Juli 2005

Sonntag, 31.07.2005

langtexthinweis

* Bahram Beyzaie: Travellers (Mosaferan; Iran 1992), von Ekkehard Knörer

Samstag, 23.07.2005

Neulich, abends, im Arsenal

Perfect Film (Jacobs, 1986): Jacobs kannte ich als analytischen Zergliederer von gefundenem Material, der „Tom Tom the Pipers Son“ verlangsamt, beschleunigt, in ihn reinzoomt, das Schwein der reimenden Zeile „stole the Pig and away he ran“ sucht und Billy Bitzers burlesken Kurzfilm 90 Minuten lang seziert. Hier hat er etwas gefunden, das für sich genommen perfekt ist: Ausschussware eines Fernsehsenders mit Zeugeninterviews unmittelbar nach der Ermordung von Malcolm X. Hinter dem schwarzen Augenzeugen, in dessen souveräner Aussage die Historizität des Augenblicks schon mitgedacht ist, springt ein Junge hoch, der im Bild sein will, links daneben glotzt einer debil. Zwischendurch ringt die Kamera nach Bildern. ++++ Now! (Alvarez, 1965): Wenn man jeden Anfang von etwas daran misst, was später daraus geworden ist, hat kaum ein Film eine Chance zu bestehen; außer denen, die keine Nachfolger gefunden haben. Natürlich kann man sagen, dass Alvarez‘ Art, das schwarz-angeeignete „Hava Nagila“ zu Fotos und Sequenzen von Akten schwarzer Unterdrückung zu schneiden, jeden Schnitt auf eine Betonung des Rhythmus‘, adaptierbar war und leicht zu vereinnahmen. Dass heute jede Jeans-Werbung so funktioniert. Dass also in diesem Beginn schon das ganze Elend der universellen Verwertungslogik zu erkennen ist. Dass sich die Korrumpiertheit wie eine Doppelbelichtung über das Unkorrumpierte legt. Muss man aber nicht. Zum Glück. ++++ Rohfilm (Hein / Hein, 1968): Nach ein paar Minuten Noise-Terror und Bildgeflacker schweifen meine Gedanken ab zum Verhältnis von Epilepsie und Experimentalfilm: Ganze Kontinente der Avantgardefilm-Weltkarte müssen einem Epileptiker unzugänglich bleiben, weil Stroboskopeffekte ja bekanntlich epileptische Anfälle auslösen können. Idee für einen Horrorfilm: Ein Flickerfilmfan stellt plötzlich fest, dass er unter Epilepsie leidet. Er wird zum Terroristen, der Experimentalfilme macht, die einzig darauf aus sind, den Zuschauer bestialisch zu quälen. Nach dem Film erzählt B., dass einer der bekanntesten Filme von Paul Sharits „Epileptic Seizure Comparison“ heißt und medizinische Aufnahmen von zwei Epileptikern gegenüberstellt. Den hätte ich lieber gesehen als die Heinsche Fingerübung in Destruktionsterrorismus. ++++ Report (Conner, 1963-1965): Kennedys Ermordung hat neben viel Verstörung und noch mehr Verschwörungstheorie auch einen Kosmos von Bildern und eine Kakophonie von Stimmen produziert. Conner montiert einen Teil dieser Bilder und Töne, lässt sie in Vorlaufband auslaufen und bringt sie auf spezifische Art zum Stolpern. Beschwörend kehrt er immer wieder zum Tatort zurück: Wie die Limo mit J.F. und Jackie von der Dealey Plaza in die Elm Street einbiegt, das Winken. Conner vervielfacht das Material, aber er nimmt immer hinten ein paar Bilder weg und setzt sie vorne wieder dran: Wie ein Auto mit kaputtem Anlasser ruckelt die Sequenz vorwärts in den Tod. ++++ Mass for the Dakota Sioux (Baillie, 1963-64): Gern auftretendes Vorurteil: Experimentalfilme sind anstrengend und machen sich einen Spaß daraus, den Zuschauer zu malträtieren. Ab und zu finden sich Vorurteil und filmische Realität in erstaunlicher Kongruenz (vgl. „Rohfilm“). Baillies Film allerdings unterzieht das Cliché einer nachhaltigen Kur. Als breite man eine fast durchsichtige, leichte Decke über einer zweiten, ebenso leichten Decke aus. Als flatterten beide im Wind und produzierten in der Überlagerung etwas Neues. Amerikanische Landschaften, ein Toter, der zu Beginn auf dem Bürgersteig liegt und am Ende in einem Oldtimer abgeholt wird. Dazwischen sachte Überblendungen, eine kristallklare Kopie, und, ja, man darf wohl – zumindest kleingedruckt – sagen: anmut. ++++ Intolerance (abridged) (Lawder, 1960) : „Recommended for all students of filmmaking and film history“, wird Lawders Film im Katalog von Canyon Cinema beschrieben. „Especially for those who don’t have the time“, könnte man hinzufügen, denn Lawder hat Griffith‘ Monumentalepos respektlos beschleunigt und damit auf zehn Minuten gekürzt. Ein Film für die durchlauferhitzten Bachelorstudenten der Zukunft. Trotzdem sind die Wechsel zwischen Totalen und Großaufnahmen, die Montagerhythmen, auch das völlig Irrsinnige in der Dreifachgeschichte von Babylon, Mittelalter und Moderne auch in der Kurzfassung noch greifbar. Wenn ein Film das überlebt, muss er so übervoll sein, dass noch das Extrakt nach was schmeckt. Eine der Wiegen des Kinos. ++++ Lettre d’un cinéaste (Akerman, 1984): Was man alles tun muss, um einen Film zu machen: aufstehen, Leute treffen, essen, vor allem Berge von Papier produzieren, Klamotten aus dem Kleiderschrank fischen, sich von den Produzenten antatschen lassen usw. So was Ähnliches hatte auch Hellmuth Costard ein paar Jahre früher als „kleiner Godard“ an das Kuratorium junger deutscher Film geschrieben und versucht, das franko-schweizerische Vorbild ins Boot zu holen. Costard forderte die dilettantische Professionalisierung von Super 8, um weniger schreiben zu müssen und mehr machen zu können. Akerman bleibt zuhause, tut sich zusammen mit Aurore Clément und macht diese Studie über das Wie-man-einen-Film-macht. Postgodardsche, weiblich umcodierte Autonomiefiktionen. ++++ PPI (Serra, 1986): Von „PPI“ habe ich kaum Bilder behalten können. Kurz ist der Film und kurzweilig, aber wie genau? Wellen, die ans Ufer schlagen, etwas Quietschbuntes, einen Augenblick lang. Meine Irritation, aus welcher Zeit diese Bilder kommen? Der Film wurde im Arsenal als Auftakt für eine Reihe von Statements über das Kinomachen im Jahr 2005 gezeigt. Manchmal klang das wie ein in die Zukunft gesprochener Rechenschaftsbericht. Ich stelle mir vor, dass das für die Ohren von kürzungswütigen Rotstiftpolitfunktionären gedacht war und hier ein Publikum fand, das sich solchen Rotstiftpolitfunktionär in Zukunft entgegenstellen soll. Um ihnen den Rotstift aus der Hand zu schlagen. ++++

Dienstag, 19.07.2005

A Slice of Life

Nothing is visible without light.
Nothing is visible without a transparent medium.
Nothing is visible without boundaries.
Nothing is visible without colour.
Nothing is visible without distance.
Nothing is visible without instrument.
What comes after this cannot be learned.

Nicholas Poussin, 1665

[zitiert nach: Sean Cubitt: The Cinema Effect. MIT Press 2004, S.42].

Montag, 18.07.2005

fernsehhinweis

Malerei heute, von Stefan Hayn und Anja Christin Remmert, D: 1998-2005

3sat , 18. Juli, 23:10 Uhr

*

Dass dieser Film heute zu sehen ist, entnehme ich der website von shomingeki. Darauf geschaut habe ich, weil ich die neue shomingeki, Nr. 16., durchblättere, die gerade erschienen ist. Auf dem Umschlag des Heftes ist die Reproduktion eines der Aquarelle, die in dem Film zu sehen sind. Ich entnehme diese Information aus dem Text von Johannes Beringer über den Film, mit dem die Ausgabe einsetzt. Das Inhaltsverzeichnis der Ausgabe findet man im Netz. Auf der website finde ich zudem die Information, dass die Inhalte der vergriffenen Ausgaben von shomingeki online archiviert sind. Dieses Archiv umfasst die Texte der Ausgaben 1 bis 5, die zwischen November 1995 und Frühjahr 1998 erschienen sind. Diese Texte sind lesenswert.

Samstag, 16.07.2005

Fernseh-Hinweis

Morgen abend, 17.7., um 21.15 Uhr auf 3sat:
Die Hochzeitsfabrik, Dokumentarfilm von Aysun Bademsoy, Deutschland 2004.

Wenn eine Frau „gestohlen“ wird, also gegen den Willen ihrer türkischen Eltern heiratet, sind die Hochzeitsfeiern klein: „300, 400 Gäste“, sagt der Chef des Kreuzberger Unternehmens, das die Dokumentation des Tages übernimmt. Sein Team ist mit drei Kameras auf rollenden Stativen unterwegs, an deren Kabelsalat die Essenswagen angehoben werden müssen. Ein anderer macht Fotos, retouchiert am Rechner die Narben des Bräutigams und bastelt einen abenteuerlich kitschigen Hintergrund dahinter. Der Adorno-Titel hebt hervor, wie hier das einzigartige Ereignis und seine standardisierte Reproduktion gegeneinander stoßen. Zum Glück hat die vermeintliche Standardisierung auch in der Traumfabrik nie ausschließen können, dass etwas Besonderes entsteht.

Samstag, 09.07.2005

Mit einer Gesamtprämie

Verleihung des Deutschen Filmpreises


Being proud of the german film

Als Alexandra Maria Lara-Fan und Abonnent von Park Avenue war ich überrascht und wenig einverstanden, dass AML nicht für eine LoLA nominiert war – das stimmt jetzt nicht ganz, mit Marie Bäumer zu reden; anders nämlich muss ich gestehen, dass ich es gar nicht müde wurde, wenn der Untergang („Hochglanz- und Spaßkino dominiert den Markt“, Dani Levy im Tagesspiegel-Interview) immer noch ein weiteres Mal getaucht wurde. Allerdings: Seltsamer Konsens der Akademie, der Philharmonie – Corinna, Bernd, Bruno, gemobbt quasi für einen Abend. Am Morgen um 10.45h war die Welt noch in Ordnung: da hatten die Event-Manager, seinerzeit von Eichinger selbst überredet, aus der Veranstaltung etwas wirklich Grosses zu machen (think, you know, the Oscar’s …), im Radio leicht zerknirscht, vorgreifend lindernd dem Akademie-Mitbegründer, aber Nicht-Nominierten Eichinger an die bald 6 Millionen verkaufter DVD’s erinnert und die Erfolge im Ausland. Aber an diesem Abend „der Branche“, unter „den Kollegen“, „unseres Berufskreises“ (Schlöndorff), da waren sich dann fast alle, in ihrem Geschmack, in ihrer Verantwortung, einig: „… so ein Effekt: Man denkt, man ist alleine mit seinem Ernst, und auf einmal sind ganz viele da.“ (V. Schlöndorff)

Zum Beispiel: Bully Herbig. Der hat ein so überschaubares wie pannenfreies Repertoire an Gesten und Mimik am Start – und im Zweifel ein Tucken-Backup. Letzteres brauchte er an diesem Abend zwei Mal: für einen Ideen-armen, aber stimmungsmäßig auf den Berufskreis („28000 Arbeitsplätze!“) eingemitteten Einspieler: der Untergang als Bauchplatscher. Das zweite Mal für’s Schlussbild: teils Tribut an den toten Juhnke (allerdings mit, wo waren Erkan&Stefan of all deutsche Film-people?, frischen Bunnies), teils Erinnerung daran, wer das letzte Jahr die meiste Asche gemacht hatte – in der Branche. Gleichwohl muss man konzedieren, daß Herbig, anders als die meisten deutschen Präsentatoren-Stars (Wenders erstaunlicherweise ausgenommen), gut getimed artikulieren kann und sich weder von einem zu spät gesetzten Spot noch zu früh abgelaufenen 45 Sekunden irritieren läßt. Das, und nicht bloß die tempo-machende Off-Stimme, sollten die Beteiligten einer solchen Gala wirklich von Amerika lernen: Vorgaben des Formats sind als solche zur Kenntnis zu nehmen, und dann vielleicht ggf. auch einmal als solche zu kritisieren – bloßes Stolpern über’s Format und Jammern und Klagen wie wenig Freund&Familie, Kind&Kegel in 45 Sekunden passen: das geht nicht. Das ist auch nicht politisch.

Und so kommt man wieder zur Frage nach Ernst und Politik und ihrem Zusammenhang mit Film. „Ich habe Hitler geschlagen“, meinte Henry Hübchen, dessen Statement in seinem leichtfüssigen Changieren zwischen Figur und Person sicherlich noch das lässigste des Abends war, prompt halbe Irritationen im Berufskreis auslöste und noch besser gewesen wäre, hätte er die Hitler-Pointe nicht zwei- oder dreimal hintereinander festgeklopft. Dennoch lieferte Hübchens Witz so etwas wie den Aufriß des Abends: Man mag vielleicht das nicht, wofür Der Untergang steht, aber man ist bei einer Veranstaltung (institutionell: Akademie, eventmässig: Philharmonie) dabei, die die Eröffnungs-Präsentation hatte, die sie offenbar verdiente. Es muss an dieser Stelle Menschen wie Aljoscha Weskott überlassen bleiben, sich diese drei oder vier Minuten Film einmal vorzulegen – soviel läßt sich aber sagen: die Art und Weise, wie hier eine Entität und eine Geschichte namens „Der Deutsche Film“ konstruiert, eingefriedet, im rechten Moment Heinz Rühmann-synkopiert und nach 90 Spielminuten (60 Jahren?) abgepfiffen wurde, darauf läßt sich wahrlich nur mit (a) Stolz („seien Sie stolz auf das deutsche Kino“, Herbig), und (b) Aufnahme als Bonusmaterial in jenes DVD-Set reagieren, das neben Der Untergang und Fassbinders Lili Marleen (Fassbinder, im übrigen, wurde durch einen weiteren Einspieler und einen daran anknüpfenden haspeligen Gottfried John, wie sagt man?, geehrt; sagt man: immerhin?) eben auch eine Set-Card von Alexandra Maria Lara (aber keine von Nina Schwabe) enthalten würde.

Und so könnte man jetzt mutwillig zwischen der Ablehnung von Eichingers Untergang und jenem Kick-off-Trailer so etwas wie ein Juste Milieu des deutschen Films konstruieren: in Maßen politisch korrekt, aber politisch hinreichend desorientiert, um in der Aversion gegen amerikanische Wörter („Akademie“, nicht „academy“ (Bäumer), während sich Riemann das Amerika-Spielen noch nicht verkneifen wollte: „I thank the academy!“) und amerikanische 45 Sekunden-Taktung, im Hang zu Emotion und menschlicher Empathie schon eine politische Haltung zu sehen. Deren Agenda formuliert sich dann so: „Verbindlichkeit, Persönlichkeit, Tiefe“ (Marie Bäumer) – wollte sie sagen: „Bauchfilme, keine Kopffilme“(D. Levy)?

Die gewisse Leichtigkeit, auch ein gewisser Überblick (nichts Unpolitisches!), der sich in Hübchens Rede anzeigte, wurde spätestens von einer jungen Hoffnung wie H. Weingartner wieder rejustiert: er sprach, mit gewinnendem Ungelenk, vom Herzen, das ein jeder, eine jede hier (er deutete auf sein Herz) trage, und das eine revolutionäre Zelle sei: „Aber in Sachen Ironie bin ich immer noch total am Schwimmen. Was ich kann, sind Emotionen.“

Gerne hätte ich noch die weiche, aber intensive Stimme von Ulrich Matthes sprechen, noch ein weiteres Mal sagen hören: „… mit einer Gesamtprämie von …“

Dienstag, 05.07.2005

ON THE VISUAL ARTS

„Take a thing and put it on one thing
Take a thing and put it on the 2 things
Take a thing and put it on the 3 things
Take a thing and put it on the 4 things
Take a thing and put it on the 5 things
Take a thing and put it on the 6 things
Take a thing and put it on the 7 things
………

sell any time“

[Dieter Roth: A few of the successfoll recipes offered by Rot in this volume:“, in: Snow, wieder abgedruckt in: Ders.: Da drinnen vor dem Auge. Lyrik und Prosa, hg. von Jan Voss, Beat Keusch, Johannes Ullmaier, Björn Roth, Frankfurt/Main: Suhrkamp 2005, S. 160.]


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