe entgegnet, vielleicht auch unerwiderte (und vielleicht gerade wegen seines Verbrennens so bedingungslose). Ich nehme mal an: vor allen von Jungs. Sucht man bei Google nach Belegstellen zu dem Film, stößt man auf 967. Viele Fanseiten. Kult-Film.
Im Internet zu sehen: autofahrende Jungs, die sich “Ölprinz” nennen und Monologe voll der sachlichen Schönheit von Maschinennamen, die von Denis Wilson, damaliger drummer der Beach-Boys (the mechanic) gesprochen werden, auf ihre Homepages stellen (http://www.oelprinz-online.de/tlb.html) – hier:

“Check that ‘67 ‘cuda…That’s nice, a ‘57 Chevy. Hmmm, a 442 Olds. There’s a little muscle around tonight. What we got over there?…A Ford 429. An Anglia panel. Look at that Anglia panel. Beautiful. An AMX. Okay… Listen, we got to just rope one out… I believe I got her spotted. Look at that ‘67 Plymouth Road Runner and that dude in those sharp threads eatin’ a chiliburger. That’s a score. A Hemi, two four-barrel Holley carbs. Chrome rims. Goodyear slicks. Headers. Probably a torqueflite transmission. Yeah, well let’s get it on.” 

Oft auch: Kaufaufforderungen -die VHS, die DVD, die diversen Original-Poster (australisch, englisch, amerikanisch) für ein Heidengeld.
Auch sind dort Leute zu finden, die einen schönen Teil ihres Leben den geisterhaften Austragungsorten dieser amerikanischen Regionalrennen widmen –http://lakelandraceway.crosswinds.net
Andere, die über die Begeisterung für Tarantino zu dem Film fanden: Hellman hatte das Buch zu Reservoir Dogs gelesen und wollte es verfilmen. Er traf sich mit Tarantino. Aber Tarantino meinte, “… bei allem Respekt für sie, Mr. Hellman, das ist mein Film…” und wollte später ein Drehbuch für Hellman schreiben. Hat er aber nicht gemacht –http://www.geraldpeary.com/books/tarantino_interview.html. Aber Hellman war dann immerhin ausführender Produzent von Reservoir Dogs.
Irgendwann, um den Sommer 2000, ist Hellman in Austin, Texas, und dreht in der Gegend seinen neuen Film, Pay Off, wird gesagt. Und in Austin war im Sommer 2000 auch eine Ausstellung mit Schwarz/Weiß-Fotografien von ihm zu sehen –http://www.ifmagazine.com/common/article.asp?articleID=567
Eine Weblogautorin berichtet, sie hätte Hellman nach der Vorführung von 2LB einen Miniaturfrosch geschenkt –http://bitchinville.blogspot.com/?/2001_12_01_bitchinville_archive.html
Und James Taylor sagt 1976/77, er habe den Film nie gesehen.
Ich stelle mir all diese Leute vor. Und mich/uns, jetzt in der Reihe der 967 google-Fundstellen, abgezogen vielleicht die “compare-prizes” und imdb und diverse dvd-mailorder-Seiten. Lass es 100 Fans sein, die ein paar Stunden und Tage lang html und was-weiß-ich-noch-alles gelernt haben, um diesem Film zu huldigen.
Hier noch ein paar links:
-Ein Bericht aus dem “Rolling Stone“, 1970, über die Dreharbeiten:
On Route 66 — Filming Two-Lane Blacktop; und einer aus dem “Show Magazine”, March 1971: http://geocities.com/denniswilsondreamer/denny/mag.html
– 4 Interviews mit Monte Hellman: 1 | 2 | 3 | 4
Und: Richard Linklater gives 16 reasons to love the classic Two-Lane Blacktop

Montag, 15.04.2002

Beim Wiedersehen von Mein langsames Leben von Angela Schanelec am Montag, 8.04.2002, ZDF

Ich weiß nicht, was ich sagen will, aber ich will etwas sagen.

EIN/AUS

Ohne Versammlung. Einschalten, aufs Geratewohl; denn wenn es plappert, erübrigt sich die Frage, ob ich noch lebe oder sonst einem Zusammenhang angehöre. Diese Frage stellt sich einfach nicht.

EIN: Paare des Nachts an einem Wirtshaustisch im Freien reden Belanglosigkeiten. Kenn’ ich, hab’ ich schon mal gesehen: Mein Langsames Leben, Angelas Film. Den Anfang habe ich jetzt verpasst. Aber das ist nicht schlimm. Wer interessiert sich schon für Erzählungen? Das klingt gewollt zynisch-cool und natürlich ist die Erzählung nicht ohne Bedeutung, tritt aber zurück hinter dem, ‚wie’ hier etwas gesagt wird. Unserer aller Neurosen und Verbiegungen sind weniger aufregend, als die Art, wie wir mit ihnen umgehen. Darin könnte das Allgemeine liegen. (Ein Vergleich zur Popmusik drängt sich mir auf. Wer interessiert sich hier schon dafür, ob der Sänger stimmliche Möglichkeiten hat; hat er sie, ist es seinem vermeintlich authentischen Ausdruck eher abträglich. Der Vergleich taugt zu nichts. Eher schon der Gedanke an das von SATIE – ENO – TECHNO-DJs et al. entwickelte Ambientkonzept. Aber davon später mehr.) Außerdem bin ich heute ganz Fernseher, weniger Nahseher wie im Kino. Das kann mehr Überblick bedeuten. Was im Kino nicht ging, klappt hier plötzlich. Das Fernsehgerät funktioniert wie ein Kompressor. Durch das Hindurchzwängen durch den Apparat – der Film wird quasi ein zweites Mal geboren – und der damit verbundenen Nivellierung – die Schroffheit des Vorgangs kappt romantische Attitüden – scheint mir der Film eher zu dem zu kommen, wo er eigentlich hin will. Jedenfalls folge ich ihm aufgeregt und nicht skeptisch-mäkelnd wie im Kino. Er ist befreit von dem Bemühen, auch noch etwas erzählen zu müssen, dramatisch zu sein. Befördert alles durch den Umstand, mitten hineingeschaltet zu haben. Schauspieleranstrengungen mit dem Ziel, Texte zu gestalten, treten in den Hintergrund. Vielleicht ist es überhaupt die Reduktion der geballten Konzentration, Menschliches als Beiläufiges darstellen zu wollen, die den Film im Fernseher so angenehm ambientmäßig fließen lässt. Die Pastelligkeit der Inszenierung und der Gegenlichtfotografie, die sich doppeln und so die allgegenwärtige Sanftmut von Teppichböden ausströmen, kommen in meinem altersschwachen Gerät nicht mehr auf die vorgegebene Summe und bilden so kein Hindernis mehr für den Fluss. Die Großartigkeit der Einzelleistungen wie der Inszenierung z.B. in der Kücheneinstellung: ‚ – Ich mach mir einen Tee. – Es muss noch welcher da sein. – Ich mach mir lieber einen neuen.’ – und die befreiende Fotografie bleiben dabei völlig unangetastet und behalten ihren Charme. Auch wenn man ihn nicht mehr zitieren darf, wusste schon Hermann Hesse im Steppenwolf zu berichten, dass ein krächzendes Radio Mozart nichts anhaben kann.

BREAK: Frauen bewegen sich, Männer sind so tot wie irgendwas. Allen gemeinsam fehlt zur Leidenschaft der Zugang zum Objekt. In der Schlüsselszene: Der Ausgeschlossene, der sich selber ausgeschlossen hat aus der eigenen Wohnung. Dem gleichzeitig der Zugang verwehrt ist zu seiner Freundin, die ihn nicht mehr sehen will. Ein fleischgewordenes Dazwischen. Hier ist noch einmal emotionale Hoch-Zeit; die Welt durchs Individuum ausgerichtet auf ein einziges Interesse, Zugang zu finden zum geliebten Objekt. Die Szene endet mit einem Blick in eine Straßenflucht – lange Brennweite. Obschon gestaucht, gibt es diesen Blick in die Welt in diesem Film nur einmal, soweit ich mich erinnern kann. Jenseits des Pathos des Zwischenraums muss es ein Leben geben, das diese Zwischenräume gar nicht zulässt.

Die Eingeschlossenen. Manchmal befindet sich die Protagonistin am Rande des Bildes und spricht entschlossen zum Bildrand hinaus. Die Einstellung erzählt so von einem Getrenntsein, denn sie betont die Grenze zur nächsten Einstellung. Haben die Bilder Tiefe, dann ist das Gegenlicht so stark, dass auch Bilder, die sich in verschiedenen Ebenen ereignen, zurück in die Fläche geführt werden. Helligkeit allein macht zunächst mal gar nichts sichtbar. Fortgang erfolgt nur im Dialog, doch bleibt der Eindruck von misstrauisch sich beäugenden Monaden vorherrschend. Gefangen im Zustand einer ‚low spirit’ Dynamik. Vielleicht ist es das, was der Film produziert und was die Fernsehausstrahlung durch Aufrauen hervorheben kann: Zustand. Unterlaufen der Zeitachse innerhalb des zeitlich-rhythmisierten Ablaufs. Ambient eben.

AUS: Schnell das Gerät ausschalten, bevor der Sender Gelegenheit hat, jinglend zum Vergessen alles Vorangegangenen aufzurufen. Heute auch kein Schielen auf andere Kanäle, die mich mich-vergessen-machen könnten. Ein dolles Projektionsgerät ist der Fernseher wahrscheinlich nie gewesen. Aber als Sehhilfe kann er zuweilen brauchbar sein. Aufrauen.
Barthes spricht, glaube ich, in Zusammenhang mit der menschlichen Singstimme von Rauheit. Das Fernsehgerät kann zumindest mit mechanischer Rauheit artikulieren, und selbst wenn das nur Reduktion bedeutet, so etwas sichtbar machen.
Diese Schroffheit/Rauheit/Nicht-Identität trug Angelas vorausgegangener Film ‚Plätze in Städten’ allerdings schon ohne Fernsehniederkunft in sich.

Ich glaube zumindest, dass ich mir soweit trauen kann. Nachtschlafende Ausstrahlung von Filmen und deren Genuss führt ganz natürlich zu den Delirien landläufig bekannter Drogen. Gut schlafen tut da keiner mehr.


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