Montag, 14.04.2003

Harun Farocki, Kriegstagebuch (4)

6.4.03 (Toronto)
Ein kanadischer Nachrichtenkanal in ähnlichem Design wie CNN, auf dem Hauptbild spricht ein Arzt über SARS, auf dem Nebenbild erscheinen Autobahnbilder aus der Region, die eine Bildunterschrift jeweils lokalisiert. Es hat einen heftigen Schneefall gegeben und diese Bilder sollen die Verkehrsverhältnisse dokumentieren. Für einen Augenblick glaube ich, sie zeigten den Vormarsch der Seuche und zugleich den Vormarsch der Koalition auf Toronto.
Seit Beginn der Invasion haben wir aus dem Irak Bilder von ähnlicher Banalität gesehen, denen kaum mehr abzulesen war als Wetter und Verkehrsdichte. Das Wissen, das seien Kriegsbilder, hat uns in Spannung gehalten. Die Kommentar-Stimmen haben zu der Spannung beigetragen, indem sie von „unerwarteten Schwierigkeiten“ und einem „Widerstand, stärker als erwartet“ sprachen. Das ging mir ein, wohl im Kinderglauben, das Unrecht des Angriffs werde sich rächen, gleich oder irgendwann.

7.4.03
Im „Toronto Star” das Foto eines US-Panzers, in starker Untersicht gegen einen hellblauen Himmel, von dunkelgrauen Wolken oder Rauchschwaden durchzogen. Auf der Luke des Panzers am Bildrand rechts steht ein irakischer Soldat und hält Ausschau, am Bildrand links balanciert ein zweiter sehr sicher auf dem Kanonenrohr von etwa zwanzig Zentimern Durchmesser, seine Jacke weht auf und die rechte Hand hält eine Waffe gesenkt, die linke ist zum Victory-Zeichen erhoben. Dabei schaut er aus dem Bild nach links oben. Die Bildunterschrift sagt, der M-1 Abrams-Panzer sei bei einem Kampf an der Stadtgrenze von Bagdad von einer Granate getroffen und aufgegeben worden. Das Bild hält keine Pose fest, sondern friert einen Moment aus einer unverständlichen, mit Selbstgewissheit ausgeführten Handlung ein. Die Untersicht und der dramatische Himmel erinnern an ein Schlachtengemälde. „A coalition plane later swooped in and destroyed the tanks remains.“ Das ist symbolische Politik: ein kaputter Panzer wird zerstört, damit man mit ihm kein „Schindluder“ treiben kann, damit die Panzer-Leiche nicht weiter geschändet werden kann.

8.4.03
Anders als in den USA ist hier in jeder Bar der Krieg auf dem Bildschirm anwesend. Im Frühstückscafé ein kanadischer Kanal auf dem links Strassenbilder aus Bagdad und rechts Highways aus der Region Toronto zu sehen sind.

9.4.03
Im Traum: Wir fuhren mit einem Bus zu etwas wie einem politischen Seminar. Jemandem war es gelungen, den alten Hitler aufzutreiben. Er sass mit uns im Bus und sah sich ein bißchen ähnlich, aber auch teilweise überhaupt nicht. Ich versuchte sein Alter auszurechnen und witzelte mit ihm rum :“Haben Sie Dich angerufen oder Eva Braun?“. Ich duzte ihn absichtlich. Wir kamen überein, dass er nicht echt sein kann. Mein Freund Christian Petzold sagte: „Würden Sie diesem Mann ein gebrauchtes KZ abkaufen?“
Das ist natürlich ein Tages-Rest. Am Vorabend hatten wir das Video mit Bin Laden oder seinem Wiedergänger gesehen. Ausserdem hatte Hitler am Ende Sorge, man könne mit seiner Leiche „Schindluder” treiben.

11.4.03
Erinnerung an einen Satz von Jan Stage: Früher wurden Kriege geführt, um sich etwas unter den Nagel zu reissen, heute, um einen Antrag auf Kredit bei der Weltbank vorzubereiten. Umfrage auf CNN: Ist der Krieg erst dann gewonnen, wenn wir S.H. haben (tot oder lebendig) oder wenn er aus dem Amt ist. 51% zu 49%.
Dieses Tagebuch endet in der nächsten Woche.

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