Mittwoch, 31.12.2003

Trockener Schnee

zu
„Sie haben Knut“, Stefan Krohmer,
D 2003, 107 Min.

(Weil der Film glücklicherweise noch immer läuft …)

Fast jedesmal renne ich nach zehn Minuten aus dem Kino. Ich guck mir beim Hineingehen schon an, ob Säulen im Weg, Kurven in der Treppe, Podeste eingezogen sind. Die Werbung ist nütze, nicht solange sie Bilder zeigt, weil sie zu schnell sind, aber Schriften, und die kommen immer vor, welche das Produkt benennen und eine CI abliefern, um sicher zu sein, daß der Vorführer wieder schlampt. Die Schärfe stimmt fast nie. Das muß ich monieren und mich manchmal dumm anmachen lassen dafür. Heute hat es mich nicht gestört, weil ich allein im Saal war. Auf der Anzeigetafel an der Kasse stand „freie Plätze 180“; nachdem ich die Karte gekauft hab, 179. Ich sah „Sie haben Knut“ von Stefan Krohmer.
Ein Grüpplein in einer Skigebietshütte; ein Pärchen rauft sich zusammen und auseinander. Zwei Burschen sind dabei, 10 und 14, letzterer mit operierter Hasenscharte. Beim Milchholen vergnügt er sich, indem er die Kühe im Stall mit einem Prügel schlägt. Er hört frühe Technomusik. Die Chose ist Anfang der Achziger plaziert; die Sonnenbrillen markieren das. Wie in „La vie de Jesus“ (Bruno Dumont, F, 1997) gibt es Szenen im Sessellift, drei mal. Der Motor für deren Bewegung sitzt woanders; es ist still, obwohl die Paare in der Brettergondel durch die Landschaft transportiert werden. Ich finde, daß man einen ganzen Film machen könnte in solchen Schwebegleitern.
Einer von der Gruppe, Knut, kommt nicht, ist verhaftet worden. Es klingt an, daß es politische Aktivisten sind, ein paar jedenfalls. Eine Frau sagt mal verschämt zu einem, daß diese Zeiten vorbei seien, die anderen das aber nicht merken würden. Der Film macht sich darüber nicht lustig. Manchmal kommen die Sätze ungewollt daher wie Zitate; dieses Reden gefällt mir, weil die Sprache fast visuell betrachtbarer Bestandteil der sozialen Verhältnisse ist. Manchmal ist nicht zu verstehen, was gesagt wird, weil es nur für die Ohren des anderen/der anderen bestimmt ist, nicht fürs Mikro. Ein Pädagoge mit Bart findet den richtigen Tonfall für die Kinder, schleppt einem die Ski, als der nicht mehr mag und vom Vater gestutzt wird deshalb, und sie lassen sich darauf ein, mit dem Bärtigen ein Iglu zu bauen. Den Burschen ist nicht wohl, daß ihre jeweils alleinerziehenden Elternteile ein Verhältnis haben (von dem man, außer durch die Kinder, kaum mitbekommt), weil sie fürchten, daß wieder Idioten entstehen. Im Iglu machen zwei Liebe, die Frau aus der Paarschaft und der Gitarrenmann aus dem Grüppchen. Das Iglu bricht nicht über ihnen zusammen. Der dramatischste Moment ist es, als der Pädagoge sich seinen Knöchel verstaucht, weil er auf dem Eis ausrutscht, das der jüngere Bub anlegte. Der speckige Mann aus der zerbröselnden Beziehung liest „Deutschland umsonst“ von Michael Holzach (das zum Epochenausklang dann im Zweitausendeins verramscht wurde).
Als Knut auftaucht und tags drauf vom Semmelholen kommt, schmeißt einer einen Schneeball auf ihn, man sieht, wie er alle Semmeln wieder aufklaubt, eine liegenläßt, förmlich die geweichte Kruste schmeckend.
Wenn zu dem Geplänkel VOR der Kamera eben SIE ganz streng gewesen wäre, ganz nüchtern und unverrückbar, hätte ich den Film großartig finden können. Manchmal biedert sie sich an, wie sie verfolgt und mitschleicht, erscheint mir.
Das Charmelose des Films zeichnet ihn aus als einen deutschen; das finde ich befreiend, weil er nichts anderes sein will und darum seinen Platz einnehmen soll.

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