erschrecken darüber, dass der große kinosaal, noch leer und unbesetzt vor beginn der projektion, wie ein massenfriedhof wirkte… die sitze aufgereiht wie grabsteine. und wie hoffnungslos die bilder des films dagegen anrannten.
Mai 2003
Samstag, 31.05.2003
Mittwoch, 28.05.2003
Fernseh-Hinweis
Bisschen versteckt, in Programmzeitschriften missverständlich als „Kino – unsere Zeit“ angekündigt: Chris Marker über Andrej Tarkowskij, übermorgen abend.
Freitag, 30.5., 23.15 Uhr, arte: „Ein Tag im Leben des Andrej Arsenevitch“, Fr. 1996, Regie: Chris Marker
Sonntag, 25.05.2003
Film-Hinweis
Dienstag, 27.5.2003
19:00 Uhr
im Arsenal-Kino, Berlin
in der Reihe Text und Film zeigt Angela Schanelec
LES AVENTURIERS
Frankreich/Italien 1966
Regie: Robert Enrico
mit Alain Delon, Lino Ventura
verbunden mit
Die Liebenden
von Bertolt Brecht
– Weil ich den Film nicht kenne, habe ich Angela Schanelec angerufen und sie danach gefragt:
Ich habe gelesen, dass LES AVENTURIERS ein Film ist, der in drei Teilen organisiert ist. Der erste Teil ist in Paris. Alain Delon ist Pilot und will unbedingt durch den Arc de Triomphe fliegen. Dann wird ihm aber der Pilotenschein abgenommen. Irgendwie gerät er dann an eine Frau, die Skulpturen aus Schrott macht, und an Lino Ventura. Die drei beschließen, nach Afrika zu gehen und da einen Goldschatz zu heben.
Es sind eine Frau und zwei Männer. Sie lieben sich, aber genaues erfährt man nicht. Sie fahren auf einem Schiff nach Afrika und suchen da einen Schatz. Woher sie davon wissen, weiß ich auch nicht mehr. Etwas geht dann schief. Auf dem Schiff werden sie nämlich überwältigt, ich weiß nicht mehr von was für Leuten. Und die Frau stirbt, sie wird erschossen. Und die beiden Männer finden dann den Schatz – aber wie, und warum? Diese Frau, die da bei ihnen war, die hatte keine Eltern und ist bei irgendwelchen Leuten aufgewachsen. Und Lino Ventura und Alain Delon suchen dann diese Leute, die auf einer Insel leben mit einem Fort, um ihnen einen Anteil vom Schatz zu geben. Aber diese Leute sind ganz blöd, und darum geben sie es ihnen doch nicht. Aber dann entdecken sie einen kleinen Jungen, der gar nicht blöd ist sondern sehr nett. Und es stellt sich heraus, dass die blöden Leute sich um diesen Jungen kümmern und dann bekommt dieser Junge das Geld, dass eigentlich dieser Frau zugestanden hätte, die inzwischen aber tot auf dem Grund des Meeres liegt. Es ist ein richtiger Abenteuerfilm. Eine abenteuerliche Geschichte.
Ich fand das irritierend, als ich die Ankündigung las. Enrico, Delon, Ventura, Brecht. Das Brechtgedicht, mit den Kranichen und den Wolken. Ich hätte erwartet, dass es ein Bressonfilm ist, den du zeigen würdest. Stattdessen ein Abenteuerfilm. Von Robert Enrico hatte ich vorher auch noch nie gehört. Im Netz fand ich nur ein paar Hinweise. Ein populärer Regisseur.
Der Film ist auch populär. Ich hab trotzdem in Erinnerung, daß er auf wundersame Weise ganz einfach und unverlogen ist. Ich wollte keinen Film nehmen, den ich in- und auswendig kenne. Ich dachte bei dieser Veranstaltung, ich möchte auch selber was davon haben und einen Film sehen, den ich schon lange mal gerne im Kino sehen würde. Ich habe den Film vor etlichen Jahren im Fernsehen gesehen, das ist wirklich ganz lange her. Ich weiß so gerade mal, was der bei mir hinterlassen hat. Bei der Anfrage vom Arsenal, nach einem Text zusammen mit einem Film, fiel mir beides zusammen ein: der Film und das Gedicht. Später dachte ich, weil es in beidem um die Endlichkeit der Liebe geht. Und weil beide leicht sind. Und weil man Lust hat, Liebende mit Abenteurern gleichzusetzen.
Montag, 19.05.2003
Lemke
Für die Lemke Retrospektive, die jetzt in Hamburg und Berlin vorwiegend als Videoprojektion läuft, waren keine Filmkopien aufzutreiben. Das kommt auch daher, dass Klaus Lemke sich nicht um Bestandssicherung schert. In mancherlei Hinsicht ist sein einziges Interesse das, was davor passiert: Vor Drehbeginn, vor der Kamera, vor allem Endgültigen. Das ist auch die einfachste Erklärung, warum der vergangene Ruhm und zwanzig Jahre ohne Erfolg, den Mann so wenig tangieren. Beim spannenden Match zwischen der Nummer 1 unter den Nostalgikern (Werner Enke) und der Nummer 1 unter den Anti-Nostalgikern (Klaus Lemke), beim Podiumsgespräch anläßlich der 60er Jahre Retro auf der Berlinale 2002, erlebte man komplett unvereinbare alte Freunde, die sich aber einig waren, dass Stereo impotent macht – und dass die besten Filme entstehen, wenn man sich total verschuldet hat. Das wenige was Lemke immer gerne von „damals“ erzählt: Sie hätten das amerikanische Kino ganz naiv für ein getreues Abbild des Lebens gehalten, wie es dort stattfindet und hier stattfinden müsste: „Dokumentationen darüber, wie’s sein könnte.“ Dazu passend demonstrierte Werner Enke mit welcher Geste Dean Martin in SOME CAME RUNNING dem Sinatra, der an der Schreibmaschine verzweifelt, so nebenbei die Schnapsflasche hinschiebt. Solche Gesten, meinte er, die seien es gewesen. Aber indem Enke das so nachmachte, war da auch mit drin, dass Lemke eben noch an der Schreibmaschine sitzt, das heißt Filme macht, und Enke nicht mehr. Vor drei Jahren hat Klaus Lemke einen Film mit dem Titel RUNNING OUT OF COOL gemacht, den bislang nur ein paar Dutzend Leute gesehen haben. Ein konzentriertes Alterswerk, getarnt als atemloser Debütfilm, dessen Schöpfer im Vorspann ohne Namensnennung sein Gesicht hinter einer Piratenflagge versteckt. Der Raubzug in den eigenen Gewässern, den Straßen Schwabings, birgt als funkelnden Schatz ein Ensemble begnadeter Darsteller. Lemke erzählt, der fertige Film hätte einem Sender ganz gut gefallen, man hätte ihm vorgeschlagen ein TV-Remake zu machen mit richtigen Schauspielern, die langsam und deutlich sprechen. Wer weiß, meint er, wie viele Filme in Deutschland vom Fernsehen mit richtigen Schauspielern „noch mal neu“ gemacht werden; und die eigentlichen Filme werden heimlich vernichtet. Eine tolle Paranoia-Fantasie, selber Stoff für einen Film. Die tieferen Gründe für Lemkes feste Position im filmpolitischen Abseits liegen woanders. In RUNNING OUT OF COOL ist es für den Jungen aus Hamburg (Maxi Treu) ein Kinderspiel bei ARRI eine 35mm Kamera zu klauen. Aber die Kellnerin (Marlene Morreis) und die Stripperin (Claudia Grimm) sind nicht leicht rumzukriegen zum Filmemachen. Es sind Frauen, die für Schwärmereien ungern die starke Position aufs Spiel setzen, die sie beim Sex innehaben. Kein anderer Spielfilm über das Kino hat je so viel Enthusiasmus hergezeigt, ohne das geringste Pathos aufkommen lassen. Wie bei Hawks kämpft jeder mit jedem, mit billigen Tricks und geklauten Sprüchen, bis klar ist, worum es geht: um den heiligen Moment, wenn sich zwei von einander hinreißen lassen. Dass anwesende Dritte und Vierte dabei nicht stören, gar förderlich sind, verträgt sich gut mit dem Wesen der filmischen Arbeit. In NEVER GO TO GOA, einem wilden Urlaubsfilmessay über die Liebe am Ende der Ferien, tritt sein treuer Kameramann Rüdiger Meichsner zu Lemke und zur jungen Produktionsleiterin Annika Herr vor die Kamera. Mitten ins Geschehen. Wie einst bei Hawks so geht es bei Lemke um gegenseitige Überforderung, Reizung, Sex, Konkurrenz, Kumpanei, aber diese Lebenslust ist fordernd, verlangt eine irre Selbstbehauptung. Straub war so wichtig, sagt Lemke, wegen der Art wie Straub redet. Zum eigenen Schutz ist Lemke pseudo-anti-intellektuell. Aber seine Filme sind ohne Deckung. Als roter Faden gehen Geschichten von Jungs und ihren älteren Vorbildern durch das Oeuvre. Einen toll finden, selber toll sein wollen, darum geht’s. Ich behaupte, dass von daher auch die Geringschätzung der Filmgeschichtsschreibung rührt. Denn vom Überleben durch bloße Selbstbehauptung – Lemke nennt es attitude – davon zu handeln, ist irgendwie nicht wirklich respektabel. In Lemkes Filmen sieht man, was sonst auf der Leinwand nie zu sehen ist: Leute die rot werden. Klaus Lemke sei ja eigentlich gar kein richtiger Filmregisseur, sagte mir ein Filmmuseumsdirektor. Ein richtiger Rektor. Formale Gründe wo es um Inhalte geht. Die Angreifbarkeit des Selbstbewußtseins ist eben etwas, was man nicht zu ernst nehmen sollte, und gleichzeitig was, worüber man keine Witze macht. Von daher Stoff für Komödien. Und doch sind Lemkes Komödien im Grunde schwer melancholisch. Dokumentationen darüber, wie’s sein könnte. Aufrichtiges, weil unreines Kino, zu 40 Prozent reine Poesie.
TV-Tipp: Do, 22.Mai – ARD 00:50 – Liebe, so schön wie Liebe (1971) –
Regie, Buch: Klaus Lemke; mit Marquard Bohm, Sylvia Winter
Internet-Tipp: www.mach-dich-grade.de
Rainer Knepperges
Freitag, 16.05.2003
Langtext-Hinweis
Auf unserer Langtextseite @ antville:
Anderes Sehen
6 filmische Momente bei den 49. Kurzfilmtagen von Oberhausen.
Von Michael Girke
Sonntag, 11.05.2003
Fernseh-Hinweis
Montagnacht/Dienstagmorgen, 13.5., in „KurzSchluss“, arte 01.05 – 01.50
Peter Tscherkassky: DREAM WORK, Österreich 2001, 11 Min.
„Der Film ist – nach ‚L’Arrivée‘ (1998) und ‚Outer Space‘ (1999) – der dritte Teil meiner CinemaScope-Trilogie. Verbindendes formales Element dieser Trilogie bildet eine Technik der Kontaktkopierung, bei welcher gefundenes Filmmaterial in der Dunkelkammer auf Rohfilm umkopiert wird. Auf diese Weise verwirkliche ich in einer wörtlichen Weise die zentralen Mechanismen des Traumes zur Bedeutungserzeugung, der Traumarbeit, wie Sigmund Freud sie beschrieben hat.“ (Tscherkassky)
In der gleichen Sendung auch ein Porträt Peter Tscherkasskys.
Freitag, 09.05.2003
Fernseh-Hinweis
Heute, 9.5.2003, Arte
20:40 (VPS: 20:45)
WEIL SIE EIN MÄDCHEN IST ( Une Grande Fille Comme Toi )
Frankreich 2001
Regie: Christophe Blanc
(Stefan Pethke: „… großartige 16jährige Hauptdarstellerin, gainsbourgeske Nebenfigur eines Juweliers… Verismus!“)
Donnerstag, 08.05.2003
Film-Hinweis:
Ab morgen im Filmkunsthaus Babylon (Rosa-Luxemburg Strasse 30, 10178 Berlin): Auftakt zur Peter Nestler-Retrospektive:
Freitag, 19.00 Uhr: „Die Hasen fangen und braten den Jäger“ (1994), 7 min und „Die Verwandlung des guten Nachbarn“ (2002), 85 min
Samstag, 19.00 Uhr: „Ein Arbeiterclub in Sheffield“ (1965), 40 min und „Ödenwaldstetten“ (1964), 36 min
Beide Vorstellungen in Anwesenheit des Regisseurs, weitere Filme täglich bis 17.5.
Montag, 05.05.2003
Geständnisse
Etwa in der Mitte des Films geht ein leises, aber deutlich vernehmbares Raunen durch das West-Berliner Kino: Eben war eine Episode in der CIA-Parallelhandlung als „West-Berlin, Neunzehnhundertsoundsoviel“ eingeführt worden. Sam Rockwell – „Dangerous Mind“ – ist als Gameshow-Erfinder Chuck Barris wieder unterwegs in geheimer Mission. Wenig später robbt er durch eine Art unterirdischen Schützengraben rüber in den Osten. Dort liegt Schnee, er trifft seinen Verbindungsmann Rutger Hauer, in den tristen Straßen steht eine ganze Reihe von Wartburgs und Trabants. Vorher allerdings, noch in West-Berlin, gibt es einen
// Schnitt //
in einen Bierkeller: Stimmengewirr, gute Laune, eine dralle Bierzensi stemmt mehrere massähnliche Krüge durch das („urige“, würde man wohl sagen) Steingewölbe. Genau hier raunt das Publikum, als fühle es sich schlecht behandelt, weil das abrufbare Berlin-Bild des Zuschauers natürlich keine Maßkrüge oder Bierzensis vorsieht. Die Irritation, die aus dieser Regelverletzung folgt – unabhängig davon, ob dies „gewollt“ oder ein produktionstechnischer Unfall ist wie die Digitaluhr in Ben Hur – ist interessant. Klar, man fragt sich gezwungenermaßen, wie das zusammengeht, Berlin und Bierkeller, Trabbi und Hefeweizen, aber vor allem wird in der vermeintlichen Verletzung die Konvention sichtbar, von der sich – I confess – auch ich nicht frei machen kann. Es zeigt sich, wie sehr man selbst in Establishing Shots denkt und in Postkartenmotiven, die Orten wie „Berlin“, „Paris“, „London“ schnell zugeordnet werden können; wie jedes Bild zugleich eine Reihenbildung enthält, als Festlegung des Erwartbaren wirkt, Ausschlußmechanismen generiert.
Am Einfachsten wäre es, den „Fehler“ auf das undifferenzierte Deutschlandbild der amerikanischen Filmemacher zu schieben (auch wenn ich Clooney / Kaufman für cleverer halte und die Szene dementsprechend für kalkuliert). Vielleicht weist er aber auch auf Undifferenzierte im Blick des Zuschauers hin, der Erwartetes miteinander verrechnen möchte und auf der Suche nach gemeinsamen Nennern ist. Was spricht eigentlich dagegen, – auch in den 70er Jahren – in Berlin in eine bayerische Kneipe zu gehen oder in ein indisches Restaurant oder zu McDonalds? Noch dazu in einem Film, der scheinbare Unvereinbarkeiten zum Thema hat und in seiner gesamten Struktur zwischen den Genres springt. Gameshow und Geheimdienst, Herzblatt und Kopfschuß, Bayern in Berlin.
Samstag, 03.05.2003
Langtext-Hinweis
Neu auf new filmkritik für lange texte –
Johannes Beringer, Einige frühe Filme von Yasujiro Ozu
[In diesem Zusammenhang der Hinweis auf die ebenso lesenwerten Texte, die Ekkehard Knörer zur Ozu-Retrospektive im Februar/März in Jump-Cut publizierte: Die Filme von Yasujiro Ozu 1, 2 und ]