September 2004

Donnerstag, 30.09.2004

Collateral (Michael Mann) USA 2004

Dass das postphotographische Kinobild ästhetisch nach wie vor ein vergleichsweise unbekanntes, ungedachtes und entwicklungsoffenes Wesen ist, lässt sich zur Zeit in „Collateral“ beobachten, den ich auch beim zweiten Sehen als Farbfilm verblüffend finde. Nach dem Film kurz diskutiert, über das Potential der High-Definition, die spezifische Materialität digitaler Bilder mit der abgebrochenen Technicolor-Tradition kurzzuschließen, und zwar nicht nur in terms of Stiftung nicht-naturalistischer Farblichkeit. Vielleicht auch bezeichnend, dass wir während des Films beide dauernd an „Vendredi Soir“ denken mussten, dessen Nacht-Ästhetik der Autoscheinwerfer, Ampeln, Straßenlaternen und Barbeleuchtungen, Alexander Horwath einmal pointillistisch genannt hat (vgl. Frieda Grafe, Filmfarben, S.54), was mir damals sofort einleuchtete, weil ja dort der Impressionismus nochmals farbanalytisch zerlegt und dabei zugleich psychisch aufgeladen wurde.

Dienstag, 28.09.2004

kino hinweis

heute, dienstag 28.9.04, 21:00 ein ziemlich schöner, wenn du mich fragst: sehr schöner dokumentarfilm von jürgen böttcher im großen arsenal, berlin:

IN GEORGIEN (DDR 1986)

die defa-manier des dokumenarfilmmachens ist mir ja oft nicht geheuer, oft ist darin ein bizarrer umgang mit der last des abbildens eingeschrieben und die verhandlungsweise dieser last scheint mir, als nachgereichtes ethos des dokumentaristen, oft die lakonie, die ihre zugrundeliegende melancholie (wegen des wissens um den verlust der unmittelbarkeit) nur mit mühe verdeckt, um ihr später umso anschwellender raum zu geben als pathos. das sehe ich so bei den sachen von koepp, und ich kann das, dosiert, auch mögen. bei böttcher, von dem ich einiges, aber nicht alles kenne, gibt es das auch (und bei heise sowieso, da liegt der fall aber nochmal anders). der georgienfilm böttchers aber scheint mir so sehr infiziert zu sein von der überraschung des bilderverbindenkönnens, dass der film den melancholischen pessimismen der grundhaltungen des autors, die ihm stets eingeschrieben bleiben, ein schnippchen zu schlagen weiß – und der autor ist klug genug, das mit sich und dem film machen zu lassen. im georgischen, das er sieht, meint er diese grundhaltung nämlich wiederzufinden als geschichtliche (das heißt: er schreibt sie natürlich seinem objekt ein, aber wie er das macht….), erinnere ich mich jetzt, aber zugleich durch ganz andere, dem filmemacher eigentlich fremde äußerungs-/ausdrucksformen manifestiert. the same yet different.

es gab vor ein paar jahren mal eine kleine böttcher-renaissance, in leipzig auf dem dok-festival sah ich damals ein paar sachen, böttcher war teilweise auch anwesend. böttcher, der damals, stolz mit verbitterung mischend, von der nun nach und nach nachtröpfelnden anerkennung, den wiedergutmachungsversuchen sprach, von der einladung beim kanzler schröder, der eines seiner bilder, die er als „strawalde“ zeichnet, gekauft hatte und den kauf mit dem künstler feiern wollte. böttcher vor der leinwand, in schwarzer lederjacke, etwas selbstgerecht fand ich, die beleidigungen und verletzungen, berufsverbote und abbrüche in den knochen und der erinnerung. IN GEORGIEN sah ich dann später im babylon-mitte, berlin, noch unter diesem eindruck. mit stefan pethke im kleinen saal.

und wie wir danach rausgehen, sprechen wir beide davon, wie großartig, wie lässig dieser film doch ist, der mit den mitteln von 35mm und edelkameramann (plenert) ein travelling-journal vorführt. der trotz sprüngen und auslassungen – eine ganz tolle unverhältnismäßigkeit innehat: das pathos der großen apparate, die kenntnis der literatur, der kunst, der (sozial)geschichte, die selbstdefiniton des machers als auteur maudit und dessen lust, jedes sujet mit den mitteln der lakonie zu einem fatalen zu machen… und wie all dem oder trotzdem, so die behauptung der narration (auf die ich gerne reinfalle), dieses land erscheint. ich würde den gerne heute nochmal sehen, kann aber nicht.

Programmtext zur Mini-Retro der Filme von Jürgen Böttcher im Arsenal

Dienstag, 21.09.2004

Le velours rouge

Beim Betreten der Neubauwohnung fordert Camille für die noch kahlen Fenster roten Samt als Vorhangstoff ein. Wenn der Freund Pauls – offensichtlich Filmausstatter – aus Spanien zurück ist, wird dieser Wunsch in Erfüllung gehen, sichert daraufhin Paul zu. Dieses fin-de-siècle Verlangen, roten Samt um die Fenster zu drapieren, das zumindest altmodisch zu nennen gestattet sein muss, steht in seltsamem Kontrast zur Modernität der Frauenfigur, die Brigitte Bardot hier verkörpert – denkt man zunächst – den Vergleich zur noch kargen Möblierung zu Rate ziehend, die – auf der Höhe der Zeit – die klassische Moderne zitiert oder interpretieren will. Die Suche nach den Grundfarben auf der Möbelbespannung wird 1963 nicht lange gedauert haben. Tatsächlich liegt aber in dieser Vermischung der Dekors die Vorstellungswelt einer Barbiepuppe verborgen, einer Puppe, die nahezu simultan das Licht der Welt erblickte und die auf gebildeten Geschmack keinen Wert legt, da sie nicht weiß, was das ist: Amerika ist wunderbar und befreit von dieser Art Konvention. Camilles Perückentick unterstreicht diese Parallelität geradezu. Somit hat sie die Modernität der Möblierung bereits überrundet. Ein Teil des Welterfolges der Bardot wird darauf zurückzuführen sein, dass sie in der Lage war, gleichzeitig für altes Europa und Camp eine Projektionsfläche zu bieten; das lebende europäische Missing Link zur Campbell-Dose. Paul wird später in Wut bereuen, sich auf eine 28-jährige Tippse eingelassen zu haben – einer Antwort auf all die ungezählten Telefonistinnen, um die es zwanzig bis dreißig Jahre zuvor in amerikanischen Filmen zu buhlen galt. Bevor es dort allerdings zum Eheleben kam, wurde bereits abgeblendet. Was somit aufgeschlagen wird, würde bei Klaus Heinrich wahrscheinlich GESCHLECHTERSPANNUNG heißen und über Marilyn Monroe wurde angesichts von MISFITS einmal vom hohen Maß an intuitiver Emanzipation gesprochen. Wir unterbrechen! Ballett.

Ort der Handlung: Cinecittà. Eingeführt mit Hilfe der ersten Einstellung des Films, in der Francesca völlig pur das ist, was sie den ganzen Film hindurch bleiben wird: Assistentin. Im Hintergrund sehen wir dabei, wenn mich nicht alles täuscht, die Neubauwohnung von Camille und Paul in Hanglage. Und ebenda in Cinecittà, jedoch an anderem Orte: Der alte Regisseur, Grandseigneur seines Wesens, verlässt den Projektionsraum und drückt seinem bekittelten Scriptgirl das Drehbuch in die Hand. Kaum vernehmbar, auf Deutsch: HIER, KLEINES, NIMM MAL DEN QUATSCH, ICH KOMM DANN SPÄTER NACH. Die Szene ist eröffnet, und indem ihr Signora Francesca Vanini gleich zu Anfang ins Off entzogen wird, ist auch jede Form immanenter Sprachübersetzung aus dem Spiel genommen, so dass bis zu ihrer Rückkehr gar keiner groß zu reden braucht. Zunächst entwickelt sich alles traditionell-organisch. Paul steht außen an der Studiowand vor dem HATARI-Filmplakat, Camille, von links die Treppe hinunterkommend, will auf ihn zustürzen, wird aber durch Prokosh in seinem roten Alfa Romeo, der ihren Weg kreuzt, kurz daran gehindert. Camille und Paul umarmen einander, während Prokosh neben ihnen zum Halten kommt. Zuvor im Projektionsraum hatte er bekundet: OH, I LIKE GODS – I KNOW EXACTLY HOW THEY FEEL, was in der lakonischen Übersetzung Francescas noch eine Zuspitzung erfährt: MONSIEUR PROKOSH AIME LES DIEUS. Hier nun als Deus in der Maschine würdigt er Camille keines Blickes, als sie ihm von Paul vorgestellt wird. Ganz im Gegensatz zu Fritz Lang, der, da durch Alter dem Geschlechtermessen entzogen, allerlei wohlanständige Formen für dererlei Einführungen zur Verfügung hat. Jetzt aber: Pas de deux, allerdings für eine Solo-Tänzerin. Camille entzieht sich dem Gespräch von Paul und Fritz Lang und umkreist, nach außen völlig motivationslos, den Sportwagen von Prokosh. Wie, um zu erkunden, was es mit dessen Verächtlichkeit auf sich hat – dabei die Unschuld in Person. So etwas nennt man kokett, möchte man sagen, so dass die Entrüstung anlässlich des Angebotes von Prokosh, mit der sie das Eingreifen ihres Mannes erzwingen will, etwas aufgesetzt wirkt. Im flexiblen Handhaben der Ebenen ist sie modern, verlangt aber von ihrem Mann, altmodisch zu sein. YOUR POWERS OF PERSUASSION, YOURS QIZZICAL EYES/HAVE TIRED AND TIED ME, WITH INNOCENT GUILE heißt es bei den Pet Shop Boys (So sorry, I said) oder INTUITIV BERECHNEND, so der Vorwurf gegenüber einer Frau meiner Lebenswelt. Das läuft konträr zu einer Bewegung des Films, Paul als Beziehungseinfaltspinsel hinzustellen, dumpf gegen die Aufrichtigkeit seiner Frau. Mag Camille schlicht sein, ihren Empfindungen kann sie scheinbar blind vertrauen. TU VERRAS – JE TE CONNAIS, JE TE CONNAIS! – prophezeit sie Paul, dessen Opportunismus beschwörend, auch wenn sie diesmal ein Opfer ihrer eigenen Intuition geworden ist; – denn tatsächlich wird Paul das Filmscript letztlich nicht beenden, da Camille zuvor zu Tode kommt. Das ist die Sache mit der Frau, die in jeder Oper, in der es um Liebe geht, nach Kluge im fünften Akt geopfert wird.

AM ANFANG SCHUF GOTT HIMMEL UND ERDEN/UND DIE ERDE WAR WÜST UND LEER/UND ES WAR FINSTER AUFF DER TIEFFE/UND DER GEIST GOTTES SCHWEBET AUF DEM WASSER. (Erstes Buch Mose, I,I, – in der ersten Luther-Übersetzung) Was immer das heißen mag, zumindest macht es deutlich, dass neben Gott auf alle Fälle auch das Wasser schon vor der Erschaffung der Welt seinen Platz hatte. In LE MÉPRIS wird durchweg vom Land aufs Meer hinausgeschaut, nie wird man der Villa Malaparte von der Seeseite angesichtig. In einer zugegeben etwas vulgär-psychoanalytischen Sicht mag das heißen, dass das Weibliche beim Start mit Gott auf gleicher Höhe stand. Der Film trägt dem Rechnung, indem er mit gleicher Ruhe aufs Meer blickt wie auf den Körper der Frau; und beide stehen dabei für etwas Ewiges, etwas ewig Ruhendes. D.h., es kann sich nur um den Blick eines verliebten Mannes handeln. Farocki weist darauf hin, dass es sich bei LE MÉPRIS um das Landschaftserleben durch das Medium der Liebe handeln könnte, wobei sich dieser Landschaftsgenuss nur für den Kinozuschauer ergibt. Die Protagonisten scheinen derart beschäftigt und gefangen, dass sie fürs Naturschöne, dem Nichtidentischen schlechthin, gar kein Auge haben. Godard ist dabei, wie immer eigentlich, der Meister des Wandelns zwischen Fläche und Tiefe. Caspar-David-Friedrich-Einstellungen mit entfliehendem Horizont, wie am Anfang des langen Spaziergangs von Paul und Fritz Lang, der uns den Disput über die Treue oder Untreue der Frau des Odysseus bringt, stehen im Gegensatz zu flachen Einstellungen, oft von der schmollenden Camille. Unter Spannung gesetzt werden sie zumeist mit spätromantizistisch-schwelgender Musik, die in diesem Film durchweg Tiefe durch opulente Süße suggeriert. In ihrer überhöhten Schattenrissdramaturgie breitet sie sich dabei erstaunlicherweise ohne Anwandlung jeglicher Psychologisierung aus, was den Genuss ungetrübt lässt.

LE MÉPRIS ist neben allem anderen eine gültige Inkarnation mediterranen Sommers, des Sommers überhaupt. Wie immer an dieser Stelle muss Irina Hoppe zitiert werden, die eines Sommers anlässlich einer Godard-Retrospektive in einem Kudamm-Kino davon sprach, dass es im Godard-Film ebenso hell ist, wie anschließend beim Hinaustreten am Nachmittag auf die belebte Straße, bruchlos.

Als Signora Francesca Vanini in die Szene zum roten Alfa Romeo zurückkehrt, um die Einladung Prokoshs an Camille zu übersetzen, hat sich ein langer Grashalm in ihren Haaren verfangen. – Eine Erzählung über eines der Dinge zwischen Himmel und Erde, über die wir noch sehr wenig wissen.

Silenzio.

Sonntag, 19.09.2004

fernseh-hinweis

Heute Nacht, 20. September, 0:30 Uhr, NDR:

ZAMANI BARAYE MASTI ASHBA – Zeit der trunkenen Pferde
Regie: Bahman Gabadi, Iran 2000 (80′)

Winter. Eine Schmuggel- und Geldbeschaffungsgeschichte im kurdischen Berggebiet an der Grenze zwischen Irak und Iran. Pferde müssen in dieser Saukälte betrunken gemacht werden, damit sie weiterlaufen. Daher der Titel des Films. Mit den Pferden werden riesige Autoreifen in den Irak geschmuggelt Es spielen Laien, die Hauptfiguren sind Kinder, wie oft im iranischen Kino. Schmuggler. Deren Vater tritt (was man nicht sieht) bei dieser Arbeit auf eine Miene und stirbt. Die Mutter starb bei der Geburt des letzten Kindes. Am Anfang die Marktszene, in der fast nur Gesichter und Hände bei schneller und schwieriger Arbeit zu sehen sind. Es gibt ein behindertes Kind, kleinwüchsig, das braucht eine Operation. Doch sie kommen nicht an das Geld dafür. Mal arbeitet die Kamera mit statischen Tableaus, in die sehr intelligent Bewegungen der Handelnden eingebaut werden; mal eher von der Schulter, bewegt, dokumentarisch aufmerksam, in den Szenen, in denen man die Schmuggler die Berge hinaufsteigen sieht. Die Sicherheit, mit der zwischen diesen beiden zum Erkennungssignal geronnenen Kameraoptionen (Doku- und Kunstkamera) hin- und her gewechselt wird. Bemerkenswerte Auflösung der Szenen, in denen, über deren Kern hinaus, Blick-kommentare anderer Figuren eingefangen werden. Daher verschränkt sich ökonomisches (individuelles) und politisches (gemeinsames) Verlangen, nicht so weiterleben zu müssen. Das Wort „Kurde“ fällt kein einziges Mal.

Montag, 13.09.2004

More, More, More

Gestern: „Police“ im Zeughauskino; zur Einstimmung den kleinen Text von Serge Daney, der Pialats Eigensinn mit meteorologischer Begrifflichkeit beizukommen versucht. Da der Film sans sous-titre gezeigt wird, entscheide ich mich, den schwer verständlichen Milieu-Jargon erinnernd, doch noch um und sehe stattdessen „Maîtresse“ von Barbet Schroeder (Assistenz: Jean Francois Stevenin; Kamera: Nestor Almendros). Der Film beobachtet mit bemerkenswerter Gelassenheit Arbeitsalltag und Handwerk einer upper-class-Domina und behauptet nebenher beinahe interesselos eine Liebesgeschichte, die ich keine Sekunde glaube, aber trotzdem mag. Beim ersten nächtlichen Spaziergang erzählt Olivier, ein kleiner Dieb, Ariane, dass jetzt die Stunde angebrochen sei, in der in Paris die Pferde geschlachtet würden und dass er das wisse, weil er selbst in einem Schlachthof gearbeitet habe, bis zu jenem Moment, wo die Gewöhnung an die Handgriffe des Tötens diesem das Grauen zu nehmen beginnt. Da sei für ihn Schluss gewesen. Später wird Olivier den alten Arbeitsplatz aufsuchen, draußen ist es dann schon hell. Er wird zusehen; fast ein wenig naiv, aber dennoch: ein Zeuge sein. Er wird sehen, dass Mensch und Maschine perfekt harmonieren, wenn es gilt, das Tier in den Kreislauf seiner industriellen Verwertung einzuspeisen. Der Kopfschuss geht von der menschlichen Hand aus, der Kran bewerkstelligt eine kleine Transportstrecke, anschließend die Hängung. Der Film zeigt diese letale Kooperation als seltsam flüssige Bewegung, die unter den qualvollen Zuckungen des Ausblutens ihren Stillstand findet. Anschließend kauft sich Olivier im angeschlossenen Fleischladen zwei rosig-saftige Steaks, bereitet sie zu, isst sie. Nur mit Senf, zum Frühstück. Währenddessen erzählt er Ariane, dass er sich ihren Zuhälter vorgeknöpft habe. Die Nacht ist jetzt endgültig vorbei, alle Schuld ans Licht gebracht. Ich lese noch einmal Daney über „A Nos Amours“: „Eine einfache Geschichte, die ihre Einfachheit nicht zur Schau stellt. Komplizierte Charaktere, die sich in ihrer Haut nicht wohl fühlen, aneinandergefesselt und doch einsam sind. Unmögliche Verbindungen, Flucht nach vorn, Schwerkraft.“ Auch „Maîtresse“ endet mit gegenläufigen Bewegungen; mit einer Autofahrt, akrobatischem Autosex, einem Autounfall und einem beschwingten Gelächter, das in einem Wald verschwindet, der herrlich grün leuchtet. Vielleicht gibt es mehrere Arten, die Schwerkraft zu überleben, im Auge des Zyklons zu sein und zu sehen.

Mâitresse (Barbet Schroeder) Frankreich 1973; mit Gérard Depardieu, Bulle Ogier, u.a.

Freitag, 10.09.2004

(hundert worte) santo domingo blues

Außer der Form des Film-Musical, das Musik gleichrangig zu Bewegung, Dialog, Plot, Licht, Figur und Raum inszeniert, hat Film mir noch keine vollkommen überzeugende Form angeboten, Musik zu zeigen. Man muss aber versuchen, die Form „Musikdokumentation“ anders zu beschreiben, es geht da ja um anderes als „Zeigen“ – um Berichten, Dokumentieren, Ordnen, Typisieren, Schreiben. Nach 70 Minuten, kenne ich „Bachata“ und dessen größten Star Luis Vargas, habe um die 40 Titel gehört, ein paar schöne Textzeilen darunter („Mama, Mama, you gave birth to a macho“) und ziemlich viele Leute gesehen, Interpreten und Zuhörer, die der Film zu Protagonisten gemacht hat.

santo domingo blues
regie: alex wolfe
usa 2003

Freitag, 03.09.2004

White of the Eye (Donald Cammell) USA 1986

Cammell, die zweite; erschließt ein halbes Werk, das schmal ist, leider. Lange Zeit verwirrt mich der mutwillige Stil-clash – Dario Argentos dekorative Misogynie kollidiert mit Barbara Lodens ghost-town-Realismus – und ein serial-killer-Plot, dessen Pointe mal wieder die verweigerte Pointe ist. Da schnallt sich David Keith einen Pierrot-Sprengstoffgürtel um und die kleine Tochter, ohnehin die kompetenteste Sprecherposition des Films, behält den Überblick: „Daddy is wearing a bunch of hot dogs“. Auch in anderen spielerischen Formen geht es um amerikanische Mythologie und deren Umschriften, was spaßig ist, aber nicht mehr so recht funktioniert, als daraus postkolonialistisch informierter Mehrwert destilliert werden soll. Die Schizophrenie des Killers als psychodynamische Wiederkehr eines durch hegemonial-popkulturelle Erzählungen – „I believe in miracles / Where you from / You sexy thing“ – verdrängten Genozids. Fucking Psycho, natürlich mit einem Faible für ausgestopfte Tiere. In Peter Weirs „The Last Wave“ ein ähnliches Problem gehabt, mit dem Symbolhaushalt des „Ureinwohners“, der immer aus der Natur heraus erzählt wird, als ganz Anderer, ohne Aussicht auf politischen Subjektstatus. Im Finale allerdings findet und inszeniert Cammell plötzlich einen kinematografischen Raum, in Tucson/Arizona, der so viel klüger ist, als die ausagierte Sozialpathologie: Fort Alamo als steinerne Ruine der ersten Industrialisierungs-Phase; Fels geworden, Geschichte gespeichert, Natur geblieben. Ich frage mich, warum ich erst so spät begreife, dass Friedkins „The Hunted“ ein Echo sein muss.


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