Montag, 14.02.2005

L’Intrus (Denis, 2004): Michel Subor könnte ich problemlos drei Stunden lang zukucken; jedenfalls, wenn Agnès Godard ihn filmt. Der Film ist zwei Verfilmungen, die eines Texts von Jean-Luc Nancy und eines von Robert L. Stevenson. Nancys Buch ist bei Merve als „Das fremde Herz“ erschienen, das bekannteste von Stevenson heißt bekanntlich „Die Schatzinsel“. Für Claire Denis muss es wie die Entdeckung eines Schatzes gewesen sein, als sie auf den Film „Le Reflux“ von Paul Gégauff (1962) stieß. Die Südsee-Aufnahmen mit dem 27jährigen Subor, die in „L’Intrus“ als Rückblende implantiert sind, bilden eines der vielen fremden, angeeigneten Herzen, die in dem kristallklaren Film pochen. ++++ Lakposhtha Hâm Parvaz Mikonand (Ghobadi, 2004): Bei einem kurdischsprachigen Film, der mit iranischem Geld im irakischen Grenzgebiet zwischen amerikanischen Tretminen spielt und das Elend in den Flüchtlingslagern wenige Wochen vor der zweiten US-Invasion im Jahre 2003 zum Thema hat, haben sicher eine Menge Leute mitzureden. Erste Einstellung, close up, ein Mädchengesicht im Halbprofil, hinter dem Gesicht unscharf ein Abgrund. Zweite Einstellung, close up, ihre Füße, die sich näher an die Klippe herantasten. Dritte Einstellung, close up, sie streift ihre Schuhe ab. Vierte Einstellung: Sie springt, und man sieht ihre Füße in Zeitlupe. Diese Zeitlupenidee, hoffe ich, vielleicht sogar die ganze vierte Einstellung, kommt nicht von Ghobadi. ++++ Skagafjordur (Hutton, 2004): Hier war schon von zwei Benningfilmen die Rede, und nach ein paar Einstellungen Hutton könnte man denken: Ah, kiek ma an, wie der Benning. Nach einer Weile merkt man: Nein, das Gegenteil ist der Fall. Landschaft ist noch lange nicht Landschaft, Blick ist noch lange nicht Blick. Huttons Island ist ein Märchenland, das wohl auch aufgrund der stummen Tonspur weit ins Imaginäre entrückt ist. Das Glitzern des Meeres, zuerst schwarz-weiss, dann bunt, ist immer auch anderes, mehr als es selbst oder weniger. In dieser Diskrepanz steckt auch eine Beunruhigung. Man kann dabei an Dieter Roths tausende von Island-Dias erinnert sein. ++++ Los Muertos (Alonso, 2004): Untergrund-Viennale, dritter Teil. Hier in Berlin wird das Wiener Festival auf dem Filmmarkt verramscht. Für jemanden wie mich, der nicht da war, dankbare Gelegenheiten. Über „Los Muertos“ ist von berufener Seite schon einiges geschrieben worden. Wenn „zeigen, was der Fall ist“ als Materialismus gelten kann, ist Alonsos Film so materialistisch wie die Filme Bennings. Die Kamera hat ein fast gespenstisches Gespür für Entfernungen gegenüber Vargas, dem entlassenen Mörder. Als er vom Polizei-Pickup abgesetzt wird, fahren wir langsam weiter mit und sehen ihn kleiner werden. Später eins der unerlöstesten Schlussbilder der Filmgeschichte. Erlösung könnte danach höchstens der Anfang des Films bringen. ++++

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