2002

Donnerstag, 11.04.2002

warum finde ich JOL vom dareschan omirbaev so gut? ich glaube, mich begeistert die orthodoxie, mit der hier zwischen den verschiedenen bewußtseinszuständen hin- und hermontiert wird, wie sich die wassermelone, die der regisseur an einer kasachischen landstraße kauft, in einen ball verwandelt, mit dem reisende an einer wasserstelle spielen, und wie der ball dann in einer sequenz wieder auftaucht, die eine mögliche einstellung für einen film darstellt, über den der regisseur im film nachdenkt, den es in wirklichkeit aber schon gibt: KILLER – omirbaev wurde damit bekannt, aber die form von JOL erinnert mich eher an den sehr schönen KAIRAT, eine vitelloni-geschichte, die auch im kasachischen nirgendwo beginnt, an einer eisenbahnhaltestelle. JOL setzt ein individuum zusammen, einen filmemacher, den ein filmemacher spielt (djamsched usmonow), der auf dem weg in sein dorf ist, wo seine mutter zu begraben ist. der filmemacher ist aber kein individuum, sondern gewissermaßen der kasachische gesamtfilmemacher, denn die episoden, an die er denkt und an die er sich erinnert (zwischen rückblende und möglichkeitsform macht omirbaev keinen unterschied), sind solche aus dem kasachischen kino der letzten zehn jahre: die geschichte von dem mädchen, von dem für eine großaufnahme ein body double eingesetzt wurde, und das sich dadurch entehrt fühlt, hat sich tatsächlich zugetragen, und der mann, der den filmemacher in JOL dafür vermöbelt, ist serik aprymow, der regisseur des inkriminierten films. das verprügeln ist aber auch variation einer geldeintreiberszene aus KILLER. wie der titel schon sagt, ist JOL sehr linear konstruiert, am ende der reise ist dann auch am anfang der subjektivität: wenn die lehrerin die schulkinder anweist, die augen zu schließen und sich etwas vorzustellen, ist das vermutlich die geburt des filmemachers, den wir als erwachsenen sehen. auch das ist sehr orthodox gedacht. wenn die kinder dann, nun wieder mit offenen augen, an das fenster treten, um den fallenden schnee zu bestaunen, und die lehrerin hinter den jungen (filmemacher) tritt und ihm sanft die hand auf die schulter legt, dann kann ich nicht anders als an proust denken. der rahmen der geschichte nimmt wieder auseinander, was das road movie zusammensetzt: der brief, den die ehefrau am morgen an ihren mann, den filmemacher schreibt, nach einem traum, den sie hatte und aufzeichnet, macht den mann selbst zum objekt einer phantasie, eines liebeswunschs, der sich über einen akt der unbedingtheit wie bei dostojewski vermittelt: jemanden töten. von PASSE-MONTAGNE habe ich mittlerweile einige passagen wiedergesehen, noch nicht aber den ganzen film: eines nachts blieb ich einfach sitzen, als ich ihm auf arte begegnete, und fand plötzlich recht klar, was mir zuvor immer verwirrend erschienen war. man betritt diesen film nicht wie einen wald vom rand her, er fängt mitten im wald an, deswegen trifft man auf die ersten lichtungen erst allmählich. ich schlage vor, den hinweisen, die stevenin gibt, nachzugehen: man könnte SIEGFRIED von jean giraudoux lesen, eine erste deutsch-amerikanische freundschaft, und man könnte kafkas SCHLOß lesen (wegen der landvermesserei). der untertitel des romans von giraudoux lautet übrigens: die zwei leben des jacques forestier, und hieß nicht forestier der offizier in BEAU TRAVAIL? zufall. im übrigen bin ich froh, daß uns heuer der vierte satz der bayerischen schicksalssymphonie (mit effenberg als furtwängler) erspart bleibt.

Donnerstag, 04.04.2002

Heute Abend: 4.4. 2002

Im Haus der Kulturen der Welt werden heute zwei Filme
von Dareshan Omirbaev gezeigt. „Killer“ (1998) um 19 Uhr
und „Jol (The Road)“ (2001) um 21 Uhr. Omirbaev ist bei
beiden Vorstellungen anwesend.

Freitag, 29.03.2002

Fernseh-Hinweis

Jean-Francois Stévenins PASSE MONTAGNE, Frankreich 1978.
30.3.2002 um 1:05 Uhr. Und Dienstag, 2.4.2002, 0:30 Uhr. Auf Arte. OmU, als “Die Waldläufer”.
PASSE MONTAGNE ist einer der, ach was: der seltsamste Film, den ich je gesehen habe. Vor Jahren einmal, im Kino, als eine Nouvelle Vague Retrospektive der Viennale, von Frieda Grafe ausgesucht, in Berlin gezeigt wurde. Damals im Kino ohne Untertitel, heute Nachmittag auf Video mit, aber das tut sich nichts. Wieso sollte man alles verstehen? Demnächst mehr zu dem Film, jetzt nur, dass die Continuity im Vorspann “John Cassavetes” zugeschrieben wird und dass einer der Kameramänner Jean-Yves Escoffier ist, der Jahre später GUMMO, von Harmony Korine fotografiert hat, einen der, ach was: den seltsamsten Film, den ich gesehen habe.

Donnerstag, 28.03.2002

Hier noch, etwas verspätet, meine 2001-Film-Liste. Teilweise
befinden sich Filme darunter, die damals nicht mehr ganz neu
waren, die ich aber erst in diesem Jahr gesehen habe.

„Goodbye South, Goodbye“ Hou Hsiao Hsien
„Flowers of Shanghai“ Hou Hsiao Hsien
„Eureka“ Shinji Aoyama
„H-Story“ Nobuhiro Suwa
„Yi Yi“ Edward Yang
„Beau Travail“ Claire Denis
„Rosetta“ Gebrüder Dardenne
„Martha … Martha“ Sandrine Veysset
„Julien Donkey Boy“ Harmony Korine
„Tiger and Dragon“ Ang Lee
„Traffic“ Steven Soderbergh
„You can count on me“ Kenneth Lonegan
„Girlfight“ Karyn Kusama

Dienstag, 26.03.2002

aus einer laune heraus, eine kurze liste mit filmen, von denen ich mir eine DVD-edition wünschen würde: fata morgana (werner herzog), barreventos (glauber rocha), party girl (nicholas ray).

Dienstag, 19.03.2002

Hello, Louise-Lee, * 19. März 2002.

„Male Power-Trip“

Wider besseren Wissens treibt mich gelegentlich die Sehnsucht ins Kino, unter den neuen amerikanischen Produktionen einen schönen B-Film zu entdecken. In diesem Sinne habe ich mir von „The Fast and the Furious“ von Rob Cohen tatsächlich etwas erwartet. Doch Anflüge cineastischer Sentimentalität werden – zurecht – hart bestraft.
Die Exposition verschwendet nicht viel Zeit. Es geht gleich zur Sache. Ein mit elektronischen Gütern beladener Lastwagen wird von einer Bande von „Racern“ gekapert, die Ladung gestohlen. Darauf versucht ein Undercover-Cop (mit einer Obsession für schnelle Autos) Anschluß bei einer Gang zu finden, die illegale Straßen-Rennen veranstaltet. In diesem Umfeld vermutet die Polizei die Täter. Nach einer Weile gelingt es dem Cop den Respekt des Gang-Leaders (Van Diesel) zu gewinnen. Zwischenzeitlich wird eine fiese, herumballernde und Menschen quälende asiatische Motorrad-Gang verdächtigt, doch schließlich stellt sich heraus, daß die Gruppe um den Gang-Leader, der inzwischen zum Freund des Cops geworden ist, tatsächlich die gesuchten Täter sind. Der finale Showdown zwischen dem Cop und seinem kriminellen „Racer“-Freund wird natürlich durch ein letztes Rennen ausgetragen. Der Freund unterliegt, doch der Cop läßt ihn laufen. Männerfreundschaft rules. So weit, so öde.
Machmal gelingt es dem Film seine Story wie eine Schnecke, die sich versehentlich auf die Autobahn verirrt hat, zu überrollen und hinter sich zu lassen. In diesen wenigen Momenten löst er das Versprechen seines Titels ein. Über weite Strecken muß man jedoch viel Müll schlucken, der immer saurer aufstößt. Die Mitglieder der Gangs sind verschiedener ethnischer Verkunft, jedoch jeweils auf abgedroschendste Klischees reduziert. (Daß der Film mit seinen Hauptfiuguren auch nicht anders umgeht, macht die Sache nicht besser.) Afro-Amerikaner erscheinen als Sex-Trottel, Latinas als „feurige“ Schlampen und Asiaten wahlweise als Nintendo spielende Idioten oder heimtückische Sadisten. Frauen tauchen nur als Beifahrer-Flittchen auf. Lediglich die Freundin des Gang-Leaders, gespielt von Michelle Rodriguez, darf kurzzeitig auch mal selber einen Wagen lenken. Abgesehen davon hat Michelle Rodriguez, die in „Girlfight“ eine beeindruckende Performance gegeben hatte, nicht viel mehr zu tun, als penetrant grimmig zu gucken und sich von Van Diesel angrapschen zu lassen.
Monte Hellman´s Meisterwerk „Two Lane Blacktop“ (1971) ist ebenfalls in einem Umfeld von männlichen Personen mit einer Obsession für illegale Autorennen angesiedelt. Doch damit hören die Gemeinsamkeiten dieser beiden Filme auch schon auf. Allein cinematographisch liegen Welten zwischen „TLB“ und „The Fast and the Furious“. Darüber hinaus schwingt in „TLB“, bei aller Faszination für die reine Bewegung, immer auch die Trostlosigkeit dieser abgeschlossenen, welt- abgewandten Männerwelt mit. Hellman ist so aufrichtig und genau, zu zeigen, wie schnell die Koordinaten aus den Fugen geraten, wenn eine Frau (bzw. ein Mädchen) erscheint, die sich nicht als anschmiegsame „Beifahrerin“ in dieses Universum integrieren läßt und genau dies als etwas erzählt, vor der seine männlichen Protagonisten (unter anderem) auf der Flucht sind. Von dieser Brechung ist in „The Fast and the Furious“ nicht einmal ein Hauch zu vernehmen.
Was bleibt? Die Hoffnung, daß Michelle Rodriguez nicht weiter in solchen Rollen verheizt wird. Die tiefe Stimme von Van Diesel (der zuvor in dem düsteren, gänzlich ironiefreien neuseeländischen Science-Fiction-Horror-Film „Pitch Black“ aufgefallen war), die selbst dämlichste Dialoge zu einem Sound verwandelt, der nach fernem Donnergrollen klingt. Und eine rasante Kamerafahrt durch das Innere eines Motors. „Innenleben“ mal anders.

Montag, 18.03.2002

Film-Hinweis

Dienstag, 19.3.02, und Freitag, 22.3.02, zeigt das Arsenal in Berlin den Film A NOS AMOURS von Maurice Pialat. In Thomas Arslans Film Der Schöne Tag gibt es eine Szene, in der die Hauptdarstellerin Serpil Turhan im Rahmen eines Casting die Geschichte von A NOS AMOURS nacherzählt. Thomas Arslan hat uns freundlicherweise eine Transkribtion dieser Szene zur Verfügung gestellt.
*
– Fangen wir an. Am Besten du stellst dich erstmal vor.
– Mein Name ist Deniz Turhan. Ich bin 21 Jahre alt, lebe in Berlin und bin Schauspielerin.
– Du weißt, dass es um eine Hauptrolle geht.
– Ja.
– Traust du dir das zu?
– Sonst wäre ich nicht hier.
– Erzähl uns was.
– Fragen sie mich etwas genauer.
– Zeig uns was von dir, was du erlebt hast. Oder erzähl einen Film, der dich in letzter Zeit besonders beeindruckt hat.

– Es ist ein paar Wochen her. Ich hatte den ganzen Tag gearbeitet und war sehr müde, als ich nach Hause gekommen bin. Ich habe den Fernseher angemacht und ein bißchen rumgeschaltet. Dann bin zufällig auf einen Film gestoßen, der sehr schön war. Der Film erzählt die Geschichte eines jungen Mädchens. Sie ist 16 oder 17. Es ist Sommer. Das Mädchen ist in einem Ferienlager am Meer. Man sieht sie bei den Proben zu einem Theaterstück. Kurz darauf ist die Aufführung, nachts unter freiem Himmel. In dem Text, den sie spricht, geht es um die Liebe. Am nächsten Tag trifft sie einen Jungen, ihren Freund. Er ist ihr nachgereist. Sie ist mit ihren Gedanken woanders. Er merkt, dass sie sich von ihm entfernt. Er macht ihr noch ein Geschenk und dann gehen sie auseinander. Beide wissen, dass es vorbei ist.
Dann sind die Ferien zuende. Sie ist wieder in der Stadt, in der sie mit ihrer Familie lebt. Ihre Eltern, die sich ständig streiten, haben eine Schneiderei. Auch ihr älterer Bruder arbeitet dort, obwohl er eigentlich gerne Schriftsteller sein möchte. Sie geht viel aus und bald hat sie einen neuen Freund. Er muß zum Militär. Sie reden darüber, ob sie einander treu sein werden.
Eines Abends kommt sie erst spät nach Hause. Ihr Vater ist noch wach. Sie haben ein sehr langes Gespräch. Es ist das erste Mal, dass sie so miteinander reden. Er sagt ihr, dass er die Familie verlassen wird. Er hat eine Geliebte.
Dann lernt sie jemanden kennen. Er ist noch sehr jung, nicht viel älter als sie. Sie denkt, dass er anders ist als die anderen. Bald darauf heiraten sie.
Ein Jahr später gibt ihr Bruder ein Fest. Sie haben die Schneiderei verkauft. Ihr Bruder lebt jetzt als Schriftsteller, aber niemand nimmt ihn ernst. Sie flirtet auf dem Fest mit einem Freund ihres Mannes. Sie kennt ihn schon lange. Ihren Mann beachtet sie kaum noch.
Nach ein paar Monaten trennt sie sich von ihm. Sie packt ihre Sachen. Ihr Vater begleitet sie zum Flughafen. Im Bus haben sie noch einmal ein langes Gespräch, so wie damals, als sie zu spät nach Hause gekommen war. Ihr Vater sagt ihr, dass sie nicht fähig sei, jemanden zu lieben. Dann verabschieden sie sich. Sie fliegt mit dem Freund ihres Mannes nach Amerika. So endet der Film.
– Gut. Dann sind wir für heute fertig.
– Das war’s?
– Ja. Wir geben dir Bescheid, sobald wir uns entschieden haben.
– Wie lange wird das dauern?
– Nicht lange. Wir melden uns bei dir.

Sonntag, 17.03.2002

Interview mit James Benning

Zu der California-Trilogy von James Benning war hier, während der Berlinale 2002 und danach, mehrfach etwas zu lesen. Zwei Links dazu nochmal: Stefan Pethke schreibt in der Jungle-World über El Valley Centro und Diedrich Diederichsen in der taz über die komplette Trilogie. Am Mittwoch, 20.3.2002, ist EL VALLEY CENTRO, der letzte Teil der Trilogie, im WDR zu sehen, um 23 Uhr.
Anna Faroqhi hatte während der Berlinale Gelegenheit zu einem längerem Interview mit James Benning. Dieses Interview, über Produktionsbedingungen, Kompositionsverfahren, „the politics of water“ und „elegant solutions“, ist jetzt ungekürzt auf unser Langtextseite bei antville, hier, zu finden.

Dienstag, 12.03.2002

Marseille 1. -10. März, Notizen hier


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