Dienstag, 15.02.2005

Niu Pi (Jiayin, 2005): Wer 110 durch 23 teilt, die Dauer des Films durch die Anzahl seiner Takes, kommt auf einen Wert von 4,7826. Als Durchschnittslänge jeder Einstellung wäre das weniger extrem, wenn sich die Kamera bewegte oder der Ausschnitt etwas weiter kadriert wäre. Weil das Bild so verwaschen und matt ist, dass Gesichter schwer zu erkennen sind, sind wir auf ein mehrfaches Außen verwiesen: Den Ton, die Dialoge. Vater, Mutter, Kind, gepielt von der (und als die) Familie der 23jährigen Filmemacherin. Handarbeit an Ledertaschen, gemeinsames Essen, Existenzangst. Das Wort „Discount“ spielt eine wichtige Rolle. Könnte man mit „Reduktion“ übersetzen; verblüffende Radikalisierung des Homemovies. ++++ Die Vogelpredigt oder Das Schreien der Mönche (Klopfenstein, 2005): Im über Gebühr langen Katalogtext fallen früh und gleich hintereinander die Worte „Schalk“, „Jux“ und „Ulk“, allesamt Begriffe, die bei mir für Ingrid Steeger, Klimbim und artverwandten, altherrenhumorigen Ulknudelsalat reserviert sind. Klopfenstein selbst bezeichnet den Film (im Jux allerdings) als „vierten Teil der Berner Männer-Trilogie“ und wurschtelt sich ärgerlich defensiv durch die Geschichte von zwei abgehalfterten Schauspielern, die den Regisseur „Klopfi“ in Italien besuchen, um ihn von einem tollen Wüstenprojekt zu überzeugen. Sowas als „gute Unterhaltung“ zu rechtfertigen, verdirbt die Preise. Auch Ursula Andress als Madonna holt keine Kastanien aus dem Feuer, wenn der ganze verdammte Laden in Flammen steht. ++++ Rois et Reine (Desplechin, 2004): In Kafkas „Urteil“ steigt der schwerkranke Vater plötzlich aufs Bett, hält seinem Sohn mit donnernder Stimme die Falschheiten der letzten Jahre vor und verurteilt ihn zum Tod durch Selbstmord. Louis Jenssens, dessen Morphiumdosis seine Tochter Nora erhöht, um das Krebsleiden abzukürzen, ist weniger direkt. Im Manuskript liest Nora nach dem Tod, wie er alle Taten der uns als erfolgreiche Mittdreissigerin vorgestellten Frau auf Egoismus, Härte und Gefühlskälte zurückführt. Desplechin lässt das Gift, das unter und über der Oberfläche die Beziehungen seiner Figuren prägt, langsam aber nachhaltig einwirken. „I had a single guideline: be brutal.“ Glücklich verwundet aus dem Kino getaumelt. ++++

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