Freitag, 14.04.2006

Reisen in die Utopie

Godard im Museum

Auf die April-Ausgabe der Cahiers hatte ich schon länger gewartet; ich war gespannt, was über die Godard-Ausstellung im Centre Pompidou, die Ende des Monats eröffnet wird, zu lesen sein würde. Zumal das Projekt insgesamt, seit ich vor zwei Jahren zum ersten Mal davon hörte, immer mysteriös geblieben war und jede zusätzliche Information die Unklarheit eher vergrößerte.

Von vorne: „Collages de France“ sollte der Titel sein, geplant war eine Kooperation zwischen Godard zuhause in Rolle vor einer Webcam, dem Ausstellungsort Le Fresnoy, Studio National d’Art Contemporain bei Tourcoing (ein Vorort von Lille, über das F. neulich gesagt hatte, es sei die einzige französische Stadt, die etwas von Los Angeles habe), und dem Centre Pompidou. Ein Produzent in seinem Heimstudio, ein Distributionsmedium, zwei Ausstellungsorte. Puissance de la parole. Damals konnte man in einer kleinen Notiz lesen, Godard werde neun Monate lang jeden Monat – meist via Internet – ein Gespräch mit einem Philosophen, Literaten, Filmemacher, Wissenschaftler etc. führen. Das Material wolle er dann mit Bildern und Tönen montieren und überblenden, die aus Fernsehsendungen, aus Filmen, Zeitschriften, letztlich aus allen denkbaren Quellen stammen könnten. Ich stellte mir das ganze als gegenwartsbezogene Fortsetzung der Histoire(s) du cinéma vor, in denen ein Kapitel ja auch schon um längeres Gespräch mit Serge Daney herumgebaut war.

Allerdings war schon das „Collages de France“-Projekt mit seiner Entscheidung für das Centre Pompidou eine Modifikation von Godards ursprünglicher Idee. Eigentlich hätte er sich am Typus der Vorlesung orientieren und diesen „cours exposé“ am Collège de France halten wollen. In einem Exposé schrieb er: „Stellen wir uns die Vorlesung von Bergson, Sartre oder Deleuze am Collège de France vor. Ein Mann steht als einfacher Lehrer hinter einem Tisch, oder noch nicht einmal, auf einem Podium. Wie ein Politiker: Er spricht. Stellen wir uns jetzt Heisenberg oder Laurent Schwarz vor, die etwas über Physik erzählen. Auch sie reden, aber zusätzlich schreiben sie Hieroglyphen auf eine Tafel, die manchmal schwarz, manchmal weiß ist, und zu der die Kreide oder der Stift die Ergänzung darstellen. Wenn man nun die Erinnerung an diese denkwürdigen Augenblicke auf einem zeitgemäßen Medium erhalten wollte, dann bräuchte man ein Aufnahmegerät, etwas Film und vielleicht ein bisschen (künstliches) Licht. Stellen wir uns jetzt Lavoisier oder Marie Curie vor, auch sie in einer Unterrichtssituation, aber diesmal zusätzlich mit Beweisen für das, was sie sagen, mit einer Versuchsanordnung und Stoffen, die es ihnen erlauben, Experimente durchzuführen und nicht nur zu zeigen, wo der Schlüssel zu bestimmten Problemen ist, sondern auch, wo das Schloss sich befindet. […] Stellen wir uns jetzt einen weiteren Mann vor, einen vom Kino, der darüber eine Vorlesung hält, wie es sie heute haufenweise gibt. Üblicherweise macht er nichts anderes als Bergson, er begnügt sich damit, Worte auf Worte zu stapeln, wie es der Autor von Clio nannte. Er versucht immer nur über das Kino zu sprechen, oder sogar an seiner Stelle. Er versucht nie, es zu zeigen oder anschaulich zu machen, außer vielleicht durch Filmausschnitte.“ Godards Antwort darauf sollte eine Art praktische Beweisführung dessen sein, wie die Bilder denken. Einem Untersuchungsrichter würde man auch nicht glauben, wenn er sich nur auf die Aussagen verlässt und die eigentlichen Beweise ignoriert, sagt er.

Ich weiß bis heute nicht, ob die Veranstaltungen in Le Fresnoy, die Konferenzschaltungen, die Montagearbeit, stattgefunden haben wie vorgesehen. Im Netz findet man Pressemitteilungen, Ankündigungen, aber keine Berichte über das, was tatsächlich geschah. Gibt es diese neun Filme, einen pro Monat? Wenn ja, wo werden sie zu sehen sein?

Jetzt in den Cahiers also ein Update, wenige Wochen vor der Eröffnung dessen, was aus den „Collages“ geworden ist. Das Schöne ist, dass auch weiterhin keiner so genau zu wissen scheint (oder es sagen will), was in zwei Wochen im Beaubourg zu sehen sein wird. Dominique Païni, Leiter der Cinémathèque Francaise von 1991 bis 2000, in den letzten fünf Jahren im Centre Pompidou für alles zuständig, was nicht im engsten Sinne „Bildende Kunst“ war, rekapituliert auf ein paar Seiten die verschiedenen Etappen der Planung. Mit Schere Klebstoff und Pappe bewaffnet habe Godard nach der Entscheidung für das Centre Pompidou angefangen, Raummodelle zu bauen und sich zu überlegen, wie das Kino in den Kunstraum zu übertragen sein könnte. Ihm schwebte, so fasst Paini es auf, eine Verräumlichung dessen vor, was er in den Histoire(s) in eine zeitliche Form gebracht hatte. In den Histoire(s) liefen die Bilder vor dem Zuschauer entlang, jetzt soll sich der Zuschauer an den Bildern entlangbewegen (Païni scheint sich in den Kopf gesetzt zu haben, dass das etwas mit Benjamins Begriff des Flaneurs zu tun habe).

Was für Bilder das sein werden, die vom 24. April bis zum 14. August auf 1100 Quadratmetern ausgestellt werden, bleibt diffus. Es geht darum ein ziemliches Raunen durch die Seiten des Hefts. Neue Arbeiten von Godard werden beschrieben und besprochen, von denen man nicht weiß, ob oder in welcher Form sie in der Ausstellung vorkommen. Von Schwierigkeiten des Budgets ist die Rede, deren Konsequenzen im Dunkeln bleiben. Von Godard selbst kein Wort dazu. Viel Text, insgesamt ein großes Fragezeichen. Eine der Arbeiten, die laut spärlicher Informationen auf den Seiten des Centre Pompidou am 24.April Premiere haben wird, heißt Vrai faux passeport, der Untertitel ist „Sur des occasions de porter un jugement à propos de la façon de faire des films“. Das Ganze heißt jetzt auch nicht mehr „Collages de France“, sondern „Voyage(s) en Utopie“.

Godard hat einmal vom „großen Kampf zwischen den Augen und den Sprachen“ gesprochen. Die Augen seien die Völker, die Sprache die Regierung. Vielleicht haben die Texte, die jetzt zu lesen sind, deshalb wenig mit dem zu tun, was zu sehen sein wird. Was „die Regierung“ tut, ist etwas anderes als das, was „das Volk“ sagt.

– Volker Pantenburg –

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