Montag, 21.04.2003

Harun Farocki, Kriegstagebuch (5)

Nachträge:

Embedded Journalists
Ihnen reichte nie aus, was sie aus der Perspektive ihres Truppenteils auffassen konnten. Sie stellten sich vor einem Fahrzeug oder Gebäude auf und erzählten der Kamera, was sie aus zweiter Quelle erfahren hatten. Nur wenn sie wie Korrespondenten agierten, wussten sie was zu sagen. Von ihrer teilnehmenden Beobachtung, von ihrem Soldaten-Spielen blieb nichts übrig.

Kriegskosten
In der Nationalgalerie von Toronto sah ich zwei Plakate aus dem Zweiten Weltkrieg, auf dem ersten ist ein sauber leergegessener Teller zu sehen mit ein paar abgenagten Knochen. Der Text mahnt, keine Resourcen zu verschwenden. Das zweite Plakat zeigt ein Bomberflugzeug und eine fallende Bombe und fordert auf, die Knochen jeder Mahlzeit zu sammeln und abzugeben, man könne daraus Leim zum Flugzeugbau und Detonationsmittel für Bomben herstellen. Damals musste man sich Kriege noch vom Mund absparen!

Rhetorik des Unzureichenden
Sieben US-Soldaten werden aus der Kriegsgefangenschaft entlassen/befreit. Eine Video-Kamera hat vom Ereignis etwas aufgenommen, zwei Krankenwagen, die nebeneinander herfahren und die Soldaten selbst, die einen Platz überqueren. Die Bilder wurden per Videophone übermittelt. Jetzt werden sie in Zeitlupe wiederholt, zu einem Kommentar, der das Ereignis wiedergibt. Genau das sieht man ständig auf „Unabhängigen Film-Festivals”, ein Bild das nicht viel sagt, technisch herabgesetzt zum Ziel der Überhöhung, oft wiederholt um überdeutlich zu machen, dass die grossen Momente keine Bildentsprechung finden. Bei diesem CNN-Beitrag macht diese rhetorische Figur einigen Effekt, denn die Produzenten handeln aus reiner Bildernot und wollen das nicht beschönigen.

Augenbinde
Woher kam der Kran, mit dem das Saddam-Standbild in Bagdad umgerissen wurde? Dass jemand zuvor der Figur eine US-Fahne um das Gesicht gewickelt hatte, könnte ein schiefes Bild ergeben. Oder, die Fahne soll eine Augen-Binde bedeuten, wie man sie dem Verurteilten vor der Hinrichtung umlegt.

Erfolg
Am 7.4.03 gab die CIA Hinweis, Saddam und seine Söhne Uday und Qusay hielten sich in einem bestimmten Gebäude auf, ein B-1B Bomber flog hin und warf eine 900-Kilogramm-Bombe drauf, die einen 18 Meter grossen Krater riss. Rumsfeld sprach von einem ausserordentlichen Erfolg. Ob die Familie Saddam getroffen wurde, wurde nicht weiter verfolgt. Mindestens 14 Zivilisten waren tot und das Sprüchlein vom Bedauern
darüber wurde vergessen. Da die Präzision der Waffen in diesem Krieg ständig gerühmt wurde, kann der Erfolg nicht darin liegen, dass die Bombe ihr Ziel nicht verfehlte. Läge er darin dass es gelang, eine Aufklärung des Geheimdienstes schnell zum Militär zu kommunizieren, würde Rumsfeld das kaum öffentlich machen wollen.
Pentagon-Reporter durften mit zwei Mitgliedern der Bomber-Besatzung ein Telefon-Interview machen, das auch sogleich auf CNN ausgestrahlt wurden. Captain Wachter und Lieutenant Swan erzählten von Adrenalin-Stössen und Stolz. Üblicherweise wird nicht öffentlich gemacht, wer wohin eine Bombe wirft. Bei einer standrechtlichen Erschiessung gibt es sogar den Brauch, ein Gewehr mit einer hölzernen Kugel zu laden, sodass jeder im Kommando denken kann, er habe den Tod nicht verursacht.

Uniform-Mode
Polizei-Uniformen haben keine Anmutung, im Kino sind die Polizisten ohne Uniform die Helden und die in Uniform die Witzfiguren, wie die Keystone-Cops zu Stummfilm-Zeiten, die bei Verfolgungen über einander stolperten. Wenn das Projekt einer Welt-Polizei sich durchsetzt, müsste auch Madonna wieder die Uniform ablegen und sich zivilisieren.
Vielleicht kriegen wir im Kino bald eine gut choreografierte, herumpurzelnde Weltpolizei zu sehen.

Zeit-Politik
1991 begleitete das nichtprivate Fernsehen in Deutschland den Krieg gegen den Irak exzessiv und als er vorbei war, behielt es das „Frühstücksfernsehen“ bei. Kein Feind kann für die Ausdehnung der Sendezeiten und Vermehrung der Kanäle verantwortlich gemacht werden, das müssen wir uns schon selbst zuschreiben. Nach der Theorie des Partisanen versucht der Schwache, den Starken zu schwächen, indem er dessen Aufmerksamkeit bindet. In der selbstauferlegten Zertreuung beim Dauerfrühstück ist ein Gegner entworfen, dessen Bild nicht zu fassen ist.

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