Mutterboden
Der Kriminalpolizist läuft in den Film L’HUMANITÉ (Bruno Dumont) hinein, um sich mit der Erde zu vereinigen, wenn er denn der Länge nach hinfällt und sein Gesicht im frisch gepflügten Acker vergräbt. …So kann die von ihm vorgenommene Liebkosung der Delinquenten im späteren Verlauf – rätselhaft bleibt sie eh – als Versuch der nicht auflösbaren sozialen Integration der überführten Verbrecher gelesen werden. Ihr seid Fleisch, wie ich Fleisch bin. Der Begriff, der diese Bewegungen beschreibt, ist der Begriff der Religion, dessen eine etymologische Quelle auf religare verweist, zurückbinden, Rückbindung. – Ein Gedankenblitz schlägt mir vor, auch die namenlos Gefallenen in Thomas Schultz ZWISCHEN GEBÄUDEN als Rückgebundene zu sehen. – Das obsessive Ins-Bild-Setzen der Vulva, der geschändeten sowohl als der wartenden, bei gleichzeitig gezeigter Vergeblichkeit physischer Vereinigung der Geschlechter im Sinne einer rückbindenden Erlösung beschreibt ein Dilemma, aus dem heraus Pasolinis TEOREMA über die Einführung eines Heilsbringers noch eine Gesellschaftsutopie formulieren konnte. Der Polizist in L’HUMANITÉ mag ein Initiierter sein – er überwindet die Erdenschwere ähnlich wie die Hausangestellte in TEOREMA – ein Heilsbringer ist er nicht. Einzig seine Sehnsucht nach einem umfassenden Leben – er zerkrümelt den Mutterboden seines Schrebergartens mit Hingabe – lässt seinen Antrieb ahnen, der jedoch gänzlich private Utopie bleibt und Erinnerung an Frau und Kind, die er verloren hat. So macht auch die Ausleihe des Bildes seines Ahnen Sinn, mit dessen Hilfe er sich einer Familiengeschichte versichert. Alles zielt auf Verortung als Basis von Identität. Das Spiel der Darsteller unterstützt diesen regionalen Zug, indem ihr Kamerawiderstand stetig zu sagen scheint: Ich bin nicht verallgemeinerbar.