2005

Samstag, 09.07.2005

Mit einer Gesamtprämie

Verleihung des Deutschen Filmpreises


Being proud of the german film

Als Alexandra Maria Lara-Fan und Abonnent von Park Avenue war ich überrascht und wenig einverstanden, dass AML nicht für eine LoLA nominiert war – das stimmt jetzt nicht ganz, mit Marie Bäumer zu reden; anders nämlich muss ich gestehen, dass ich es gar nicht müde wurde, wenn der Untergang („Hochglanz- und Spaßkino dominiert den Markt“, Dani Levy im Tagesspiegel-Interview) immer noch ein weiteres Mal getaucht wurde. Allerdings: Seltsamer Konsens der Akademie, der Philharmonie – Corinna, Bernd, Bruno, gemobbt quasi für einen Abend. Am Morgen um 10.45h war die Welt noch in Ordnung: da hatten die Event-Manager, seinerzeit von Eichinger selbst überredet, aus der Veranstaltung etwas wirklich Grosses zu machen (think, you know, the Oscar’s …), im Radio leicht zerknirscht, vorgreifend lindernd dem Akademie-Mitbegründer, aber Nicht-Nominierten Eichinger an die bald 6 Millionen verkaufter DVD’s erinnert und die Erfolge im Ausland. Aber an diesem Abend „der Branche“, unter „den Kollegen“, „unseres Berufskreises“ (Schlöndorff), da waren sich dann fast alle, in ihrem Geschmack, in ihrer Verantwortung, einig: „… so ein Effekt: Man denkt, man ist alleine mit seinem Ernst, und auf einmal sind ganz viele da.“ (V. Schlöndorff)

Zum Beispiel: Bully Herbig. Der hat ein so überschaubares wie pannenfreies Repertoire an Gesten und Mimik am Start – und im Zweifel ein Tucken-Backup. Letzteres brauchte er an diesem Abend zwei Mal: für einen Ideen-armen, aber stimmungsmäßig auf den Berufskreis („28000 Arbeitsplätze!“) eingemitteten Einspieler: der Untergang als Bauchplatscher. Das zweite Mal für’s Schlussbild: teils Tribut an den toten Juhnke (allerdings mit, wo waren Erkan&Stefan of all deutsche Film-people?, frischen Bunnies), teils Erinnerung daran, wer das letzte Jahr die meiste Asche gemacht hatte – in der Branche. Gleichwohl muss man konzedieren, daß Herbig, anders als die meisten deutschen Präsentatoren-Stars (Wenders erstaunlicherweise ausgenommen), gut getimed artikulieren kann und sich weder von einem zu spät gesetzten Spot noch zu früh abgelaufenen 45 Sekunden irritieren läßt. Das, und nicht bloß die tempo-machende Off-Stimme, sollten die Beteiligten einer solchen Gala wirklich von Amerika lernen: Vorgaben des Formats sind als solche zur Kenntnis zu nehmen, und dann vielleicht ggf. auch einmal als solche zu kritisieren – bloßes Stolpern über’s Format und Jammern und Klagen wie wenig Freund&Familie, Kind&Kegel in 45 Sekunden passen: das geht nicht. Das ist auch nicht politisch.

Und so kommt man wieder zur Frage nach Ernst und Politik und ihrem Zusammenhang mit Film. „Ich habe Hitler geschlagen“, meinte Henry Hübchen, dessen Statement in seinem leichtfüssigen Changieren zwischen Figur und Person sicherlich noch das lässigste des Abends war, prompt halbe Irritationen im Berufskreis auslöste und noch besser gewesen wäre, hätte er die Hitler-Pointe nicht zwei- oder dreimal hintereinander festgeklopft. Dennoch lieferte Hübchens Witz so etwas wie den Aufriß des Abends: Man mag vielleicht das nicht, wofür Der Untergang steht, aber man ist bei einer Veranstaltung (institutionell: Akademie, eventmässig: Philharmonie) dabei, die die Eröffnungs-Präsentation hatte, die sie offenbar verdiente. Es muss an dieser Stelle Menschen wie Aljoscha Weskott überlassen bleiben, sich diese drei oder vier Minuten Film einmal vorzulegen – soviel läßt sich aber sagen: die Art und Weise, wie hier eine Entität und eine Geschichte namens „Der Deutsche Film“ konstruiert, eingefriedet, im rechten Moment Heinz Rühmann-synkopiert und nach 90 Spielminuten (60 Jahren?) abgepfiffen wurde, darauf läßt sich wahrlich nur mit (a) Stolz („seien Sie stolz auf das deutsche Kino“, Herbig), und (b) Aufnahme als Bonusmaterial in jenes DVD-Set reagieren, das neben Der Untergang und Fassbinders Lili Marleen (Fassbinder, im übrigen, wurde durch einen weiteren Einspieler und einen daran anknüpfenden haspeligen Gottfried John, wie sagt man?, geehrt; sagt man: immerhin?) eben auch eine Set-Card von Alexandra Maria Lara (aber keine von Nina Schwabe) enthalten würde.

Und so könnte man jetzt mutwillig zwischen der Ablehnung von Eichingers Untergang und jenem Kick-off-Trailer so etwas wie ein Juste Milieu des deutschen Films konstruieren: in Maßen politisch korrekt, aber politisch hinreichend desorientiert, um in der Aversion gegen amerikanische Wörter („Akademie“, nicht „academy“ (Bäumer), während sich Riemann das Amerika-Spielen noch nicht verkneifen wollte: „I thank the academy!“) und amerikanische 45 Sekunden-Taktung, im Hang zu Emotion und menschlicher Empathie schon eine politische Haltung zu sehen. Deren Agenda formuliert sich dann so: „Verbindlichkeit, Persönlichkeit, Tiefe“ (Marie Bäumer) – wollte sie sagen: „Bauchfilme, keine Kopffilme“(D. Levy)?

Die gewisse Leichtigkeit, auch ein gewisser Überblick (nichts Unpolitisches!), der sich in Hübchens Rede anzeigte, wurde spätestens von einer jungen Hoffnung wie H. Weingartner wieder rejustiert: er sprach, mit gewinnendem Ungelenk, vom Herzen, das ein jeder, eine jede hier (er deutete auf sein Herz) trage, und das eine revolutionäre Zelle sei: „Aber in Sachen Ironie bin ich immer noch total am Schwimmen. Was ich kann, sind Emotionen.“

Gerne hätte ich noch die weiche, aber intensive Stimme von Ulrich Matthes sprechen, noch ein weiteres Mal sagen hören: „… mit einer Gesamtprämie von …“

Dienstag, 05.07.2005

ON THE VISUAL ARTS

„Take a thing and put it on one thing
Take a thing and put it on the 2 things
Take a thing and put it on the 3 things
Take a thing and put it on the 4 things
Take a thing and put it on the 5 things
Take a thing and put it on the 6 things
Take a thing and put it on the 7 things
………

sell any time“

[Dieter Roth: A few of the successfoll recipes offered by Rot in this volume:“, in: Snow, wieder abgedruckt in: Ders.: Da drinnen vor dem Auge. Lyrik und Prosa, hg. von Jan Voss, Beat Keusch, Johannes Ullmaier, Björn Roth, Frankfurt/Main: Suhrkamp 2005, S. 160.]

Donnerstag, 30.06.2005

Kino-Hinweis

Vom 1. bis 6. Juli findet in Berlin die fünfte Französische Filmwoche statt: zwölf Produktionen aus den letzten zwei Jahren, darunter „Clean“ von Olivier Assayas. Ausserdem drei Filme von Arnaud Desplechin: als Eröffnungsfilm „Rois et reine“ (2004), zudem „Léo en jouant dans ‚La compagnie des hommes'“ (2003) und „Comment je me suis disputé (ma vie sexuelle“)“ (1998).

Alle Filme im Filmtheater am Friedrichshain und im Cinéma Paris, ein genaues Programm gibt’s hier.

Montag, 20.06.2005

Education sentimentale

Im Zug, irgendwo zwischen Osnabrück und Bünde. Eine Frau erzählt ihrem achtjährigen Sohn eine Szene aus einem Hitchcock-Film: „Stell dir vor: Eine Verfolgungsjagd im schottischen Hochmoor. Der Hauptdarsteller rettet sich in ein Schloss. Da ist es hell, die Leute sind sehr freundlich, und er beginnt, ihnen seine Geschichte zu erzählen. Zu Anfang des Films hat er eingeschärft bekommen, dass er den Bösen, den er sucht, daran erkennen wird, dass ihm zwei Glieder an einem Finger der rechten Hand fehlen. Und jetzt erzählt und erzählt er, und irgendwann fragt der Mann, dem er diese Geschichte erzählt: ‚Sind Sie sicher, dass es die rechte Hand ist?‘ In dem Moment ist in Großaufnahme seine linke Hand zu sehen, die nach einem Glas greift und an deren kleinem Finger genau die zwei Glieder fehlen… Das ist eine der gruseligsten Szenen, die ich kenne, obwohl es nicht dunkel ist, obwohl da nicht geschossen wird und gar nichts.“

Danach erklärt sie noch ganz beiläufig, was ein McGuffin ist.

Diese Art von Vermittlung, bei der ganz deutlich zu spüren war, dass da nicht nur ein Film erzählt wird, sondern was Erlebtes.

Freitag, 17.06.2005

Film-Hinweis

„They really didn’t want me to make the film. They enjoyed having us around but not to film. I was with my friend Danny and he had good connections for dope, much better than they had. And at one point I said to him nothing ever happens on these plane trips. It would be nice to have something happen.“ (Robert Frank)

Cocksucker Blues
USA 1972, 16mm, 90′

(Brotfabrik: 23.-29. Juni, jeweils 22h)

Nach SULLA

„Ich möchte nicht in die Welt, um den Leuten die Welt zu zeigen, ich möchte selber die Welt sein.“
Helge Schneider, Süddeutsche Zeitung, 04.06.2005

Könnte ein Verständnisschlüssel sein zu SULLA (2002) von Klaus Wyborny

Donnerstag, 16.06.2005

* Fußball im Fernsehen in Mexiko

Sonntag, 05.06.2005

„Was ich damals an Fejos lieben lernte: daß mit 38 bei ihm der Ton des Lebens noch weich war wie bei einem Jugendlichen und er sich von heute auf morgen gegen den Unterhaltungsfilm und für eine Hinwendung zur Realität entschied. Die Schlüsselszene wiederum, die für diese Wandlung steht, ist so plastisch, so zugespitzt, daß es mir immer vorkommt, als hätte sie sich nicht real ereignet, sondern ich hätte sie in einem Film gesehen:
Der Präsident der Nordisk-Film versuchte Fejos zu halten und sagte schließlich: ‚Gut, dann machen Sie Filme, wo Sie wollen, aber tun Sie’s für uns‘, und er führte den Regisseur in einen Nebenraum, wo an der Wand eine Weltkarte hing. Fejos kam genau vor Madagaskar zu stehen und sagte: ‚Das einzige Land, wo ich Filme machen möchte, ist Madagaskar.‘

Diese lehrreiche Anekdote sagt mir: die von Fejos ausgeübte Kraft zum Verneinen, dieser natürlichen Äußerung des immerfort sich verändernden, erneuernden, absterbend auflebenden menschlichen Kämpferorganismus haben wir immer, den Mut aber nicht, während doch Leben Verneinung ist, also Verneinung Bejahung.“

[Peter Nau: Ein Brief, in: Elisabeth Büttner (Hg.): Paul Fejos. Die Welt macht Film, Wien: verlag filmarchiv austria 2004, S. 176-177]

Donnerstag, 02.06.2005

Jägerbeine

In „Island of the Lost Souls“ (Erle C. Kenton, USA 1932), der gestern im Arsenal zu sehen war, spielt Charles Laughton den exilierten englischen Wissenschaftler Dr. Moreau, der seltsame Experimente mit Tieren veranstaltet, weil er Darwin eine Spur zu wörtlich interpretiert. Wichtiger als die evolutionsbiologische Hysterie – das Labor heißt nicht ohne Grund „House of Pain“ – und wissenschaftliche Meriten ist Dr. Moreau aber die Kultivierung eines spätkolonialen Stils, der selbst Colonel Walter E. Kurtz beeindruckt hätte. Dr. Moreau, stets im feinen weißen Anzug, nippt blasiert an seinem Tee und beantwortet skeptische Fragen mit ausgewählter Höflichkeit und minimalem Heben der Augenbrauen. Selbst die unermüdlichen Verschattungsbemühungen der Licht-Regie können ihn nicht diabolisieren, weshalb Laughton in der tollsten Szene des Films seinen eigentlich schweren Körper elegant auf den zu Folterzwecken umfunktionalisierten Operationstisch werfen kann und im Fallen aristokratischerweise die Beine übereinanderschlägt, als sei das eine Selbstverständlichkeit.

fernseh-hinweis

„Nichts wirkt als Antwort, was nicht vorher gefragt gewesen ist. Daher bleibt so viel Helles ungesehen, als wäre es nicht da.“ (Ernst Bloch in Erläuterungen zu Hegel) Wir, die Männer und Frauen des dritten Jahrtausends – das ist eine Formulierung des verstorbenen Papstes – wir sollten fragen, wann und wo der neue Lemke läuft.
„3 Minuten Heroes“ hat Premiere auf dem Münchner Filmfest. Zuvor aber zeigt der WDR eine Reihe mit alten und allerneuesten Lemkefilmen.
Am Montag, 6. Juni – 23:15 fängt es an mit „Amore“.

Rainer Knepperges


Claudia Grimm und Timo Jacobs, „3 Minuten Heroes“


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